RUEDI WIDMER

BLIND DATE (HEIKKI AREKALLIO, BIANCA CONTI ROSSINI, BLAISE PIGUET, ANTOINE PLANTEVIN, SAMIR, CHRISTOPH SCHAUB, ANKA SCHMID)

SELECTION CINEMA

«Blind Date»: Zwei Personen verabreden sich, ohne genau zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wer Geschichten über Blind Dates er­zählt, bewegt sich in einem mittlerweile klas­sischen Themenumfeld: Ausbrechen aus der Isolation, Schicksal spielen, Angst ausleben, Anerkennung oder einen Partner finden. Für filmische Umsetzungen hegt ein Motiv beson­ders nahe: Der Moment der Identifizierung («Sind Sie es?») wird von der Hauptfigur vor­weggenommen; die Phantasie zoomt ängstlich oder hoffnungsvoll heran, was sich in der rea­len Begegnung ereignen könnte. Zwischen Ab­machung und Begegnung legt sich das exzes­sive Spiel der antizipierenden Imagination.

Das Produktionskonzept, dem die ins­gesamt zwölf Blind Date-Filme ihre Existenz verdanken, sorgt lür inneren Zusammenhang, wenn nicht gar für eine gewisse Monotonie der Zugangsweisen. Die Filme bauen in grosser Mehrzahl ihre Geschichten auf Kontaktver­abredungen auf, die von einem Protagonisten bzw. einer Protagonistin her erzählt werden, einen Erwartungsdruck aufbauen und mit Mo­menten der Überraschung enden.

So verstärken Christoph Schaubs Einfach so und Blaise Piguels Le chevalier à la rose den inneren Erfolgsdruck ihrer jungen Protagonist­innen dadurch, dass sie dominante Elternteile auftreten lassen, bevor das Blind Date stattfin­det. Bei Schaubs Hauptfigur Angela ist es die Mutter, bei Piguets Seppi der Vater. Einfach so positioniert die nervöse Angela an der Bar eines noblen Restaurants, wo sie einem andern Blind-Date-Wartenden begegnet, der aber-wie sich erweist - nicht auf Angela wartet, sondern von einer anderen Frau an deren Tisch gebeten wird. Diese Verdoppelung der Blind-Date-Situalion mündet in eine überraschende, etwas simple Wendung: Durch einen Unfall von Angelas tfund wird die Barbekanntschaft den­noch zur möglichen Liebschaft. Das Potential der sich bis dahin dicht und schauspielerisch überzeugend entwickelnden Story wird so nicht optimal ausgeschöpft. Le chevaher à la rose gebärdet sich mysteriöser und phantasti­scher, um schliesslich zu einer ebenso «flachen» Auflösung zu gelangen: Firne ganze Serie von Personen, welche im Zug nach Lausanne dem ländlichen Annoncenaufgeber Seppi begegnen, erweist sich als alptraumhafte Familie von Rosa (mit der sich Seppi eigentlich treffen wollte).

Wo Schaub und Piguet ihre Geschichte relativ unsanft auf den Boden überraschender «Tatsachen» herunterholen, hebt Samirs Ange-Uque in einer stetigen Bewegung ab - der Schluss seiner Liebesphantasie bietet einen veritablen Angst-Lust-Abilug mit himmlischer Landung im Bett. Von Anfang an wird drama­turgischer Ballast abgeworfen: Der von Bezie­hungsangst geplagte Alessandro braucht im Grunde nur einen ersten Blick auf die überaus attraktive Angelique im Bistro zu werfen, um die panische Flucht durch Genf zu ergreifen, während sich parallel dazu der Film aus den Fesseln von Plausibilität und realistischer Ver­ankerung befreit.

Anka Schmids Little Sister bleibt rundum darin haften. Wir sehen die Pöstlerin Lisa in einem Geschehen, das weder grosse Wendun­gen noch veritable Begegnungen kennt, son­dern von einer innerlichen Befreiung handelt, die sich im Äusseren bloss spiegelt: die gestoh­lenen Postkarten in Lisas Badczimmerisola-tion, dann eine Annonce durch ihre Schwester, schliesslich die Briefe und Fotos von Bewer­bern, welche Lisa mit neuem Selhstbewusstscin in die Welt hinaustreten lassen.

