ANDREA REITER

JOY RIDE (MARTIN RENGEL)

SELECTION CINEMA

Aus der Dunkelheit des Hintergrunds kommt mit aufgeblendeten Scheinwerfern ein Auto herangefahren. Es hält an - Strassenlaternen sind die einzige Lichtquelle, die junge Beifahre­rin wechselt einige Abschiedsworte mit dem Fahrer - der Ton ist authentisch aufgezeichnet. Sie steigt aus und betritt die elterliche Woh­nung, deren realistischer Anschein eines Originalschauplatzes durch die biedere Küchen- und Wohnzimmereinrichtung gut zur Geltung kommt.

Bei Joy Ride handelt es sich um den 14. zertifizierten Dogma-Film, der, basierend auf dem Regelkatalog von Dogma 95, produziert wurde und mit den eigens festgelegten filmi­schen Standards ein Konzept des Subversiven entgegen klassischer Erzählformen verfolgt. Martin Rengcls in Schweizerdeutsch gedrehter Spielfilm beginnt mit dem Ende einer abend­lichen Spritztour, die eine Gruppe fünf junger Leute regelmässig unternimmt, um gegen Langeweile und Missmut anzukämpfen. Schwerfällig, mit langen und wenig spekta­kulären Einstellungen erzählt Joy Ride den Alltag der Jugendlichen, begleitet sie zu ihren Arbeitsplätzen, folgt ihnen in ihre poster- behängten vier Wände und in schummrige Bars. Die formale Ebene betont die Stimmung in der Clique.

Zwischen Andi und Sandra, dem einzigen Mädchen der Gruppe, die trotz des allgemei­nen Desinteresses der Jungen zu den allabend­lichen Zusammenkünften mitgenommen wird, beginnt ein zaghafter Annäherungsversuch. Dieses plötzlich aufscheinende Interesse bringt Aufruhr in die von Gruppenzwängen struktu­rierte Clique. Solange Sandra einfach nur dabei ist, wird sie geduldet. Als sie aber beginnt, das fragile Gleichgewicht zu gefährden, wendet sich das Blatt. Von den immer deutlicher zum Vorschein kommenden Boshaftigkeiten lässt sich Sandra, die sich nach Geborgenheit und Einigkeit sehnt, nicht irritieren. Unerklär­licherweise reift unter den Jungen aus einem spontanen Ausspruch «Sie muss weg!» der Ge­danke an Mord heran. Der Plan wird ausgehan­delt und durchgeführt. Das Danach, beginnend beim «Beseitigen» von Sandras Leiche, wird erst im Moment ihres Todes ein Thema, und alle darauf folgenden Ereignisse werden zu einer makabren Groteske, die für Andi im Ge­fängnis endet.

Joy Ride, der auf einer wahren Begeben­heit beruht, die sich vor einigen Jahren in einem Schweizer Städtchen zugetragen hat, vermittelt die Unerklärlichkcitcn der Handlungen und Geschehnisse weder plausibel noch spannungs­voll. Dem plakativ nicht moralisierenden Ges­tus der Erzählung scheint jegliche künstlerische und spielerische Variation abhanden gekom­men zu sein, die mehr als nur den bornierten Lebenswandel einer unambitionierten Jugend mitteilt. Laienschauspieler mit wenig Aus­drucksstarke tragen dazu bei, dass kein erwar­tungsvolles Interesse am Fortgang der Ge­schichte erzeugt wird. So bleibt am Ende, das Aushängeschild des Films unter die Lupe zu nehmen: Joy Ride hält sich an die Dogma-Form der minimalisierten Technik und des Authentizitätsanspruchs. Doch was fehlt, ist die filmerische Eigenheit. Neben einem kreati­ven, ästhetischen Grundkonzept bedarf es eben auch eines tragenden Gedankens und der Kon­zeption einer eigenen Ästhetik.

Andrea Reiter
geb. 1973, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie.
(Stand: 2018)
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