Ein Einkaufszentrum in der Nähe von Bern holt zum grossen Werbccoup aus: Nach dem Vorbild einer erfolgreichen TV-Sendung wird nach dem ultimativen «Traumpaar» gesucht. Heiratswillige Paare müssen sich zur Erlangung dieses Titels in einem Wettbewerb messen. Als Preis lockt die vom Shoppingcenter organisierte Hochzeit im Wert von 70000 Pranken: Vom Brautkleid über die Trauringe bis zum Festessen und dem «Oh Happy Day» intonierenden Gospel-Chor wird die gesamte Feier vom Einkaufszentrum finanziert.
Für ihre Abschlussarbeit am Departement audiovisuel de l’Ecole cantonale d’art de Lausänne (Davi) begleitete Jeanne Berthoud die Vorbereitungen und Durchführung der Traumhochzeit. Allein mit der Wahl des Themas ist ihr dabei ein Glücksgriff gelungen. Von Anfang an wirkt die geschickt montierte Chronologie der Ereignisse wie eine souverän arrangierte Inszenierung - streckenweise ist kaum zu glauben, dass das Gezeigte der Realität entspringt; zu skurril wirken die dargcstellten Abläufe.
Bereits bei der Auswahl des Traumpaars wird klar, dass der Werbegag zu einer veritablen Realsatirc ausufert. Das verantwortliche Marketingteam favorisiert einzelne Paare, fiebert mit ihnen mit und muss mit schlecht überspieltem Bedauern die Wahl des Publikums akzeptieren, denn das Siegerpaar wird gutschweizerisch per Abstimmung gekürt. Dass die Siegerbraut aus Deutschland und nicht wie erhofft aus der Umgebung des Berner Shoppingcenters stammt, verursacht den Organisatoren des Hochzeit-Happenings zusätzlich Kummer. Immerhin weiss sich die Gewinnerin gebührend über ihren Erfolg zu freuen: «Darf ich mal schreien?», fragt sic, als ihr per Telefon mitgeteilt wird, dass sie und ihr Bräutigam zum Traumpaar gewählt wurden. Sie darf - und tut es sogleich ausgiebig, so wie es sich, den exaltierten Gewinnerreaktionen aus TV-Quizsendungen entsprechend, gehört.
Doch bis die Siegesfreude auch in der Realisierung der Elochzeit ausgekostet werden darf, sind noch etliche Hindernisse zu überwinden. Immer wieder stösst das an der Grenze zur Überforderung agierende Organisationsteam auf neue Schwierigkeiten, die in Krisensitzungen gelöst werden müssen. Sei es, dass sich die Braut nicht mit dem Farbkonzept der Dekoration anfreunden will (die Feier soll in den Farben des Logos des Einkaufszentrums abgehalten werden), sei es, dass die Kirche die geplante Trauung zwischen Lebensmitteldoscn und Möbelauslagen als blasphemisch brandmarkt und dadurch der angestrebte PR-Erfolg in einen Skandal und Imageverlust umzukippen droht. Fast rührend ist es, den übereifrigen Organisatoren bei ihrem ungelenken Krisenmanagement zuzuschauen.
Darf ich mal schreien ist ein kleines Filmjuwel von überwältigender Komik. Berthoud braucht die Umstände der «Traumhochzeit» nicht explizit zu kritisieren; dies nehmen ihr die Beteiligten mit ihrer unfreiwilligen Komik ab. Die im Shoppingcenter inszenierte Scheinwelt - für die Trauungszeremonie werden Pappkulissen einer Hochzeitskapelle vor den Schaufensterauslagen aufgebaut - soll werbewirksam den Brückenschlag zwischen dem auf puren Kommerz ausgerichteten Konsumparadies und romantischem Gefühl schaffen. Tatsächlich aber ist die von Sicherheitsleuten bewachte Hochzeitszeremonie nicht mehr als eine kurze Unterbrechung der Einkaufsabläufe: «Wir danken allen Beteiligten für ihre Disziplin», lässt am Ende des Films die Lautsprecherstimme verlauten, die sonst tagesaktuelle Einkaufsaktionen verkündet. Die Realsatire ist zu einem Ende gekommen - endlich darf wieder ungestört eingekauft werden.