THOMAS SCHÄRER

PAUN JESTER HA SIAT CRUSTAS (FREMDES BROT HAT SIEBEN KRUSTEN) (CHRISTIAN SCHOCHER)

SELECTION CINEMA

Zu sanften Klavierklängen rückt ein Bagger einem ausgedienten Hotel an die Mauern. Kontrapunktisch beginnt Christian Schocher seine neueste bündnerische Heimaterkundung. Nach Die Kinder von Fuma (1975), Engiadina (1985) und Jahre später (1997) schenkt er seine Aufmerksamkeit ehemaligen Angestellten ver­schiedener Engadiner Luxushotels. Kellner, Zimmermädchen und Chasseurs (Hoteldiener) erzählen, wie das früher mit den noblen Herr­schaften war, die sich manchmal viermal am Tag ein Nickerchen genehmigten, und wie jedesmal das Bett neu zu machen war; sie erklären, wie das Lohnpunktesystem funktio­nierte und dass man ohne Trinkgeld nicht über­leben konnte. Schocher registriert die Aussagen kommentarlos, streift mit der Kamera durch leere Gänge und Foyers und schaut sich - zu nostalgischer Klaviermusik - gestapelte Stühle, Silbergeschirr und Kronleuchter an.

Nur zurückhaltend kommen die Men­schen, die ihr Leben lang fremde Bedürfnisse befriedigten, auf ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche zu sprechen. Und doch trauern sie etwas nostalgisch dem Glanz von damals nach, obwohl die Zeiten für sie hart waren. Früher, da hätten die Gäste abends Smoking getragen: «I don’t want to look like a waiter», heisse es heute. Bei aller Bescheidenheit strah­len viele der ehemaligen Angestellten ein würdevolles Bewusstsein, mitunter auch Stolz aus, eine vergehende und glanzvolle Epoche der schweizerischen Luxushotellerie mitgeprägt zu haben. Die Concierges, deren absolute Dis­kretion ihre berühmten Gäste zu schätzen wussten und wissen, eifern ihrem Berufsethos am ausgeprägtesten nach. Die heutigen, mehr­heitlich ausländischen Angestellten sehen das nüchterner.

Schocher begegnet allen einfühlsam und zurückhaltend. Leider vermag diese stille An­teilnahme nicht den ganzen Film über zu fes­seln; daran ändern auch ein Männerchor-Inter­mezzo und die zahlreichen schön kadrierten Fahrten durch Hotellabyrinthe wenig: Zu aus­schliesslich klebt die Kamera an den Erzählen­den. Eine Welt ausserhalb der Hotels und deren Vergangenheit scheint es nicht zu geben. Viel­leicht ist dies auch die biografische Quintessenz vieler ehemaliger Angestellten.

Thomas Schärer
geb. 1968, studierte Geschichte und Film-/Theaterwissenschaft in Zürich und Berlin, seit 1991 freie (film)journalistische Arbeiten, ab 1992 Programmgestaltung an der Filmstelle der Zürcher Hochschulen.
(Stand: 2019)
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