MERET ERNST

BOX OFFICE — EIN GESPRÄCH MIT MAX DIETIKER

ESSAY

Bis die Kasse stimmt, muss einiges getan werden: Filmmarketing ist das Zau­berwort, das die Lücke zwischen Produkt und Auswertung schliessen soll. Marketingmassnahmen sorgen für Schlangen vor der Kinokasse, für förder­liche Filmkritiken, eine gewisse Medienaufmerksamkeit und zufriedene Inves­toren. Die Instrumente, die dem Verleih zur Verfügung stehen, sind vielfältig; einige davon zeichnen sich durch den einigermassen optimistischen Glauben an die Messbarkeit von Publikumswünschen aus. Zu Recht - allerdings nur, wenn man sie interpretieren kann, meint Max Dietiker, Direktor des Filmverleihers United International Pictures (Schweiz) GmbH. Dietiker lernte die Arbeit des Filmverleihers von Grund auf: Ende der Sechzigerjahre stieg er bei der ehe­maligen Rialto ein, 1972 folgte der Wechsel zu Universal, der Vorgängerin der CIC, der Verleihorganisation für Paramount und Universal, aus der wiederum die UIP entstand. 1985 gründete er die Take Two Publicity AG mit dem Ziel, in der Schweiz ein professionelleres Filmmarketing zu etablieren. Neben zahl­reichen Mandaten für Schweizer und auch Independent-Produktionen hat die Take Two Publicity auch für die UIP gearbeitet - das zweite, finanziell abgesi­cherte Standbein war nötig auf dem kleinen Schweizer Markt. Seit 1997 arbei­tet Dietiker wieder bei der UIP. Er äussert sich im Gespräch über die Anforde­rungen und Grenzen des gemachten Erfolgs, über den Umgang mit den dazu nötigen Marketingtools und das notwendige Gespür für das eigene Publikum.

Meret Ernst: Kommerzieller Erfolg in der Filmbranche berechnet sich seit jeher aus den Produktionskosten und den Einnahmen durch die Auswertung. Was bedeutet für einen Verleiher, der amerikanische Filme auf den Markt bringt, kommerzieller Erfolg in einem Land wie der Schweiz?

Max Dietiker: Es gibt eine einfache Antwort darauf: Als Verleiher spreche ich dann von einem kommerziellen Erfolg, wenn ich schwarze Zahlen schreiben kann - geht die Rechnung auf, bleibt etwas unter dem Strich, sind wir als kom­merziell denkendes Unternehmen erfolgreich. Natürlich ist die Sache etwas komplizierter, wird doch die Rechnung durch andere Faktoren wie Publikums­geschmack und Marketing beeinflusst. Man kann die Kosten für die Lancierung eines Films übermässig hoch schrauben, und dann ist der Film im Kino, läuft gut, ist ein Publikumserfolg, aber kommerziell bleibt das Ganze trotzdem ein Misserfolg.

ME: Wie beschreiben Sie vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung mit der Aus­wertung von Schweizer Filmen die Entwicklung des Filmmarketings in der Schweiz?

MD: Generell ist festzuhalten, dass die Marketinganstrengungen massiv gestie­gen sind. Anfang der Siebzigerjahre wurde das Filmmarketing hier zu Lande überhaupt nicht professionell betrieben. Die Entscheidung darüber, wie ein Film vermarktet werden sollte, wurde viel eher nach Geschmacks- als nach aus­differenzierten Erfolgskriterien getroffen. Heute arbeiten wir mit internationa­len Marketingplänen, Kampagnen, Berechnungen, Ratings, Definitionen von Zielpublika, Einstufung in Altersklassen und so weiter. Früher hingegen budgetierten Schweizer Filmproduzenten meist nur so weit, bis der Film fertig gestellt war; für die Auswertung und die Pressearbeit blieb kein oder fast kein Geld mehr übrig. Das Verständnis, dass man den Film auch professionell ver­markten muss, war einfach nicht vorhanden. Dieses Denken wollten wir mit der Take Two Publicity AG, die wir 1985 gründeten, voranbringen. Heute wird dieses Verständnis auch in den Filmschulen besser gefördert. Das geht bis hin zu Kursen für Operateure, in die wir unsere Anliegen trugen. Auch ganz kleine Filmproduktionen wollten damals von uns beraten werden. Zum Beispiel Franz Kälin, der in Einsiedeln einen 16-mm-Film drehte, Rampass, ein Film über das Problem, dass Jugendliche im Auto rund um den Sihlsee rasten. Auf den Pipp des Produzenten Edi Hubschmid hin kam Kälin zu uns und suchte Rat für Werbung und Pressearbeit. Schliesslich organisierten wir für seinen Film auch Kinos, die eine 16-mm-Auswertung anbieten konnten. Es tat uns gut zu sehen, dass Berührungsängste abgebaut wurden. Zu Beginn hiess es oft, wir seien «Amerikaner» und könnten nur grosse Kisten lancieren. Wir bewiesen das Gegenteil: Man kann vom Marketing her sowohl einen James-Bond-Film lancieren wie auch einen kleinen Schweizer Film, einen Studiofilm oder was auch immer - das ist nicht eine Frage des Budgets, sondern der Ziel vorgabe und der Qualität des Produkts.

