CATHERINE SILBERSCHMIDT

OH! QUEL BEAU JOUR (JACQUELINE VEUVE)

SELECTION CINEMA

Fünf Offiziere der Heilsarmee, darunter zwei Ehepaare, hat Jacqueline Veuve während eines Jahres besucht und befragt. Sämtliche Rituale dieser anachronistischen Organisation sind in ihrem (Auftrags-)Porträt dokumentiert: Beförderungszeremonien, Amtseinsetzungen, Evangelisierungskampagnen. Die Heilsverkündung wird in ihrer ganzen Penetranz zelebriert. »Suppe, Seife, Seelenheil«, so das etwas gruselige Motto dieser über hundertjährigen wohltätigen Institution, die trotz Berufungskrise in vielen Ländern der Welt Hunderttausende Bedürftige ernährt, logiert und bekehrt. Oh! quel beau jour wurde in der Schweiz, in Frankreich und Zaire gedreht.

Kein einfaches Unterfangen, eine so komplexe Organisation wie die Heilsarmee zu porträtieren, hinter die militärähnliche Struktur mit all den Uniformen, Fahnen, Demutsgebärden und Bekehrungsversuchen zu blicken. Jacqueline Veuve hat es versucht, und es ist ihr teilweise gut gelungen. Ausgangspunkt des Films ist das Gemälde einer Gruppe musizierender Heilsarmisten von Varlin, im Off-Ton das leidenschaftlich falsch gesungene Lied »Oh! quel beau jour«. Keine extravaganten Bildeinfälle, aber eine präsente und zurückhaltende Kamera, die sieht, was es zu sehen gibt, und nichts vorgibt, was der Film nicht einlöst. Im ersten Teil werden die fünf frisch ernannten Offiziere vorgestellt und bei der Ausübung ihres göttlichen Amtes gezeigt. Verzichtet wird auf Alkohol und Tabak, aber auch auf Ehrgeiz, Aufstieg und Anerkennung. Ich hätte gerne mehr erfahren, zum Beispiel über die ehemalige Ärztin, die jetzt eine Kinderschar zu Lämmern Gottes drillt. Oder über die Motive des welschen Pflanzenbiologen, der seine Karriere für den Dienst des Herrn an den Nagel gehängt hat.

Kein Kommentar, die Interviewerin bleibt unsichtbar und mischt sich zumindest verbal nicht ein. Manchmal wünschte man sich eine kritischere Hinterfragung des Missionierungseifers und der Motive zur Entsagung. Das Nichteingreifen schafft aber auch Distanz. Erzählt wird ausschließlich von den Leuten im Bild, mit viel Off-Ton. Im Pariser Obdachlosenheim wechselt die Stimme des verantwortlichen Offiziers in dem Moment, wo die Schlafräume gezeigt werden, auf die darin hausenden Bewohnerinnen, die das Etablissement aus ihrer Sicht schildern, ohne im Bild identifizierbar zu werden. Ich liebe die Diskretion dieser minimalen Bild-Ton-Schere, die eigentlich fast keine ist, weil beides so nah am Thema bleibt, das Gesagte immer ganz dicht am Gezeigten.

Das soziale Drama, dem diese Institution ihr Dasein widmet, greift der Film im Pariser Zentrum beim weihnachtlichen Krippenspiel im Bananenschachteldekor auf. Hier trifft sich der biblische Mythos mit dem Elend der Randständigen und wird von ihnen in berührender Einfachheit inszeniert. Der Offizier in Uniform spielt Joseph, Maria ist eine ganz und gar ausgescherte Obdachlose. Da wird einem diese monumentale, undurchsichtige Organisation plötzlich ganz sympathisch.

Catherine Silberschmidt
ist freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2019)
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