Schon während des Vorspanns äußern sich verschiedene Stimmen aus dem Off negativ über das Filmprojekt nach dem Tenor: »Poesie? Damit ist es vorbei.« Nach Mon cher sujet (1988) und Lou n'a pas dit non (1996) bezieht Anne-Marie Miéville in ihrem neusten Langspielfilm ganz klar eine Position des Widerstands: Kino ist demnach mehr als vergängliche Unterhaltung – auch wenn die, die das Sagen haben, nach wie vor versuchen, es darauf zu reduzieren. Kino ist ein poetischer Akt, Kino – aus Licht gemacht – schöpft seine Inspiration aus dem Licht der Poesie und der Philosophie.
Der erste Teil des Films erinnert daran, daß die gegenwärtige Epoche eng mit der Antike verknüpft ist. Der Dialog zwischen Aurore Clément und Bernadette Lafont ist wörtlich Platons Gorgias entnommen. Die Küche ersetzt die Agora, die Nähmaschine die Säulenhalle. Das kontrastreiche Nebeneinander von inhaltlicher Dichte, Alltäglichkeit des Dekors und schalkhafter Mimik fügt der platonischen Rhetorik ein Lächeln bei und kündet gleichzeitig von der Langlebigkeit der Ideen. Jean-LucGodard, Komplize und Lebenspartner der Filmemacherin, tritt allein auf die Bühne: Mit den Worten von Hannah Arendt macht er sich Gedanken über das Wesen des Totalitarismus.
Auf diese ersten zwei Tableaus, die von großer intellektueller Dichte sind, folgt ein dritter, etwas leichter zugänglicher Akt: ein neues Kapitel im ewigen Liebes-Krieg zwischen Mann und Frau. Wir sehen wieder zuerst Godard. Die Mütze tief in die Stirn gezogen, mit schmollendem Gesicht, erweist er sich als unwiderstehlicher Komiker. Dann tritt Aurore Clément auf: unruhig und strahlend, stark und zerbrechlich. Unkappbare Bande der Liebe und Verzweiflung fesseln die beiden bejahrten Liebenden – wie alle, die sich schon seit (zu) langem lieben – aneinander. Sie durchleben gemeinsam die Wechselfälle der Existenz, den Ärger, die Unannehmlichkeiten (als erste im Restaurant angekommen, werden sie als letzte bedient). Schwere Aphorismen fallen von ihren Lippen: »Der Optimismus ist die falsche Hoffnung der Feigen.« Aber sie haben auch Anwandlungen von Humor: »Überlassen Sie mir die Entscheidung, wo Schönheit entdecken«, schleudert ein mürrischer Godard einem fröhlichen Typen entgegen, der die Ode An die Freude pfeift. Die Fröhlichkeit anderer kann unerträglich sein. Mit Poesie reflektieren die beiden über die Schwierigkeit des Seins (»Die Seele reist gemächlicher als der Körper«). Sie bedienen sich der Worte der einfachen Leute, um sich ihre Liebe einzugestehen. Sie respektieren die etwas lächerlichen Rituale, die ihre Bindung bekräftigen, wie etwa der Abendspaziergang. Manchmal streift sie die Versuchung, Selbstmord zu begehen. Die Ironie entschärft aber sogleich wieder diesen Impuls, und abgestützt auf Platon und Arendt, gibt das Hoffen seine Rechte nicht auf. Der Humor ist allgegenwärtig: Wenn die Nostalgie manchmal von den beiden Liebenden Besitz ergreift, sind sie sich ihrer Lächerlichkeit bewußt, wenn sie dem Klang der Glocken von damals nachtrauern. »Glaubst du, daß am Ende der Nacht die Morgenröte (>aurore<) wieder anbricht?« Und da es Aurore Clément ist, die bebend diese Frage stellt, ist man versucht mit Ja zu antworten. Und Anna-Marie Miéville zu danken, die die Poesie wieder ins Kino fließen läßt und Licht ins Dunkel und den Obskurantismus der Moderne bringt.