HANS J. WULFF

GÄRTEN DES ABENTEUERS, SZENEN DER GESCHICHTE — LANDSCHAFTEN IM EXOTISCHEN ABENTEUERFILM

ESSAY

Das Exotische ist seit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters in diversen Insti­tutionen1 ein Ausstellungsgegenstand. Zwar sind botanische und zoologische Gärten ältere Erfindungen, doch setzt sich das Lehr- und Bildhafte spätestens im 19. Jahrhundert durch. Als vollendetes Vorbild für den neuzeitlichen Zoo gilt die erstmals von Carl Hagenbeck praktizierte Haltung der Tiere in Arten­gruppen, die der natürlichen Population eines bestimmten Lebensraums ent­sprechen, wobei auch der jeweilige Lebensraum möglichst naturgetreu nach­gestaltet wird – Felsen-, Steppen- und Eislandschaften werden auf die Grösse von Gehegen verkleinert, Tropenhäuser geben eine kondensierte Darstellung des tropischen Regenwaldes, Terrarien enthalten minimalisierte Landschaften.

Das Exotische wird zur inszenierten Natur. Die Szene ist die bildnerische Vorlage, das bildnerische Ziel der Ausstellung. Das Prinzip, eine verkleinerte und szenisch begehbare Repräsentation des Realen herzustellen, ist nicht auf das Exotische begrenzt, sondern ein allgemeineres Verfahren, Realität zugäng­lich zu machen und darin auch zu verklären. Sie bildet zum Beispiel einen Insze­nierungsrahmen für die volkstümliche Malerei des 19. Jahrhunderts, die Szenen ruralen Lebens feiert, als sei der Gegenstand verloren oder in weiter Entfer­nung. Die Folklore wird als Bemühung um Volkstümlichkeit erfunden. Auch hier erfolgt die Darstellung in Szenen; geschlossene Kompositionen herrschen vor. Die Bilder sind keine Schnappschüsse des Realen, sondern Aufführungen des sozialen Lebens, wie sie zum Beispiel die Aufführungen der Heimat- und Kulturvereine hervorbringen. Das Volkstümliche wird so erfunden wie das Exo­tische in den Darstellungen der Zoos und der Reiseberichte.2 Es geht darum, die Ansammlung der Exponate zu beleben. Die Bilder machen den Eindruck eines komprimierten Volkslebens - so, wie die Zoos typisierte und abstrakte Szenarien des Lebens in der Wildnis darbieten. Die Szene ist eine geschlossene Komposition, sie bildet einen Mikrokosmos aus, der in sich selbst ruht. Kon­texte braucht diese Inszenierung nicht, das Bild steht für sich.

Eine zweite, narrative Tendenz in der Inszenierung des Exotischen findet man in den Szenarien der Völkerschauen. Die Völkerschau, die eine Raum ge­wordene Exotik anbietet, entsteht im 17. und 18. Jahrhundert.3 Populär wird sie aber erst in der Hochzeit des Kolonialismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Sie bietet ein «lebendiges Bild» der Kolonien. Neben Hagenbecks Schauen sind 59 weitere Ausstellungen nachweisbar. Oft waren völkerkundliche Museen die Kooperanden der Expositionen. Sie basieren ebenso auf dem Ausstellungs­prinzip, auf dem Dominat der Szene. Wichtig ist die Dramatisierung der Erfah­rung der Fremde durch den Reisebericht - es ist die Perspektive des Europäers, die strikt durchgehalten ist, und es ist eine einfache Spannungsdramaturgie, die sich in Formulierungen wie «banger Augenblick», «Überfall» und Ähnlichem wiederfindet.4 Dramatisierung ist hier eine synthetische Verdichtung - das, was fremd erscheint, wird hier als Fremdes theatralisiert.

Das Szenische als Inszenierungsrahmen ist auch der Landschaftsgärtnerei des 18. Jahrhunderts eigen. Vor allem der englische Landschaftsgarten will unterhalten, belehren und erklären. Und er tut dies, indem er Landschaft als be­gehbare Inszenierung von Natur ausstellt. «Man muss sich einen solchen Gar­ten als eine dramaturgisch konzipierte Folge von einzelnen Kapiteln oder Sze­nen vorstellen, die jeweils eine Überraschung und eine Information enthalten. [...] Die eigentliche Kunst der Landschaftsgärtnerei besteht [...] darin, die Ein­zelszenen in eine ihnen gemässe landschaftliche Umgebung einzubetten und in einen grossen Zusammenhang zu bringen. [...] Der Gartenweg schlängelt sich in Kurven durch das Gelände, sodass sich hinter jeder Biegung eine Über­raschung dem Blick öffnen kann. Alle bedeutenden Punkte des Geländes sind über genau berechnete Sichtachsen miteinander verbunden, in die Bepflanzung geschlagene Schneisen geben nur ganz bestimmte Blicke frei, indem sie andere verstellen».5