ME: Den richtigen Film ans richtige Publikum zu bringen: Ist dieses Ziel wirk­lich vergleichbar bei einer 100-Millionen-Produktion und einem kleinen In­dependent-Film?

MD: Ja, mit dem, was man hat an Marketingmöglichkeiten. Was man nicht hat, muss professionell erarbeitet werden. Bei kleinen Produktionen ist ein anderes Vorgehen wichtig: weniger klassische Werbung, dafür mehr redaktionelle Bei­träge, für die man sich Aufhänger ausdenken muss, bis hin zu Berichten über die Dreharbeiten. Die drei Standbeine der Filmlancierung - klassische Wer­bung, Promotion, Pressearbeit - sind für jede Produktion wichtig. Je nach Grösse, Budget und Inhalt ist der Werbeanteil und der Anteil an Promotion höher oder weniger hoch. Aber die Pressearbeit muss immer sorgfältig gemacht werden, und das ist schlicht und einfach inhaltliche Arbeit. Jeder Film ist ein Produkt für sich, jeder Film muss einzeln angeschaut werden, die Unterschei­dung zwischen dem amerikanischen und dem Schweizer Film ist in dieser Hin­sicht irrelevant. Wichtig ist allein das Know-how, die Einstellung zum Produkt: Will man den Film machen, damit er gemacht ist, oder will man, dass möglichst viele Leute ins Kino gehen und ihn anschauen.

ME: Wie teuer wird es für Sie, wie teuer wird es für unabhängige Verleiher, wenn ein Erfolg gemacht werden soll?

MD: Rein kommerziell gesehen, gibt es keinen Unterschied zwischen so ge­nannt unabhängigen und abhängigen Verleihern, die Schweizer Filme, und sol­chen, die US-amerikanische Filme ins Kino bringen. Die Unterschiede haben viel eher mit der Tätigkeit des Verleihers zu tun und der Art und Weise, wie diese Tätigkeit einen Kinostart beeinflusst. Die Arbeit des Direktors eines ame­rikanischen Filmverleihs und die eines unabhängigen Schweizer Filmverleihers sind in vielen Belangen zwei verschiedene Berufe. Wobei sich natürlich auch die unabhängige Verleihszene verändert hat und heute nicht mehr ganz so extreme Unterschiede vorhanden sind. Vor Jahren gab es noch etwa 15 unabhängige Schweizer Filmverleiher, heute sind das noch die Elite-Film, Frenetic, Film­cooperative, zwei, drei kleinere, die von der Romandie aus operieren und die auch produzieren; Columbus darf man nicht vergessen. Der unabhängige Ver­leih ist dauernd darum besorgt, woher er die Filme für die nächsten Monate bezieht. Die Verantwortlichen müssen Festivals und Filmmärkte besuchen und mit verschiedensten Lieferanten Verträge abschliessen. Das ist eine zeitrau­bende, spesenintensive Arbeit. Die nötigen Mittel und die Zeit für die Lancie- rung und das Marketing können dabei schon mal auf der Strecke bleiben. Wir dagegen haben unser Produkt, das wir aus den amerikanischen Studios bezie­hen - um den Einkauf müssen wir uns nicht kümmern.

ME: Welche Rolle spielt das Feedback, das Sie als Direktor des Verleihs Schweiz an die Produktion geben? Beeinflusst es die Entscheidung, welche Filme in Europa eine Erfolgschance haben sollen?

