IRENE GENHART

ERHÖHTE WALDBRANDGEFAHR (MATTHIAS ZSCHOKKE)

SELECTION CINEMA

Zum Auftakt ein Ohrwurm: »Erhöhte Waldbrandgefahr, erhöhte Waldbrandgefahr...« Die Melodie, komponiert von Rainer Rubbert und Stephan Wittwer, geht rein, beim ersten Hören schon. Der Text, ein poetischer Langzeit-Wetterbericht, ist merkwürdig und so befremdlich, daß er haftenbleibt. Das dazugehörige Bild ist stark und grotesk, erinnert an Magritte oder Robbe-Grillet: Zwei Männer in nicht mehr ganz jugendlich frischem Alter stehen am Meer. Nackt sind sie, wenden der Kamera den Rücken zu, ihre Popos hängen einsam in der Landschaft, der eine trägt einen Hut.

»Nehmen wir an, du begegnest einer Frau, mit der du gar nichts zu tun hast. Anderes Milieu, andere Generation, andere Welt. Und du schaust ihr eine Sekunde zu lange in die Augen. Was würdest du tun?« Die lakonische Antwort: »Handkuß und Weggehen.« Und als der Fragende insistiert: »Kein Handkuß - aber Weggehen.« Der kurze Dialog ist für Zschokke Ausgangspunkt für eine abstruse Liebesgeschichte, die eigentlich keine sein kann und trotzdem einen ganzen Film lang dauert. Der neben Dr. Siano, seines Zeichens Privatdozent, steht und antwortet, ist Mario Massa, der singende Wetterfrosch, ein Schlagerstar. Drei weitere Personen geistern durch den Film: Susanna, die junge Frau, die den etwas zu langen Blick des Doktors erwidert hat; eine einsame, ältere, reiche Dame, die den beiden Freunden frühmorgens vom Strandcafé aus beim Schwimmen zuschaut, und Felix, ein Bekannter Susannas. Abgesehen von kleineren Statistenrollen herrscht auf Zschokkes Besetzungsliste Ebbe. Sein Film, der, wie verbal behauptet wird, in einer Stadt am Meer spielt und fast einen Jahreszyklus umfaßt, in Tat und Wahrheit aber in den immergleichen grau-grauen und grau-blauen Wetter- und Farbtönen daherkommt und die Stadt nur in Fotos existieren läßt, zeichnet sich auch in Dekor und der Anzahl Spielorte durch große Kargheit aus. Obwohl fast zur Hälfte in offenen Räumen oder gar im Freien spielend, erreicht Erhöhte Waldbrandgefahr damit einen theatralischen und leicht klaustrophobisch wirkenden Kammerspieleffekt.

Die Vermischung von Meteorologie und Medizin - einem gängigen Kommunikationsverhalten der Menschen abgeschaut - thematisiert Zschokke in seinem Film in unzähligen Variationen und Nuancen. Gleichermaßen Ausdruck von Kommunikationswillen, fehlenden (gemeinsamen) Themen, aber auch einer Art Selbstverliebtheit (schon im Alltag unerträglich), erreicht dieses Gerede um Wetter und Gesundheit eine große Penetranz und wird irgendwann unerträglich. Denn wo gesunde Menschen wie Susanne und Felix sich als medizinische Versuchskaninchen hingeben, eine reiche alte Dame sich einen Film lang über Magenverstimmungen und Privatinseln äußern kann, ein vifer Sänger plötzlich gelähmt zusammenbricht, sich Azoren auf Poren reimt, in Liedern Leichentücher im Wind baumeln und fehlende Statisten den Hauch von töteliger Kurhausatmosphäre und Leere vermitteln, herrscht irgendwann bloß noch Langeweile und larmoyante Redundanz. Erhöhte Waldbrandgefahr ist ein nicht unkluger, aber sperriger Film, der sich schneller und unreflektierter Rezeption widersetzt und vom Zuschauer viel Geduld und Sitzleder verlangt.

Irene Genhart
geb. 1961, Studium der Germanistik, Philosophie und Filmwissenschaft in Zürich und Berlin. Verschiedene Praktika im Bereich Film und Medien, seit 1988 freie Filmjournalistin, seit 1991 Fachreferentin für Film, Theater, Photographie und Tanz an der Zentralbibliothek in Zürich. Eine Tochter, Zoe Sofie, geboren 1991.
(Stand: 2019)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]