Eine solche Politik der Blicke beherrscht auch den traditionellen Aben­teuerfilm. Hier ist es die Auswahl der fotografischen Ansichten, ist cs die Staf­felung von Objekten in die Tiefe des Raumes hinein, hier sind es Pflanzen, die wie Rahmen für Bilder wirken oder wie Vignetten um einen schmeichelnden Blick auf ein Ambiente. Die Kamera unterwirft sich dem allgemeineren und älteren Prinzip des «szenischen Blicks» und der «Inszenierung des Sehens».6

In King Solomon’s Mines (Compton Bennett, USA 1950) - einem der gros­sen klassischen Abenteuerfilme nach einem Roman des Kolonial-Poeten Rider Haggard - findet sich eine Sequenz, in der die Begehung der ausgestellten Fremde das strukturelle Prinzip der Szene wird. Die Gruppe hat die Savanne verlassen, ist im Dschungel unterwegs. Die Frau mustert die fremde Umgebung fasziniert und neugierig («Der Dschungel ist wunderschön!»). Schon hier ist ein szenaristisches Prinzip angelegt: Eine Schlange schmückt als Vordergrund­Ranke das Bild, der Führer weist ausdrücklich auf sie hin; ein Affe springt von einem Baum zum anderen (Blickmontage). Dann wird ein neues Szenario betreten, eine «Raststelle». Die Frau lässt sich auf einem Baumstumpf nieder; der «Negerdiener» tritt aus dem Hintergrund hervor und reicht Tabak und Getränke. Der Führer hält einen Vortrag über das darwinistische Uberlebens­prinzip des Dschungels.

Sodann beginnt die Führung: Unter der Borke finden sich Maden; eine Mamba schlängelt ins Gebüsch; ein Chamäleon; «Safari-Ameisen», die in Hor­den angreifen und ganze Menschen auffressen können; ein Ameisenbär. Die Führung ist inszeniert als eine Liste (geklammert durch den Akt des Zeigens, realisiert als Blickmontage, in der die Object Shots Archivbilder sind). Das Prinzip des Ausgestelltseins ist allenthalben spürbar. Ausstellungen zeigen Ob­jekte, die aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausgerissen sind. Ausge­stellte Gegenstände sind in einem Zeigegestus fundiert, sie stehen nicht allein für sich, sondern sind in einer Repräsentationshandlung gefasst. Es sind meist isolierte Einzeldinge, die zur Besichtigung freigegeben werden. Natürlich gibt es Versuche, Objekte in Szenarien darzubieten, in abstrahierten, wie in einer Strichzeichnung essenzialisierten Umgebungen auszustellen. Und es gibt Ver­suche, mikrokosmische Modellwelten (in Herbarien, Palmenhäusern usw.) be­gehbar zu machen. Wesentlich ist aber auch hier, dass das fremde Objekt isoliert wird und als Exemplar seiner Gattung ausgestellt ist. Insofern kann sogar das Listenprinzip, das der kleinen Szene aus King Solomon’s Mines zu Grunde liegt, aus der Ausstellungskultur motiviert werden.

Die Melange aus Begehung (einschliesslich der Möglichkeit zur Rast und der Beköstigung durch Diener), Zeigen und szenischer Ausstellung der Wildnis basiert auf einem Aneignungsmodus, der eigentlich den Ausstellungen zu­gehört. Die touristische Inszenierung der Wildnis (bis hin zur Fotosafari) wie­derholt weitestgehend diesen Modus, der in der kleinen Szene rein strukturell realisiert ist.

Für die Inszenierung ist die Kenntnis und Reflexion der Ausstellungskultur ausgesprochen zentral, weil auch die Inszenierung fremder Menschen, Riten, Versammlungs- und Kommunikationsformen meist in einem Ausstellungs­oder Aufführungsformat geschieht. Der fremde Stamm ist vor allem in musi­kalisch untermalten Nummern vorgestellt, in einem performativen Rahmen, der auf ein theatrales oder ein Show-Format verweist. Das Fremde manifestiert sich als Performanz eines sozialen Tuns, dessen Sinn verborgen gehalten ist. Die Abwesenheit des Sinns «unter» einem komplizierten kollektiven Handlungs­gefüge macht das Fremde fremd. Auch dies gehört zum Touristischen: Rituale und Tänze der «Wilden» auszustellen wie auf einer natürlichen Bühne. Damit wird das Fremde aneigenbar in einem Modus, der die Position des zivilisierten Betrachters niemals verlässt. Der Abenteurer (und damit meist auch der Zu­schauer) ist in einer Zuschauerrolle konstituiert, in der das Wilde rezipiert wer­den kann, ohne sich an das fremde Sinnsystem assimilieren zu müssen.