MD: Nein, wir Schweizer haben keinen direkten Einfluss darauf, welche Filme produziert werden. Die Trendforschung ist viel wichtiger. Abgesehen davon sind heute viele Filme Koproduktionen mit europäischen Finanzpartnern, die eher mitreden, welcher Film produziert wird und welcher nicht. Der Verleih hat viel weniger Einflussmöglichkeiten auf das Angebot.

ME: Trotzdem, wer bestimmt darüber, welche Filme aus dem Angebot des Pro­duzenten hier in der Schweiz gezeigt werden?

MD: Das Feedback über den Verleih in Europa beeinflusst die Auswahl natür­lich schon. Wir kennen unser Publikum besser, als das die Amerikaner tun. Jeden Film, den wir im Programm haben, visionieren wir möglichst früh. Dann beginnt je nach Produkt die Marketingplanung; es sei denn, es handelt sich um ein Genreprodukt - einen James-Bond-Film muss ieh nicht erst gesehen haben, um den Filmstart vorzubereiten. Solche Filme sind programmierte Erfolge. Aber bei anderen Filmen wird auf Grund der Visionierung entschieden, wie der Film herausgebracht wird, damit er möglichst grossen Erfolg hat: wann, mit wie vielen Kopien - in Originalsprache oder synchronisiert -, wie hoch sein kom­merzieller Wert ist, wie viel Geld wir für Werbung, Promotion und Pressearbeit überhaupt sinnvoll einsetzen können. Dabei helfen uns genaue Analysen und Kostenberechnungen, die den kommerziellen Wert des Produkts ausweisen.

ME: Gibt es Mentalitätsunterschiede innerhalb der europäischen Länder, die sieh in der Einschätzung des Erfolgspotenzials der Filme auswirken?

MD: Es sind etwa die gleichen Filme, die wir zum Beispiel in Italien und in der Schweiz zeigen. Deren Bewertung aber kann völlig unterschiedlich ausfallen. Den kommerziellen Wert des Zeichentrickfilms Rug Rats schätzten wir völlig unterschiedlich ein, und zwar ohne Absprache. Alle drei deutschsprachigen Länder hielten die Erfolgschancen für klein. Frankreich, Italien und Spanien schätzten den Film positiver ein. Und es war tatsächlich so: Gut lief der Film in Spanien und Italien, weniger gut in Frankreich, und schlecht im deutschen Sprachraum. Auch in der kleinen Schweiz stellt man fest, dass einige amerika­nische Filme in der Romandie besser laufen als in der Deutschschweiz und umgekehrt. Solche regionalen und auf die Mentalität bezogenen Unterschiede gibt es. Unter den Verleihern der verschiedenen Länder sprechen wir diese Einschätzungen nicht ab. Abgesprochen wird allerdings die Terminierung der Filme, die mit Deutschland, Frankreich und Italien koordiniert werden. Wir müssen uns oft nach den andern Ländern richten, auch gegen unseren Willen: Wenn in Deutschland ein Film erst im Oktober in die Kinos kommt, können wir nicht bereits im August vorpreschen, da wir stark von der Filmwerbung in den deutschen Medien profitieren, die ja nicht an der Landesgrenze stehen bleibt, ebenso wenig wie die Kritik. Abgesehen davon brauchen wir je nach Genre immer mehr deutsche Kopien, um erfolgreich zu sein. Der Wunsch dringt von den Grenzkantonen immer weiter ins Landesinnere. Erst waren cs nur Kinos in Schaffhausen und Sankt Gallen, die deutsche Kopien verlangten, danach Zürich und Teile des Aargaus. Heute werden in Bern noch wenig deut­sche Kopien verlangt, aber der Druck steigt, wie uns die Kinos mitteilen.

ME: Wie wissen Sie, welche Filme in welchen Ländern gern gesehen werden? Ist das Erfahrungswissen? Oder helfen Ihnen dabei Marketingtools wie Previews, Marktanalysen, Publikumsbefragungen?

