CATHERINE SILBERSCHMIDT

SCHWESTER KARIN (THOMAS THÜMENA)

SELECTION CINEMA

Von der Bildebene her könnte dieser Film eine Reportage über alte Leute im Pflegeheim sein: über verwirrte, zum Teil sehr traurige Greisinnen, die beim Aufwachen nicht mehr wissen, wo sie sind. Ihr Leben erscheint in Bruchstücken, sie erinnern sich nur noch an für Außenstehende belanglose Details und vermögen den Sinn ihrer Erinnerung nicht mehr zu vermitteln. Eindrückliche Dokumente menschlichen Zerfalls und sozialer Ausgegrenztheit, stehen diese Bilder über ihren rein dokumentarischen Gehalt hinaus für den Umgang mit dem Alter und dem Älterwerden in unserer Gesellschaft. Schwester Karin will jedoch nicht in erster Linie ein Film über alte Leute sein. Im Zentrum steht vielmehr die existentielle Not einer jungen Krankenschwester, die mit der Pflege dieser hilflosen Greisinnen ihrem entleerten Leben ein Stück Sinn abgewinnen kann, bis sie in eine suizidale Krise gerät und sich in der Psychiatrie wiederfindet.

Ihre Geschichte erzählt die junge Frau in und off - unterbrochen von Szenen aus ihrer Arbeit. Die Krise ist überstanden - sie wird in der Vergangenheit geschildert. Über das Privatleben der Hauptfigur erfährt man wenig - auf der Bildebene fast nichts. Ihre Berichte über Entfremdungszustände und masochistische Attacken, über Selbstzerstörung und Depression bleiben an der Oberfläche, weil außer über die Krise und die Arbeit im Betagtenheim kaum etwas über die Person von »Schwester Karin« vermittelt wird. Ihr Gesicht, auf dem die Kamera während der Schilderung der durchlittenen Pein oft ruht, gibt in diesem Falle wenig preis. Die Nahaufnahmen verlieren ihre potentielle Intimität, weil die Protagonistin in ihrem Monolog unnahbar bleibt. Die Abwesenheit des Befragers entzieht der Erzählung ihre Motivation.

Eindrücklich sind hingegen die zum Teil erschütternden und von Otmar Schmied sehr schön aufgenommenen Szenen im Betagtenheim. Die zerfallenden Körper, die zerfurchten Gesichter und die kindliche Emotionalität der Greisinnen: Zeichen gelebten Lebens. Freude, Trauer und Verzweiflung stehen hier ganz nahe beieinander, vermischen sich. Eine Authentizität, die ich beim eigentlichen Thema des Films vermisse.

Catherine Silberschmidt
ist freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2019)
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