Die Wildnis ist so am Ende entweder als ausgestellte Objektwelt oder als eine theatrale Enklave in das zivilisierte Eeben eingelassen. Die Distanz, die zwischen dem Eigenen und dem Fremden eigentlich aufklaffen müsste, kann so geschlossen oder überbrückt werden, weil das Fremde modal markiert und aus dem Alltagsgeschehen herausgenommen wird. Die Regulation der Distanz zum Fremden ist das Sinnfundament, auf dem die Ausstellungsformate als Dar­stellungsformate im Abenteuerfilm motiviert sind.

Landschaften als Folien des Erotischen?

Die Die Aussenaufnahme gehört zum Abenteuergenre wie zu kaum einem zweiten Genre. Ein Abenteuerfilm, der nur im Innern von Gebäuden spielte? Schwer vorstellbar. Die äussere Landschaft ist der Raum, in dem sich das Abenteuer ereignet, und oft genug ist die Landschaft selbst Teil der abenteuerlichen Ver­strickung. Der Dschungel, das Meer, die Wüste tritt auf wie einer der Wider­sacher - nicht allein als schwieriges Handlungsfeld, sondern als aktive Gegen­kraft, gegen die der Held sich durchsetzen muss. Ist dieses nur eine Metapher?

Fritze/Seesslen/Weil nehmen die Landschaft des Abenteuerfilms gleich als symbolische Folie, die auf ganz anderes deutet als die Handlung - als Element eines erotischen Impulses, der das Abenteuer durchzieht: «Die abenteuerliche Landschaft ist eine Projektion der seelischen Bef indlichkeit zum Abenteuer. Der Abenteurer muss hinauf und hinüber, er muss hindurch. Er erreicht den Gipfel als Form des Glücks, durchquert den Urwald in fiebrigem Verlangen, überwin­det Natur wie einen menschlichen Körper: Das Abenteuer, und insbesondere das Abenteuer mit der natürlichen Landschaft, ist Sinnbild erotischer Vorgänge (und natürlich erotischer Vorgang selbst zugleich).»7 Es entsteht hier natürlich ein Widerspruch, weil es der These folgend nur konsequent ist anzunehmen, dass der Raum des Abenteuers «nicht den Gesetzen der Geografie, sondern de­nen des Traums» gehorche. Die Landschaftsschilderung («unablässiges Gestal­tungsprinzip im Genre») erfüllt dann eine Doppelfunktion - «Nachweis von Wirklichkeit des Abenteuers» auf der einen Seite, «Produktion einer «zweiten Wirklichkeit»» auf der anderen. Die abenteuerliche Landschaft hat, dieser The­se folgend, immer eine Doppelrolle zu erfüllen: Sie symbolisiert den erotischen Impuls des Helden, und sie ist zugleich der Ort, an dem er sich bewähren muss.

Natürlich ist nachzufragen, ob die These so haltbar ist oder einem herme­neutischen Zirkel-, womöglich gar Trugschluss aufsitzt. Ich will in einer Reihe von Fragen dem nachgehen, was nicht einzuleuchten vermag: Wo ist der ero­tische Impuls angesiedelt - im Helden? in der Handlung? in der Ziel- oder Objektorientierung? in der Durchführungsmodalität der Handlung? oder gar in der Rezeption? Worin bestehen die genauen erotischen Qualitäten der Land­schaft in einem besonderen Fall? Selbst wenn es Fälle geben sollte, in denen Landschaften als Objektivationen oder Metaphern des Erotischen gesetzt sind - lässt sich die Beobachtung verallgemeinern? Was ist die Basis für den ZirkelSchluss - eine pure Übertragung des Doppels von Wunsch / Lust von der aben­teuerlichen Aufgabe und ihrer Lösung auf das erotische Verhältnis? Kurz: Ich plädiere dafür, die These zu verwerfen. Auch die aus dem Gesagten folgende Annahme, das Abenteuer erschaffe sich in den Landschaften «seine eigene Or­namentik», wie es bei den drei Autoren heisst, scheint mir ein selbstverliebtes Sprachspiel ohne jeden Unterboden.

