DORIS SENN

PAS DE CAFÉ, PAS DE TÉLÉ, PAS DE SEXE (ROMED WYDER)

SELECTION CINEMA

Maurizio liebt Nina. Kennen gelernt hat er sie in Paris, leben möchten sie gemeinsam in Genf. Weil Maurizio aber selbst die Schweizer Auf­enthaltsbewilligung nur dank einer Schein­heirat besitzt, bittet er seinen besten Freund Arno, Nina zu heiraten.

Arno lebt in einem Genfer «squat», einem besetzten Haus, praktiziert Zen und ist schon seit längerem solo. Mit den Attributen «pas de café, pas de télé, pas de sexe» umreisst Arnos Wohnpartnerin nicht allzu ernsthaft seine Le­bensprinzipien. Kaum in Genf, muss Maurizio wieder für ein paar Tage zurück nach Paris. Nina bleibt bei Arno, sie lernen sich näher kennen, und das Unvorhergesehene passiert: Sie verlieben sich und verbringen eine Nacht zusammen. Doch Nina liebt Maurizio noch immer, und entscheiden will sie sich vorläufig nicht.

Unforciert und pointiert zeichnet der Film mit einem sicheren Gefühl für die Zwi­schentöne die Dynamiken dieser Menage à trois. Die 68er und ihre Euphorie sind fern - in den Neunzigern gibt man sich bescheidener und hat nicht unbedingt den Anspruch, die kommunitären Prinzipien auch ins Gefühls­leben zu transponieren. So erzählt Maurizio zwar grossspurig von seinen Affären und sei­nem Grundsatz, zwischen Sex und Liebe zu unterscheiden, um dann nicht ganz so souverän über die Affäre Ninas zu stolpern. Und Arno möchte Nina ganz für sich, möchte Alltag und Zukunft mit ihr teilen. Doch Nina bleibt dabei: Für sie gibt es kein Entweder-oder. So zieht Arno sich zurück. Die Hochzeit - in Weiss - wird aber trotzdem gefeiert, als Marzipan­verzierung auf der Hochzeitstorte liegen drei zusammen im Bett.

1995 drehte Romed Wyder Squatters, einen Dokumentarfilm über die Besetzerszene in Genf. Mit seinem ersten Langspielfilm nimmt er dieses Milieu nun wieder auf und nutzt es als stimmiges Ambiente für seine Liebesgeschichte zu dritt. Seinen Low-Budget- Film - keine Notlösung, sondern ein Plädoyer für den «petit film» - drehte er an Original­schauplätzen, die «Stars» - die mit überzeugen­den Schauspielleistungen brillierenden Vincent Coppey, Alexandra Tiedemann und Pietro Mu­sillo - stammen alle aus Genf. Die kleine und feine Geschichte erzählt mit liebenswürdigem Charme und fein gesponnenem Humor ein Stück (Liebes-)Leben, angesiedelt in Genf (noch selten wurde das Wahrzeichen der Metropole, die Fontäne, so verspielt in Szene gesetzt). Wyder gelingt es, mit Liebe zum Detail, zu kleinen Gesten und verstohlenen Blicken, zu alltäglichen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten das Knistern und Vib­rieren von Gefühlsregungen über die Filmlein­wand spürbar zu machen. Pas de café, pas de télé, pas de sexe porträtiert ein Stück alterna­tiver Lebensweise in der heutigen Schweiz und erzählt von Wunschvorstellungen und davon, was passiert, wenn sie von der Realität ein­geholt werden.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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