FLAVIA GIORGETTA

«WHAT A FEELING» — TANZ ZWISCHEN SPORT, SEX UND KUNST

ESSAY

Stulpen, Schukerpolster und schreckliche Dauerwellen: Vor dem Wiedersehen erinnerte ich mich vor allem an die Ästhetik der grossen Tanzfilme der Achtzi­gerjahre, eines Jahrzehnts, das man automatisch mit dieser Filmgattung in Ver­bindung bringt und das sich seinerseits in diesen Filmen festgeschrieben hat. Flashdance zu visionieren, heisst auch, die Achtziger hervorzurufen, die Zeit der schauerlichen Mode, des schnellen Aufstiegs und noch rasanteren Falls und die Blüte billig produzierter Popmusik. Dass Tanz anstrengend sein kann, ja muss, wird in den Achtzigern wiederholt betont, was uns jedoch damals nicht hinderte, vor allem ein Lebensgefühl der Euphorie, des Ausbrechens in diesen Filmen zu finden und scharenweise ins Aerobic oder Ballett zu strömen - mit der schamhaft versteckten Hoffnung auf Ruhm und Ehre, auf eine Karriere wie Madonna: von der begabten Tänzerin zum Megastar. Damals widerspiegelten Tanzfilme unsere Träume und brannten sich nicht bloss bildlich, sondern auch durch ihre klug vermarkteten Soundtracks in unsere Erinnerungen ein. Heute schwelgt eine ganze Generation beim Anschaucn dieser klar auf Jugendliche ausgerichteten Filme in der Vergangenheit und würde es - trotz narrativer Un­stimmigkeiten und einem leicht veralteten Touch - kaum wagen, die Tanzfilme der Achtziger zu diskreditieren. Tatsächlich gewann ich beim erneuten Be­trachten neue Einsichten, für die ich damals zu jung und zu schwärmerisch war. Als Teenager übersahen wir damals, was mir heute in diesen Filmen auffällt: dass der Tanz immer auch als mehr oder minder harte Arbeit gezeigt wird, dass unsere damaligen Helden und vor allem Heldinnen in der von uns projizierten Traumwelt tüchtig üben mussten, um nach den Sternen greifen zu können.

Historisch betrachtet scheinen Musicals zyklische Blütezeiten zu geniessen: In den Dreissigerjahren verzauberten Fred Astaire und Ginger Rogers die Zu­schauer mit ihren Stepeinlagen, Gene Kelly sang und tanzte in den Fünfziger­jahren nicht bloss im Regen. 1977 begann mit Saturday Night Fever (John Badham, USA) eine neue Ära: Disco war in, und auch wenn der von John Travolta verkörperte Tony in klassischer Manier eine Frau gewinnen wollte, lag grosses Gewicht auf dem Tanz als Wettbewerb. In den Achtzigerjahren wird die Betonung noch verstärkt, dass Tanz nicht bloss reines Vergnügen ist - neben Talent braucht es in hartem Training ausgebildete Kraft, Ausdauer und Geschicklich­keit. Flashdance (Adrian Lyne, USA 1983), nach Dirty Dancing mit gut 93 Mil­lionen Dollar Einnahmen der wirtschaftlich erfolgreichste Tanzfilm dieser De­kade, verdeutlicht diese Verschiebung von Tanz als Ausdruck, als Vergnügen und oft auch als Symbol für Sexualität zu Tanz als ernst zu nehmender Arbeit.

Die von Jennifer Beals gespielte Alexandra «Alex» Owens arbeitet in der pittoresk dargestellten Industriestadt Pittsburgh Doppelschichten - wohl um sich den riesigen Loft leisten zu können, in dem sie mit ihrem Pitbull-Terrier haust. Während sie am Tag den mit Männlichkeit konnotierten Beruf einer Schweisserin ausübt, betont sie Nacht für Nacht ihre Kurven auf der Bühne. «Exotic dancer» nennen es die Amerikaner, das Deutsche kennt kein Wort für diesen Tanz, der knapp am Strip vorbeischrammt. In der einfachen Mawby’s Bar kann Alex zeigen, was sie draufhat, zeigen, wofür ihr Herz eigentlich schlägt. Die Männer freilich würdigen weniger ihre Tanzkunst, sondern ergöt­zen sich an ihrem nassen, in einen knappen Badeanzug gehüllten Stahlkörper. Alex’ erster Auftritt im Film ist denn auch derjenige, der sich am meisten ein­prägte und dessen Bild auch heute noch unwillkürlich mit den Achtzigern in Verbindung gebracht wird: Nachdem Alex ihren überdimensionierten, schultergepolsterten Sakko an einem Ständer aufgehängt und diesen von der Bühne gestossen hat, tanzt sie auf und mit einem Stuhl, lehnt sich in einer Imitation von Laszivität zurück, dreht einige Pirouetten, entledigt sich ihres roten Mini­kleides und zieht schliesslich an einem Strang: Wasser fällt von oben, ihr den Schweiss vom Körper zu schwemmen.