Wollte man Harry Piels Der Dschungel ruft (D 1936) als Beispiel heranzie­hen, an dem man die sexuellen Aufladungen der Szenendarstellungen erkundet, könnte man an die erste Begegnung der Heldin mit Harry Piel denken: Eine mondäne Amerikanerin, die Landausflüge in Malaya macht, sucht Pici, der sein Land urbar macht und freundschaftlich mit den Tieren des Dschungels umgeht. Die Kamera folgt zunächst der Frau, die an den Rand einer Lichtung tritt, auf der Piel mit seinem Tiger einen Mittagsschlaf hält. Als er erwacht, reckt er sich und beginnt ein zärtliches Spiel mit der Katze, scheinbar nicht bemerkend, dass er Zuschauer hat. Man könnte die heimliche Szene als Ausgriff auf eine natür­liche Sexualität ansehen, die sogar vor Tieren keinen Halt macht. Man könnte die Waldlichtung aber auch als Äquivalent des Zirkusrondells nehmen und das Spiel von Piel und Tiger als gelungenen und entspannten Dressurakt. Auch hier gilt ja oft das theatrale Gebot, den Blickkontakt mit dem Zuschauer zu meiden. Letztere Lesart könnte immerhin erklären, warum die Szene so überaus lang geraten ist - weil sie sich nicht in den narrativen Fluss einstellt, sondern in eine ganz andere Gattung der Aufführungskünste gehört.

Handlungen und Erfahrungen

Die Landschaft ist eines der wichtigsten stofflichen und ikonografischen Ge­staltungsmittel des Abenteuerfilms. Dazu sollte ausgeholt werden in die Land­schaftsdarstellung der Romantik, aber auch die Zeichnungen der Entdeckungs­reisenden.8 Weite, endlos erscheinende Ebenen, an deren Rand ein hohes Gebirge auftaucht; Täler, Schluchten, Canyons, die einen Weg in die Unweg­samkeit des Felsengebirges anzubieten scheinen; eine Abgeschiedenheit und ein Abseitsliegen, Verlockung und Abwehr gleichzeitig. Dazu die Rede von Gebirgen, hinter denen das unbekannte Afrika liege, das noch me eines Weissen Fuss betreten habe - zumindest keines Weissen, der zurückgekommen sei (in Tarzan and His Mate, Cedric Gibbons, USA 1934; ähnlich das Afrika auch in King Solomon’s Mines).

Landschaft in einem stofflichen Sinne: Wie ist die Erde gegliedert? Immer wieder sind es Landstriche besonderer Art, die die zivilisierte Welt von jenem anderen Teil trennen. Wer wagt es, ein Gebirge, eine Wüste, ein Meer zu über­winden? Landschaft verhindert die Reise, und wer sich darauf einlässt, lässt sich auf eine Probe ein. Landschaften sind hier handlungsfunktionell zu nehmen, als Teil und Bedingung eines ersehnten Ortes (der Schatz, der Frieden, der ver­schollene Freund). Meist stehen sie dem Helden entgegen, wollen überwunden sein, drohen mit dem Tode.

Landschaft in einem ikonographischen Sinne: Als Teil der Fotografie des Abenteuerfilms stehen Landschaften sicher in einem geheimen Zentrum - zum einen die tatsächlichen Landschaften der Erde, zum anderen die Landschaften der Comic Strips und der Buchillustrationen. Matte-Paintings erweitern die reale Landschaft in imaginäre, gewaltige Panoramen hinein, wie es sie auf der Welt nicht gibt.

In einem ikonografischen und szenografischen Sinne durchkomponiert ist das bis in die Szene im Dschungel hinein: Der undurchdringliche Wald lichtet sich, das Grün der Büsche und Bäume scheint terrassenhaft gestaltet zu sein. Der Vorder- und Mittelgrund, wo sich die Helden niederlassen können, wird von einer Peripherie gerahmt, die als Übergang in die Unwegsamkeit des Dschun­gels gedacht ist, zugleich aber in einer Art und Weise ausgestellt wird, wie sie in Tropenhäusern und botanischen Gärten üblich ist.

In der Nähe die Wasserstelle: Ort wichtiger Begegnungen, Ort wichtiger Beobachtungen. I her sehen Männer Frauen beim Baden zu und vice versa. Hier wird gern überfallen, hier müssen Männer Frauen retten. Hier, nicht im Lager, sind Menschen und Tiere einander nahe. Wiederum sind ikonografische Traditionen unverkennbar: Wie oft sind es Seen, in die Wasserfälle hineinstür­zen, in denen das Wasser klar ist.

ln den Dschungelszenen wird meist ein Lager bezogen, eine Pause ein­gelegt. Die Bewegung der Reise wird angehalten. Es gibt auch den Schnapp­schuss im Dschungel mitten in die Bewegung hinein. Man sieht eine Art von Tunnel, aus dem die Menschen herauskommen; hier macht der Weg einen Knick, weil ein gigantischer Baum im Wege steht. Drapiert ist das Bild oft von einem Tier, einer Schlange oder Ähnlichem, das dem Dschungelhaften zusätz­liche Prägnanz gibt.

