ANDREA REITER

BASHKIM (VADIM JEND­REYKO)

SELECTION CINEMA

Thaiboxen ist eine besonders harte Kampf­sportart, in dem die Gegner mit Fäusten, Knien und Füssen aufeinander losgehen. Aggression und Kampflaune mögen in diesem Sport als be­sondere Stärke gelten - ausserhalb des Rings, im richtigen Leben, stellen sie natürlich keine Alternative zur Konfliktlösung dar. In dieser Widersprüchlichkeit befindet sich der etwa zwanzigjährige Protagonist aus Vadim Jendreykos Dokumentarfilm, denn für ihn ist die Ge­walt zu einer wichtigen Ausdrucksform ge­worden. Bashkim weiss sehr genau, dass sie im Alltag keine angemessene Form ist, sich Pro­blemen zu stellen. Aber noch übt die Gewalt gegen Menschen, die ihn unvorhersehbar zur Weissglut treiben, einen Reiz auf ihn aus, dem er sich vorerst nicht entziehen kann: «Wenn man rausfindet, wer man ist und was man will, dann ist man auf dem richtigen Weg. Aber ich bin so weit weg davon ...»

In der Schweizer Thaibox-Szene ist Bash­kim auf Grund einiger beachtlicher Siege be­kannt geworden, zurzeit trainiert er für einen Durchbruch auf europäischer Ebene. Gleich­zeitig kam er in den letzten Jahren zusammen mit seinen Freunden immer wieder in Konflikt mit der Justiz: Als Jugendlicher verübte er eine Reihe von Einbrüchen; zuletzt wurde er wegen schwerer Körperverletzung eines Polizeibeam­ten zur Rechenschaft gezogen.

Jendreyko fächert die Stationen von Bashkims Leben auf: Die Kindheit verbrachte er im Kosovo, sein Vater kam als Gastarbeiter in die Schweiz und liess später die Familie nachkom­men. Wegen der Sprachschwierigkeiten fand sich Bashkim in der Schule nur schwer zurecht.

Als sich der Krieg im ehemaligen Jugoslawien auf den Kosovo ausbreitete, wurde der Besitz von Bashkims Vater und dessen Brüdern weitgehend zerstört; viele Verwandte mussten flie­hen. Auf der Flucht ins nahe gelegene Monte­negro kamen zwei Cousins von Bashkim ums Leben. Familienvideos aus glücklichen Tagen manifestieren umso deutlicher die bittere Rea­lität des Krieges. Vor diesem Hintergrund be­kommt man einen Einblick in mögliche Ur­sachen für Bashkims Verhalten.

Seine Familiengeschichte, sein Alltag, seine Straftaten und seine Sportlerkarriere werden parallel erzählt. Jendreyko vermeidet es geschickt, die eng verknüpften Aspekte von Familie, Sprachschwierigkeiten, Gefühlen des Fremdseins, Bashkims explosivem Charakter und seinem Kampfsport gegeneinander auszuspielen. So gelingt es dem Film, Bashkim in sei­ner charismatischen Art nicht als jugendlichen Gewalttäter zu verurteilen, sondern die Viel­schichtigkeit und die Tragik dieses jungen Menschen aufzuzeigen, der seinen Platz in der Welt noch suchen muss.

Andrea Reiter
geb. 1973, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie.
(Stand: 2018)
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