MD: Alle d iese Instrumente gibt es. Nicht immer werden sie alle für einen ein­zelnen Film eingesetzt, aber richtige Marktforschung wird in der Schweiz so­wieso nicht betrieben. Dagegen werden die Filme in Deutschland, Frankreich und Italien im Vorfeld regelmässig getestet. Das beginnt bereits bei den Trailern und den Poster-Artworks, die durch professionelle Meinungsforschungsinsti­tute nach einem internationalen Standard getestet werden.

ME: Sie übertragen also die Resultate von deutschen, französischen und italie­nischen Umfragen auf Schweizer Verhältnisse?

MD: Uns interessieren die Ergebnisse dieser Meinungsumfragen. Sie müssen allerdings nicht immer im gleichen Masse auch für die Schweiz gelten. Abgese­hen davon gibt es regionale Unterschiede auch zum Beispiel in Deutschland. Ein Film wird im Ruhrpott anders bewertet als in München, der Unterschied der Filmkultur zwischen Ost- und Westdeutschland ist deutlich spürbar. Un­kritisch lassen sich solche Resultate also nicht auf die Schweiz übertragen. Aber die Umfragen ergeben zumindest Anhaltspunkte. Im Vorfeld kann man Mei­nungsumfragen lancieren über Sujets, Trailer oder fertig gestellte Filme - sogar über das Werbematerial. Der Bekanntheitsgrad eines Filmtitels wird ebenfalls häufig bewertet: Wie gross ist der Anteil der Bevölkerung pro Altersstufe, der den Filmtitel schon einmal gehört hat? Das gibt uns ein Kriterium in die Hand, um den Werbeaufwand besser zu steuern. Einen Monat vor dem Start des Films beträgt dieser Anteil vielleicht 15 Prozent; wenn die Werbung, die Bericht­erstattung über den Film und die Filmkritik in den Medien einsetzt, dann steigt dieser Anteil entsprechend. Aber auch hier muss man aufpassen: Fs gab Fälle, in denen der Bekanntheitsgrad eines Filmtitels sehr hoch war, aber im Kino ist der Film trotzdem gefloppt; oder umgekehrt, der Bekanntheitsgrad war klein und alle überlegten angestrengt, was man noch unternehmen könnte, und trotzdem lief der Film gut. Mit anderen Worten: Wer nur auf die Zahlen der Markterhebungen vertraut, kann schon einmal nervös werden. Wenn man ein gewisses Erfahrungswissen mitbringt, lassen sich solche Daten einfach besser beurteilen. Sogar wenn das eigene Gefühl den erhobenen Zahlen widerspricht.

ME: Wie schätzen Sie die Gefahr eines Marketing-Overkills ein, also der Flop nicht an der Kasse, sondern im Marketing?

MD: Ein Overkill ist immer schlecht, passiert aber selten. Er tritt vor allem ein, wenn die Werbung zu früh einsetzt oder wenn die Starts in Amerika und Europa zeitlich zu weit auseinander liegen. Bei einem grossen Film wie Batman frustrierte man die Feute, weil sie während Monaten mit Werbung überschüttet wurden und das ganze Merchandising schon lange vor dem Filmstart einsetzte. Bis endlich der Film in die Kinos kam, verspürte man den totalen Überdruss. Ganz abgesehen davon, dass dieser Film nicht hielt, was er versprochen hatte. Je mehr im Vorfeld ein Film gepusht wird, desto höher werden die Erwartun­gen geschraubt, die dann immer schwieriger zu erfüllen sind, jüngstes Beispiel in der Schweiz ist wohl Star Wars Episode 1. Batman - das war ein klassischer Overkill. Bei Jurassic Park sind wir grade noch davongekommen. Ich hatte wirklich meine Befürchtungen - wenn der Film nicht endlich in die Kinos gekommen wäre, ich weiss nicht. Allerdings hielt Jurassic Park auch als Film, was er versprach. Von einem gewissen Moment an können wir als Verleiher den Hype einfach nicht mehr kontrollieren. Jurassic Park ist dafür ein gutes Bei­spiel: Wenn ein Film so populär wird, dass nicht nur sämtliche Medien darüber berichten, sondern auch noch jede zweite Branche auf den Werbefeldzug auf­springt - bis hin zum Zoo, der eine Dinosaurier-Ausstellung präsentiert und zur Metzgerei, die «Dino-Fleisch» verkauft -, das können wir einfach nicht mehr kontrollieren.