Manchmal ist der Ort des Abenteuers nur in einem extremen Akt zu er­reichen. Der Ort des Geschehens liegt nicht nebenan, sondern muss mühsam erwandert werden (und manche wie Shangri-La oder El Dorado liegen gar in einem geografisch kaum bestimmbaren Zwischenreich zwischen Mythos und Realität, sind zwar Ziele der abenteuerlichen Reise und werden doch nur selten erreicht), ln King Solomon’s Mines sind ein Dschungel, eine Steppe und ein Ge­birge zu durchwandern, erst dann stösst man auf den Bestimmungsort. In Roland Joffes The Mission (USA 1986) ist erst ein gewaltiger Felssturz zu über­winden, bevor man in das Gebiet kommt, in dem die Jesuiten ihre Missions­republik errichtet haben. Das Kafiristan in The Man Who Would Be King (John Huston, USA 1975) liegt jenseits des Himalaya. In Kautschuk (Eduard von Borsody, D 1938) ist der Dschungel des Amazonas zu überwinden, um an die Orte zu kommen, an denen die begehrten Pflanzen wachsen. In allen diesen

Fällen ist es eine landschaftliche Demarkation, die das Hier des Ausgangsortes und das Dort des Abenteuers scharf voneinander trennt. Die Überwindung des natürlich-landschaftlichen Hindernisses ist Teil des Abenteuers, oft sogar das eigentliche Zentrum der Geschichte.

Wie bewusst mit Landschaften umgegangen wird und wie stark sie in die Erzählung eingebunden sind, wie die Dramaturgie der Reise die der Geschichte dominiert, bemerkt man vor allem an Übergangsstellen. Die Entscheidung, die Reise antreten zu wollen, ist häufig fast als Plot Point behandelt und extrem akzentuiert. In King Solomon’s Mines hat die Reisegruppe zunächst mit einem Wagentreck die Savanne durchquert und am Ende den Fuss eines felsigen Geländes, den Rand des Dschungels erreicht. An dieser Stelle ist eine drama­turgische Pause gesetzt. Man sieht die Wagen davonfahren. Das Beförderungs­mittel wird gewechselt, ein neues Kapitel der Reise beginnt. Die Landschaft wechselt. Im Hintergrund sieht man die endlose Steppe, die Gruppe steht vor einem Felsmassiv. Der Führer hält fest, dass man von nun an «auf Bequemlich­keit verzichten» müsse. Die Strapazen der Reise werden nun dominant werden, der zivilisierte Modus des Reisens ist damit beendet. Der Bruder der Heldin versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen: Noch habe sie Zeit, sich anders zu ent­scheiden. Auch dieses akzentuiert den Wendepunkt, markiert ihn als Entschei­dungspunkt. Die Szene ist binnengeteilt: Der erste Teil ist nach rückwärts, in die Savanne hinein, orientiert. Die Figuren blicken noch einmal zurück. Dann wendet sich Quatermain von der bisherigen Richtung weg, setzt damit den Entschluss weiterzumarschieren. Danach kommt der Dialog zwischen der Heldin und ihrem Bruder, der mit der Richtungsänderung der Heldin endet.

Herrschte in der Savanne ein horizontaler Bildmodus vor, wird nun die vertikale, gelegentlich an Kirchenarchitekturen erinnernde Gliederung des Dschungels mit seinen hohen Bäumen zur vorherrschenden Komposition. Der Übergang in die Wildnis wird ikonografisch zudem durch an Tore oder Portale erinnernde Durch- oder Eingänge in die Wildnis artikuliert.

Kognitive Karten

Die Orte des Abenteuers sind zum grossen Teil Orte auf der kognitiven Land­karte - sie sind nicht so sehr geografisch als vielmehr symbolisch interpretiert. «Fiktive Landschaften» nennt Brandlmeier diese Gebiete, die «die Weltkarte mit Klischeebildern und wiederkehrenden Erzähltopoi» bevölkern.9 Sie sind Orte einer möglichen Erfahrung, mit Bedeutung aufgeladen. Die Orte des Exo­tischen sind Projektionsräume, fantastische Entgegenstellungen gegen die euro­päischen Herkunftsorte. Es entsteht eine differenzielle Einheit von Hier und Dort, und das eine ist ohne das andere nicht denkbar. So, wie die Südsee ein Sehnsuchtsraum gegenüber der europäischen Welt ist, also durch eine affektive Wunschorientierung in Bezug auf das Abendland dimensioniert wird, sind auch andere Orte als Flucht- oder Angsträume gefasst. «Exo» heisst «aussen», und das Aussen ist ein Dort.

