PIERRE LACHAT

LES AGNEAUX (MARCEL SCHÜPBACH)

SELECTION CINEMA

Seine beiden Kinder nennt er ruppig und doch nicht ganz ohne Zärtlichkeit »meine Lämmer«. Und er gebärdet sich, als liege ihm zuvörderst an einem, nämlich: ihr reißender Wolf zu sein - eine Rolle, für die er in der Tat die Hingabe und das Talent hat. Mit sicherer Hand zeichnen da Pascal Bonitzer und Marcel Schüpbach eine der seltenen Schurkenfiguren nahezu klassischen Zuschnitts, die der Schweizer Film hervorgebracht hat. Der Widerling, von Richard Berry - derzeit einem der besten Schauspieler Europas - mit viel Lust und Laune gespielt (und fast ganz ohne zu karikieren), quält Frau und Kinder, wie ihm beliebt. Das läßt seinen Opfern zwei Möglichkeiten offen, nämlich entweder klein beizugeben, wie es die Frau tut, oder sich zu widersetzen und auf Kurve zu gehen, was Daniel und Marie, die »Lämmer«, machen.

Wird der große, böse Wolf die abgängigen Geschwister nun jagen, um ihnen die Kehle durchzubeißen, vermögen sie der Bestie allenfalls zu entwischen? Die Frage könnte ohne weiteres eindeutig beantwortet werden, wären da nicht die vermaledeiten Familienbande, die das eigentliche Thema des Films bilden. Ein Schurke kommt nicht zurück, ist er erst einmal aus der Welt befördert. Der Vater hingegen bleibt, noch wenn man ihm den Garaus macht, der Vater: ein Wiedergänger oder Untoter. Im vorliegenden Fall ist er auch ein jämmerlicher Wicht, für den man am Ende sogar eine Spur Mitleid empfindet.

Wie zuletzt bei Happy End (1987) zu erkennen, hat Marcel Schüpbach eine Vorliebe für alles Heftige, Absolute, oft auch Grausame, für Geschichten von unschweizerisch hohem, wenn nicht überzeitlich-tragischem Anspruch.

Wie da zum Beispiel das Motiv der inzestuösen Geschwisterbeziehung von Fredi Murers noch immer nachwirkendem Höhenfeuer (1986) diskret (aber auf durchaus legitime Weise, wohlverstanden) durchscheint, ist unübersehbar. So widersprüchlich es klingt, viele Details der Inszenierung mißlingen, weil der Zugriff viel zu zaghaft ausfällt, und trotzdem gewinnt das Ganze eine bezwingende, gültige Qualität und vermag als neue Variante des Familiendramas im ewigen Viereck zu bestehen. Entscheidendes trägt der wissende Umgang mit den Schauspielern bei, von denen der fast überintensive Berry umsichtig zurückzubinden war, während seine beiden halbwüchsigen Partner Julia Maraval und Alexis Tomassian liebevoll animiert wurden.

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]