ME: Die Schweiz war in der Stummfilmzeit ein Land, das eine sehr reiche Film­kultur aufwies: Filme aus allen wichtigen Produktionsländern wurden hier ge­zeigt, fast so, als würde die fehlende eigene Produktion im Kino kompensiert. Heute ist diese Vielfalt nicht mehr gegeben. Die Dominanz amerikanischer Filme im Kinoprogramm ist unbestritten. Sehen Sie den Verlust an Vielfalt auch als Marketingnachteil, weil das Angebot insgesamt zu gleichwertig wird und das Marketing kaum mehr glaubwürdig mit Superlativen operieren kann?

MD: Die amerikanische Filmindustrie ist durch Europäer entstanden, notabene. Ich wehre mich dagegen, dass die amerikanische Filmindustrie nur die Einheits­produktion der Studios sei. Es gibt auch Independent-Produktionen, die sich nicht in dieses Schema pressen lassen und die hier durchaus gezeigt werden. Der puertoricanische und der «schwarze» Film erreichen in Amerika ein sehr grosses, Millionen zählendes Publikum. Natürlich gibt es daneben den Ein­heitsbrei; den gibt es freilich in Europa auch, vielleicht weniger häufig oder nicht so professionell und gross produziert. Abgesehen davon steckt viel euro­päisches Geld in Hollywood-Produktionen - Hunderte von Millionen Dollar werden in die Zusammenarbeit mit den grossen Studios in den amerikanischen Filmmarkt gepumpt. Europa hat eine grössere Vielfalt der Filmkultur, sicher; dagegen ist Amerika viel einheitlicher.

ME: Ein anderer Vorwurf, der viel mit dem Erfolgsdruck durch die immer grös­seren und opulenter vermarkteten Produktionen zu tun hat, besteht darin, dass die Europäer es einfach nicht verstehen, die Filmförderung so zu gestalten, dass diese eine wirksame Antwort auf die amerikanische Marktdominanz geben könnte.

MD: Einerseits ist Kulturförderung Sache des Staates. Ich bin aber auch damit einverstanden, dass es andere Modelle geben kann, um Förderungsgelder zu generieren. Die momentan diskutierte Lenkungsabgabe ist in meinen Kreisen natürlich umstritten. Anderseits halte ich die strikte Trennung zwischen einem selbsttragenden, kommerziellen Angebot und einer staatlich alimentierten Filmkultur für viel zu krass. Kommerz und Filmkultur kann ja nicht einfach getrennt werden, das eine ist mit dem anderen verbunden. Überhaupt sind die Kategorien unscharf. Man muss zum Beispiel diskutieren, was Vielfalt ist. Ist Vielfalt gegeben, wenn man viele verschiedene Filme im Kino zeigt, oder erst dann, wenn man Filme aus verschiedenen Ländern anbietet? In diesem Sinn: Filmförderung ganz klar ja, aber nicht auf dem Buckel der Erfolgreichen. Denn Lenkungsabgaben bestrafen letztlich die kommerziell Erfolgreichen.

ME: Sie sind sehr nahe am Publikum, haben naturgemäss ein Sensorium für Verschiebungen im Publikumsgeschmack. Was halten Sie vom Versuch, die staatliche Filmförderung mit einem kommerziellen Erfolgskriterium wieder näher heim Publikum anzusiedeln?

MD: Es ist nicht Sache des Staates zu entscheiden, was von der Qualität her für das Publikum gut ist und was nicht, oder gar in einer Verordnung festzulegen, was Publikumsgeschmack ist. Erfolgsabhängige Filmförderung generiert Geld, das ist prinzipiell schon der richtige Mechanismus. Ich behaupte auch nicht stur, Kulturförderung sei allein Sache des Staates, sondern sie sei vorwiegend Sache des Staates. Die Industrie kann sicher in die Filmförderung mit ein­bezogen werden, aber nicht unbedingt mit dem Modell einer Lenkungsabgabe, deren Ausgestaltung abgesehen davon noch völlig offen ist.

Meret Ernst
geb. 1966, promovierte Kunsthistorikerin. Arbeitet als Ausstellungsmacherin und Publizistin mit Schwerpunkten zeitgenössische Kunst, Grafik und Design. Seit 1999 Mitglied der CINEMA-Redaktion. Taucht seit sechs Jahren.
(Stand: 2018)
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