Nun sind Orte auf der kognitiven Landkarte als Räume möglicher Erfah­rungen gefasst. Sie sind angebunden an das europäische Subjekt, das sich diesen Orten aussetzt. Es trifft dort auf Tugenden und Tabus in der äusseren Welt, stösst auf Gefährdungen, die es so in der heimatlichen Alltagswelt nicht haben könnte. Und es tritt in Entwicklungs- und Bildungsprozesse ein, die nur hier in Gang kommen können. Abenteuergeschichten sind Bildungsgeschichten, der Abenteurer einer, der sich entwickelt.

Durchgang durchs Gebirge (wie in The Man Who Would Be King) - das sollte verbreitert werden in zwei Richtungen: Richtung Mutprobe - es geht um das Kräftemessen, das Ausmessen der Welt auch an den Grenzen der mensch­lichen Belastung entlang - insofern ist das Abenteurern-Kolonisieren auch eine Übung in Belastung; ein sportliches Moment also in alledem: Sport ist eine Art, den Leib an der Aufgabe zu erfahren; die Welterfahrung des Abenteurers ist ein gewisser Typus von Selbsterfahrung - ich erobere/erwandere die Welt, indem ich mich selbst einer Probe aussetze. Zum andern Richtung Durchgangsriten: Das Gebirge scheidet Hüben und Drüben, vielleicht die eine von einer anderen Realität. Man setzt intuitiv Kafiristan als Afghanistan, was in dieser Eindeutig­keit vielleicht irreführend ist: Kafiristan ist gar nicht in dieser einen, sondern in einer anderen, fingierten Wirklichkeit gelegen. Die Exerzitien, die das Gebirge den Männern auferlegt, führt sie hindurch, in einen anderen Zustand der Er­fahrung. Sogar Modelle der esoterischen Realitätsauffassung schimmern durch. Das Raummodell des Films hängt aber wesentlich am Gebirge als Scheide- und Durchgangsfläche.

Orte auf der kognitiven Landkarte sind eine Bühne für den Europäer, der sie betritt und der das, was geschieht, wie ein Theaterstück durchspielt. Er ist gefordert, die 'fugenden europäischen und bürgerlichen Lebens unter Beweis zu stellen - Umsicht und Verlässlichkeit, Rationalität und Selbstzucht, Ziel­strebigkeit und Solidarität. Die Abenteuergeschichte handelt von Eigenschaf­ten des bürgerlichen Subjekts, die auf der Bühne des Abenteuerlichen greifbar werden. Die Robinsonade ist das Hohelied eines Subjekts, das in der grössten Krise sich selbst organisiert und ein ihm selbst unterworfenes Alltagsleben etablieren kann. Darin erinnern die Abenteuergeschichten an Katastrophen­geschichten - auch diese behandeln eigentlich Bildungsprozesse.

Den Orten auf der kognitiven Landkarte stehen die Orte auf der realen Landkarte wiederum gegenüber - und die Reiseberichte schildern eine ethno­grafische und geografische Fremde, ohne dass jenes Dort ein Projektionsraum wäre. Natürlich sind Mischverhältnisse möglich. Vor allem kann die Authen­tizität des Berichts als dramaturgisch-poetische Forderung zur Intensivierung des Realitätseindrucks jenes gegenüber Liegenden genutzt werden.

Die Frage nach dem Status zwischen Realität und Projektion stellt sich auch an den Objekten des Schreckens. Wenn in Kautschuk Piranhas und Krokodile (genauer: Kaimane) in grosser Zahl den Abenteurern entgegenstchen, sie mit dem Tod bedrohen, sind dies natürlich Tiere, die im Amazonasbecken leben. Aber sie sind auch Symbole der Widerständigkeit der wilden Natur, Extremifizierungen der narrativen Gefahr, Symbole des Dort-Seins. Auch Tiere sind auf kognitiven Karten verortet. Man will zeigen, dass man im Amazonasbecken ist - und kann den Ort durch Piranhas und Kaimane indizieren. In den James-Bond-Filmen werden gelegentlich die Extremifizierungsfunktionen isoliert - dort wird der Held in ein Areal gesperrt, in dem hungrige Krokodile herum­laufen, ohne dass dies grossen Aufschluss über den tatsächlichen Ort des Geschehens gäbe.

Die neuzeitliche Form der Reise ist die touristische Reise, Nachfolgerin und Zwillingsschwester der Abenteuerreise gleichzeitig.10 Es gibt die Orte der tou­ristischen Neugierde, die architektonischen und landschaftlichen Weltwunder, das Phänomen des Lokalkolorits und den typischen Bewuchs. Die touristische Reise folgt einem «Stippvisitenprinzip», taucht ein in die fremde Umgebung, kehrt aber wieder zurück in den gewohnten Komfort. Tourismus heisst: eine Ordnung in die Reise hineinzubringen, die zivilisatorische Ruhepunkte um­fasst.

