Der fünfzigjährige Claude Muret aus Lausanne ist ein politisch denkender Mensch, ein engagierter Kommunist und 68er der ersten Stunde. Während dreizehn Jahren begleitete ihn der Staatsschutz gewissenhaft. Als Muret 1994 Einsicht in seine 500seitige Fiche erhielt, entschloß sich sein Freund Jean-Stéphane Bron – ein Absolvent des DAVI in Lausanne – zu einem Porträt, das ein Streifzug werden sollte durch das bewegte Leben eines Menschen aus einer Generation, welche die Gesellschaft verändern wollte. Gleichzeitig entstand ein Porträt der Überwacher, die um jeden Preis am Bestehenden festhalten wollten und glaubten, die Gesellschaft vor neuen Ideen schützen zu müssen. In Murets Fiche, diesem vom Staatsschutz angelegten Erinnerungsalbum, finden sich der Vietnamkrieg, die Dritte-Welt-Solidarität, die Kulturrevolution, der Mai 68 ebenso minutiös dokumentiert wie Gartenfeste und Telefongespräche zwischen Mutter und Sohn.
Muret hat viele Enttäuschungen erlebt, sich aber das Ideal einer gerechteren und menschlichen Gesellschaft erhalten. Schlagfertig, sensibel und selbstironisch kommentiert er sein politisches Engagement. Seine damaligen Freunde und Freundinnen aus dem Umfeld der »Jeunesse progressiste« berichten – durchgehend in verklärtem Ton – über die gemeinsame Zeit: die Wohngemeinschaften, Feste, Freundschaften, über Liebe und Lohnarbeit. Mit Ausnahme einer Freundin Murets: Sie erzählt von einem allen unbegreiflichen Selbstmord im Freundeskreis, von plötzlichem Mi߭trauen, von ihrer konstanten emotionalen Überforderung in der sogenannt freien Liebe.
Mitarbeiter der Nachrichtenabteilung des Kantons Waadt, im Volksmund »Brigade nuage« genannt, kommen ebenfalls zu Wort. Sie reden mit großem Ernst von ihrer damaligen Aufgabe, mit der sie sich auch heute noch identifizieren. Bron fragmentiert und anonymisiert ihre Gesichter in extremen Nahaufnahmen. Nur der ehemalige Polizist Ernest Hartmann erscheint ganz im Bild – ein ungewöhnlicher Ordnungshüter, der sein Metier mit Hingabe ausübte, nie Verstecken spielte, auf Demonstrationen immer mit Pfeife und Fliege erschien und auch schon mal spontan in die Internationale einstimmte. Er lamentiert über die heutige Jugend, die keinen Elan mehr habe, fast scheint es, als sehne er sich zurück.
Die Kamera registriert unprätentiös die sich Schlag auf Schlag folgenden, meist eloquenten, manchmal humorvollen Statements. Selten verlangsamt sich der filmische Puls – etwa wenn Muret oder seine Bekannte über die Grenzen ihres Versuchs, »das tägliche Leben zu revolutionieren«, nachdenken. Oder wenn Muret über unerreichte Ideale spricht: »Mein Vater sagte zu mir: Du wirst den Sozialismus erleben. Ich sage zu meinem Sohn, daß er den Faschismus erleben wird.«
Obwohl Brons Sympathien offenliegen, gelingt ihm ein lebendiges, manchmal fast liebevolles Bild sowohl von Überwachten wie Überwachern. Das eigentlich Faszinierende an Connu de nos services ist aber das Verfließen von Grenzen: zwischen Privatem und Politischem, zwischen Polizisten und Aktivisten. Bron denunziert die Staatsdiener nicht, er hört und sieht zu, wenn sie von ihrer nächtelangen Lektüre der marxistischen Literatur erzählen: schließlich hätten sie ihre »Feinde« verstehen wollen. Wohltuend ist der Humor der Überwachten, ihre Nachsicht mit ihren Widersachern. Dabei geht stellenweise fast vergessen, daß die Fichierung für manche sehr einschneidende Konsequenzen hatte. Iwan Rickenbachers Gasser und »Gasser«, der 1994 Späher und Bespähte aus der achtziger Bewegung porträtierte, ist von Mißtrauen, Wut und Enttäuschung geprägt. Connu des nos services strahlt – trotz zerschlagener Träume – Lebenslust und menschliche Wärme aus.