Geschwitzt wird viel in Flashdance, aber stets äusserst ästhetisch - fast kli­nisch wirkt der Schweiss, auch wenn die Arbeit dahinter immer wieder betont wird. So wie die Körperlichkeit bei Lyne künstlich wirkt, so erscheint der Tanz beim Wiedersehen vielmehr mechanisch denn erotisch. Als Flashdance aber die Kinosäle füllte, war Aerobic der letzte Schrei, und niemand dachte daran, dass es sich um ruckartige Bewegungen handelte, die direkt dem Primarschul-Ein- turnen entnommen sein könnten. Nein, Aerobic war Erotik, Ausdruck des Selbst zu fetziger Musik mit dem schönen Effekt, die Fitness zu steigern und den Körper zu formen. So stellt auch Alex - schön nach Körperteilen geordnet - ihre Muskeln zur Schau, wenn sie auf der Stelle rennt. Beim Training in ihrem Loft fängt die Kamera ihre bandagierten Füsse, die Knie und den Po im Detail ein, was neben dem fetischisierenden Element und der Verstückelung des Kör­pers in voneinander unabhängige, mechanische Wunder den praktischen Effekt hat, dass problemlos eine Ersatzdarstellerin eingesetzt werden kann - Marine Jahan wird im Abspann als «dance double» für Jennifer Beals aufgeführt.

Die im Loft eingebaute Holzstange auf Hüfthöhe und die Bandagen an den Füssen verweisen darauf, dass Alex nicht bloss eine fitnessbesessene Amateur­tänzerin ist, sondern dass ihr der Tanz als Kunst ernst ist. Er ist körperlich anstrengend, wird aber nur dank ihres persönlichen Ausdrucks besonders. Doch erst Übung und Nachahmung führen zur Freiheit eigenständiger Kombinatio­nen. Alex erkennt klassische Tanzkunst und weiss sie zu schätzen: Wenn sie durchs Fernsehprogramm zappt, bleibt sie bei einer Ballettaufführung hängen und tanzt diese nach; Ballett ersetzt ihr das Jane-Fonda-Aerobicvideo. Dabei hält sie allerdings ein Bier in der Hand, das sie auf ihr Sweatshirt verschüttet - sie kann ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse nicht vollends hinter sich lassen, das Getränk verrät sie. Dennoch scheint die Leiter zur «hohen» Kunst nah: Mit ihrer Mentorin Hanna, einer ehemaligen Ziegfield-Follies-Tänzerin, besucht sie klassisches Ballett; in ihre eigenen Tanzshows mischt sie Pirouetten unter das Hüftkreisen und zeigt mit ihren häufigen Spagateinlagen, dass ihr Körper die Voraussetzungen zur professionellen Tänzerin erfüllt.