Manchmal durchdringen sich abenteuerliche und touristische Reise. Man kann dann sehen, dass beide auf einer ähnlichen kognitiven Karte operieren, dass sie über ähnliche Region-Objekt-Koppelungen verfügen, dass sie ein ähn­liches Durchgehen durch Szenarien der Welt anstreben. Ein extremes Beispiel ist die Weltreise, die zum einen den totalsten Raum umgreift, den eine Reise überhaupt umgreifen kann, die zum anderen sich an den extrem typifizierten oder indexaktiven Orten orientieren muss. Around the World in 80 Days (Mi­chael Anderson Sr., USA 1956): Das ist auch ein touristisches Unternehmen, das die Welt in einer Enzyklopädie der Ansichtskarten durchbuchstabiert. Paris/ Eiffelturm, Spanien / Stierkampf, Ägypten / Nilkähne, Indien/Elefanten, der­artige Assoziationen verknüpfen die Landkarte mit Bildern und Objekten. Eine Reise sichert an den Objekten, dass die Karte gilt.

Erst John McTiernans Medicine Man (USA 1992) beendet die kolonialistische Begehung des Exotischen, macht sie selbst zum Thema: Die Schönheit des Regenwaldes erschliesst sich der amerikanischen Ärztin erst, als der Führer sie in einer Gondel, die an Drahtseilen geführt wird, über die Gipfel des Waldes führt. Hier ist der Dschungel zum Themenpark geworden, der Abenteurer zum Touristen. Fatal, dass die Rauchwolken die grossen Rodungen ankündigen, die für die neue Strasse nötig sind.

Zum Teil sind sie älterer Herkunft, zum Teil ganz moderne Erfindungen. Der botani­sche und der zoologische Garten sind ältere Erfindungen, die bis in die Frühgeschichte zu­rückweisen. Eine Blütezeit erlebten die Zoos vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Neueren Da­tums sind die botanischen Gärten, die meist im 19. und frühen 20. Jahrhundert angelegt wur­den (vgl. dazu Lothar Dittrich, Der Löwe brüllt nebenan: Die Gründung zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833-1869, Köln/ Weimar/Wien 1998). Kolonialshows blühten um die Jahrhundertwende. Themen- und Safa­riparks wurden erst seit i960 eröffnet.

Silke Göttsch, «lmaginicrte Welten - Bil­dersucht im 19. Jahrhundert», in: Siegfried Becker et al. (Hg.), Volkskundliche Tableaus: Eine Festschrift für Martin Scharfe zum 63. Geburtstag von Weggefährten, Freunden und Schülern, Münster 2001, S. 227-235. ln der Iko­nografie des Abenteuerfilms findet man neben den Bildern der folkloristischen Malerei auch massive Rückbezüge zur Salonmalerei und ihren Sujets; vgl. dazu Thomas Brandlmeicr, «Et ego fui in Arcadia. Die exotischen Spiel­filme der 20er Jahre», in: Jörg Schöning (Red.), Triviale Tropen. Exotische Reise- und Aben­teuerfilme aus Deutschland 1919-1939, Mün­chen 1997, S. 35-46, hier S. 36 f.

Vgl. Stefan Goldmann, «Wilde in Europa. Aspekte und Orte ihrer Zurschaustellung», in: ThoamsTheye(Hg.), Wir und die Wilden: Ein­blicke in eine kannibalistische Beziehung, Reinbek 1985, S. 243-269. Hilke Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt: Die Hagen- beckschen Völkerschauen, Frankfurt 1989, und dies., «Herbeigeholte Ferne. Völkerschauen als Vorläufer exotisierender Abenteuerfilme», in: Schöning (wie Anm. 2), S. 19-33.

Vgl. dazu Xenia Ertzdorff (Hg.), Be­schreibung der Welt. Zur Poetik der Reise- und Länderberichte, Amsterdam / Atlanta 2000.

Hans von Trotha, «Utopie in Grün», in: Die Zeit (23. August 2001), S. 31. Vgl. auch Hans von Trotha, Der englische Garten: Eine Reise durch seine Geschichte, Berlin 1999.

Interessanterweise steht der offensicht­lichen Inszeniertheit der Szenen und Bilder eine im Marketing der Filme immer wieder be­teuerte Authentizität der Bilder gegenüber. Vgl. zu Indien-Filmen der Zwanzigerjahrc Brandlmeier (wie Anm. 2), S. 42. Zur Pseudo- Authentizität der Dschungelfilme John Hagen- becks, die im Hamburger Tierpark entstanden, vgl. Jörg Schöning, «Unternehmensgegenstand: Exotik. Der Produzent John Hagenbeck», in: ders. (wie Anm. 2), S. 110-123, hier S. 112 f. Noch in den Sechzigerjahren ist es wichtig, die Herkunft der Bilder zu verbürgen. Man denke an die Anekdoten, die sich um die Dreharbei­ten von Howard Hawks’ Datari (USA 1962) ranken.