Begleitfiguren wie Lisas Schwester (Little Sister), Angelas Hund (Einfach so) oder Rosas Vater (Le chevaher a la rose) sind notdürftig in die Filme eingebaut. Sie entwickeln eine über­grosse Präsenz, ohne zusätzliche Dimensionen zu erschliessen. Besser verschränkt mit der übrigen Handlung ist etwa die Oberin in l.es voies du seigneur von Antoine Plantevin - eine brav-frivole Farce um eine junge Nonne, die mit stetigem Schielen auf den Ffimmel einen f läftling auf Urlaub empfängt. Oder die Toch­ter der I fauptfigur in Bianca Conti Rossinis Joyeux Noch Das achtjährige Mädchen öffnet in prägnanten, gut orchestrierten Dialogfetzen ein dichtes Netz von Bezügen rund um das Blind Date, welches am Weihnachtsabend zwi­schen der Mutter und dem potentiellen Vater stattfinden soll.

Conti Rossinis Film scheitert erst dort, wo es gilt, die gekonnt aufgebaute Phantasie dynamik zwischen Tochter und Mutter auf-und einzulösen. Joyeux Noel wird selbst zum Opfer der Falle, die der Film autbaut: Die Er­scheinung der «angekündigten Person» nimmt die vorher entwickelte Vielschichtigkeit weg und setzt einen (absehbaren) Knalleffekt, wo ein feiner Schlussakkord gefragt wäre. Der Vor­hang reisst mit einer zünftig-absehbaren Über­raschung, und damit hat es sich. So auch in L'haacnda du honheur von Ffeikki Arekallio: Die sorgfältig exponierte Figur der alleinerzie­henden Mutter Silvia findet den begütert klin­genden anonymen Telefonpartner abrupt im Fenster des Nachbarhauses wieder - als Auf­schneider, mit dem sich nun plötzlich ein reali-tätsnahes Gläschen Wein verabreden lässt. Die Pointe erinnert an TV-Werbung.

Vier der fünf Filme, die nicht in die Kino­serie Blind Date aufgenommen wurden, folgen einem ähnlichen Muster: Phantasie seitens der Protagonisten und /oder Zuschauer, die ein wenig wuchert und schliesslich in mehr oder weniger grob erzählten Momenten der Desillusionierung in eine alltäglichere Sphäre zurück­geholt wird. In Bacigalupo (Robert Bouvier) ist es eine Frau, die sich im Cabaret von einem «blinden» Maler via tastende Strcicheleinheiten malen und verzaubern lässt. Toms Eraumjrau (Manuela Stingelin) zeigt den Titelhelden auf der Suche nach einer ihm prophezeiten, musik­interessierten Traumfrau, die sich dann als Bäckerin (und, wie gehabt, Nachbarin) ent­puppt. Jacqueline Surchats Monsieur Vuah' Lässt eine ältere Witwenn mit einem netten Jungen in die Irre gehen. Pfeffer und Sab. (Martin Ren­gel), der sich formal wohltuend von den übri­gen Filmen abhebt, vermischt Bilder von einer orientalischen Frau mit telefonischen Dialog­fragmenten zweier Menschen auf dem Weg zu einer Verabredung.

Die meisten Filme - ausgenommen viel­leicht Angelique - haben ihre liebe Mühe dort, wo sich Tonarten des Phantastischen oder Traumatischen mit grotesk-komischen Momenten verschränken (sollten). Marcel Gislers Madeleine, der daraufhin angelegt ist, scheitert an seiner Schwerfälligkeit. Der unbeholfene Feuerwchrmann Pierre wird von seiner Blind- Datc-Traumfrau erst geliebt, als er sie aus einerrealen Feuersbrunst erretten kann. Viel zu selten — das lässt sich wiederum von der Blind Date-Serie insgesamt sagen — stimmt das Verhältnis zwischen dem szenischen Aufwand und dem emotionalen, humoristischen oder poetischen Ertrag. Aus einem grossen Effort des Augenzwinkerns — oft mit guten Schauspiclcrleistungen — entwickelt sich zumeist ein ziemlich kleiner Charme.

Ruedi Widmer
geb. 1959, ist freier Journalist in den Bereichen Film und elek­tronische Medien, studierte audiovisuelle Medien und Philosophie in Paris und Zürich.
(Stand: 2018)
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