CATHERINE SILBERSCHMIDT

UNTERWEGS (GABRIELE SCHÄRER)

SELECTION CINEMA

Eine Hommage an die vor sechs Jahren verstorbene Schriftstellerin Irmtraud Morgner. Gespräche mit drei Frauen, die Morgner gekannt haben: ihre Übersetzerin, eine Germanistin, die zu DDR-Zeiten von Staates wegen Gutachten über Morgners Texte verfaßt hat, sowie eine Ärztin. Sie alle berichten über ihre Beziehung zur Verstorbenen. Dazwischen werden Motive aus Morgners Amanda - ein Hexenroman aufgegriffen. Im Film fährt uns eine S-Bahn-Triebwagenführerin durch Berlin (das reale Pendant zur fiktiven Hauptfigur in Amanda) und kommentiert ihre Arbeit. Aus dem Off erklingen Passagen aus dem Roman. Die phantastischen Tiergestalten - Trobadora Beatrix als Vogelwesen - erscheinen im Film als reale Tiere: Eulen und Schlangen kommen vor. Bilder der verstorbenen Autorin gibt es kaum. Schärer hat absichtlich auf Originalmaterial verzichtet - weshalb eigentlich? Dafür Einblicke in Morgners nach wie vor vorhandenes Arbeitszimmer und auf die skurrilen, von ihr angefertigten Objekte, ebenso skurril wie ihre erzählerischen Figuren. Soweit ist alles dokumentarisch, bis auf eine kurze Spielhandlung: Eine schwarzgekleidete Frau fegt, macht rein, wäscht - so wie es die Schriftstellerin als Mutter und Hausfrau auch tun mußte.

Doch all diese stilistischen Mittel lassen Morgners Literatur unberührt - am stärksten wirken und beeindrucken die Textpassagen aus Amanda. Literarische Bilder haben ihr Eigenleben und können nicht ohne weiteres übersetzt werden, die realen Tiere stören die Fiktion, wie sie in Morgners äußerst lebendiger Literatur gemeint war. Die S-Bahn-Fahrerin im Film ist eine faszinierende Person, und faszinierend sind auch die Ausblicke auf die sich verzweigenden Geleise der endlosen Fahrten. Reisen und Unterwegssein sind zwei zentrale Motive in Morgners Literatur. Im Film werden sie ausgiebig zelebriert.

Doch literarische Metaphern sind ein fragiles Gut, das reale Bild mit seiner faktischen Evidenz droht sie zu zerschlagen. Das Nachahmen einer literarischen Bewegung ist in Unterwegs nicht die interessante Spur, eindrücklich sind die Lebensberichte der drei interviewten Frauen, das Authentische, die blumige Sprache der S-Bahn-Fahrerin. Nur, wo bleibt da die Morgner und ihre deftige Literatur, von der ja eigentlich hätte die Sprache sein sollen?

Catherine Silberschmidt
ist freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2019)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]