Christoph Fritze / Georg Seesslcn I Clau­dius Weil, Der Abenteurer: Geschichte und My­thologie des Abenteuer-Films, Reinbek 1983, S. 49. Vgl. allgemein Hans Kräh, «Raum, Se­xualität, sequel: Natur als bürgerlicher Projek­tionsraum am Beispiel von The Blue Lagoon (USA 1980) und Return to the Blue Lagoon (USA 1991)», in: Kodikas/Code 22 (1991), S. 5 7-83, der mittels einer Assoziation von Op­positionen Landschaften mit Sexualität verbin­det, sodass «Landschaften» als «semantische Räume» funktionieren können.

Die ikonografischen Traditionen, die in der Fotografie des Abenteuerfilms Zusammen­kommen, sind ausgesprochen vielfältig, um­fassen bildende Kunst, Buchillustration, Reise­fotografie und anderes mehr. Die Vielfalt der Bezüge ist noch kaum ausgelotet. Jan Berg («Zur Natur der Filmbilder in Naturfilmen», in: Jan Berg / Kay Hoffmann (Hg.), Natur und ihre filmische Auflösung, Marburg 1994,8. 185— 198, hierS. 186 f) weist einerseits auf die reichen ikonografischen Quellen hin, aus denen sich die Bildnerei des Exotischen gespeist hat, macht aber auch darauf aufmerksam, dass die «Bildjagd» ein Motiv der filmischen Natur­fotografie gewesen sei. Vgl. zur Reisefotografie im engeren Sinne: Kunsthalle Tübingen (Hg.), Mit dem Auge des Touristen: Zur Geschichte des Reisebildes, Tübingen 1981, und Klaus Pohl (Hg.), Ansichten der Feme: Reisephotographie 1830 bis heute, Giessen 1983. - Es sollte vermerkt werden, dass die Szenen- und Bildkon­ventionen des Abenteuerfilms ausserordentlich stabil sind und sich ungebrochen aus der klas­sischen Phase (1920-1970) bis heute gehalten haben und sich ganz traditionell zum Beispiel in dem Horror-Abenteuerfilm The Ghost and the Darkness (Stephen Hopkins, USA 1996) finden. Auch die Bilder der Tourismusindustrie bedie­nen sich bei den Abenteuerfilm-Traditionen.

Brandlmcier (wie Anm. 2), S. 35. Land­schaftstypen sind konventionellerweise mit Handlungstypen und -modi assoziiert. Thomas Koebner («Insel und Dschungel: Zwei Land­schaftstypen im Film», in: Berg/Hoffmann [wie Anm. 8], S. 95-108, hier S. 108) zum Bei­spiel kontrastiert Südsee-Insel und Dschungel als zwei solche einander entgegenstehenden Landschaften: «Der Dschungel bezeichnet als Landschaftstypus und Handlungsraum einen merklichen Gegensatz zur Insel. In ihm scheint das Unglück zu Hause, dort das Glück. Er stellt eine Leidenslandschaft dar, in der sich böse Affekte und die ihnen gemässe Angst die Ba­lance halten. Scheint auf der Insel der Mensch willkommen, so dass er gar zur Assimilation an diese weiche und heile Welt bereit ist, so muss er sich im Dschungel klein, ausgesetzt und er­bärmlich fühlen. Bildet die Insel einen Schutz­raum für Menschen, der jedoch nicht immer vor Störungen bewahrt, so tauchen sie im Dschungel in eine Schreckenssphäre von uner­messlicher Grösse ein, die überhebliche Ein­dringlinge zurückstösst.»

Erlebnisurlaub, Globetrotter, Abenteuer­urlaub - die Bereisung der ehemals kolonialen Welt hat eine ganze Reihe von Namen. Vgl. dazu Christoph Köck, Sehnsucht Abenteuer: Auf den Spuren der Erlebnisgesellschaft, Berlin 1990.

Hans J. Wulff
Professor für Medienwissenschaft an der Universität Kiel. Zahl­reiche Veröffentlichungen zur Film- und Fernsehtheorie und zur Populär­kultur. Autor von Psychiatrie im Film (1995), Darstellen und Mitteilen (1999), u.a. Mitherausgeber von Montage/AV. Lebt und arbeitet in Kiel und Western­kappeln.
(Stand: 2018)
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