Doch es lauern Gefahren, die sie in eine «falsche» Professionalität locken könnten. Alex befindet sich am Scheideweg zwischen einer Ausbildung an einer angesehenen Tanzschule und einer Karriere als Stripperin. Die Schule, in der sie sich einschreiben will, erscheint riesig: Aus der Froschperspektive auf­genommen, widerspiegelt das Gebäude Alex’ Angst vor den Formalitäten, den Erwartungen, dass zukünftige Tänzerinnen Hunderte von professionell unter­richteten Ballettstunden in den Beinen haben - Alex aber hat sich alles im Selbst­studium beigebracht, was schliesslich die Grundlage zu ihrer originellen Ver­bindung von Aerobic, Ballett, Break- und Modern Dance bildet. Sie muss ein Gleichgewicht finden zwischen Norm und Einzigartigkeit, eine Gratwande­rung, die auch in anderen Tanzfilmen unterstrichen wird. So müssen in A Cho­rus Line (Richard Attenborough, USA 1985) alle Bewerber für die Truppe eines Musicals gemeinsam Vorgegebenes vortanzen und dabei die Schrittfolgen voll­kommen beherrschen, aber wenn möglich noch das gewisse Etwas einbauen. In Farne (Alan Parker, USA 1980) besteht der rebellische Leroy die Aufnahme­prüfung dank einer gewagten Kombination aus perfekt getanzten Schritten und offensichtlichen sexuellen Andeutungen - er fasziniert und schockiert die Juro­ren zugleich mit seinem Hüftkreisen und einem Griff in den Schritt, einer Geste, die von Stars wie Madonna oder Michael Jackson so exzessiv eingesetzt wurde, dass sie heute nurmehr stereotyp und keineswegs mehr rebellisch wirkt. Auf der anderen Seite wartet die totale Vermarktung auf Alex, ein Ort, an dem Tanz bloss noch Mittel zum Geld ist und kein Ausdruck von Kunst mehr: Johnnie vom Striplokal Zanzibar - ein Pseudo-Zuhälter, der ebenso schleimig ist wie die Brillantine in seinem Haar - versucht, sie für seinen Schuppen zu ge­winnen, was Alex grossmäulig abzuwehren weiss.

Wie hart der Weg zur professionellen Tänzerin mit Wettbewerben gepflas­tert ist, wird Alex durch ihre beste Freundin Jeanie (Sunny Johnson) schmerz­lich bewusst, die exemplarisch zeigt, wie wichtig Erfolg ist und wie schwer Fehler bestraft werden. Jeanie serviert in Mawby’s Bar und träumt sich eine Eis­prinzessin. Am grossen Tag aber, bei einem Wettbewerb, fällt sie hin. Auch wenn sie nach dem ersten Sturz wieder aufsteht und zu «Gloria», gesungen vom Achtzigerjahre-Kultstar Laura Branigan, weitertanzt, genügt ihr Mut zur Ab­kehr von klassischer Musik auf dem Eis nicht - wieder strauchelt sie, ihr Ehr­geiz bricht, und sie bleibt auf dem Boden der Realität sitzen: Sie ist nicht gut genug. Aus der Traum von Glorie. Alex findet sie schliesslich im Zanzibar wie­der, umgeben von sabbernden Männern, die ihr zwischen die Beine schauen. Wütend zieht ihr Alex ihren Mantel über und zerrt sie aus dem Lokal; gleich­zeitig steigt der Erfolgsdruck - wenn sie das Vortanzen nicht besteht, könnte sie selbst hier landen. Ganz allein kann sie es nicht schaffen. Ihr Freund Nick, der Chef der Schweisserei, verschafft ihr einen Vortanz-Termin, allerdings hinter ihrem Rücken. Als sie dies erfährt, gerät Alex in Rage; schliesslich ist sie eine selbstständige Frau, die höchstens ihren Hund als Beschützer braucht. Nick interpretiert diese Wut aber auch als Angst: «You’re scared shitless», stellt er fest, bevor er sie negativ motiviert: «You give up your dream - you die», was in Alex’Welt auch dem Strippen bis aufs Letzte gleichkommt.

In die Ballettschule aufgenommen zu werden, unterstreicht auch die Legi­timität des Tanzes: Er spiegelt nicht bloss Lebensfreude, sondern kann zum Beruf werden. Dass Tanz zur gesellschaftlichen Akzeptanz führt oder sie zu­mindest verdient, liegt auch anderen Achtzigerjahrefilmen am Herzen. In Dirty Dancing (Emile Ardolino, USA 1987), der 1963 spielt, verbindet Mambo schliesslich zwei Menschen aus unterschiedlichen Schichten. Johnny (oft mit nacktem Oberkörper gespielt von Patrick Swayze, der dank der Mischung von Muskeln und mit Sensibilität in Verbindung gebrachter Tanzkunst zum Traum­mann von Tausenden Teenagern wurde) erobert nicht bloss Frances’ Herz mit seinen Hüftschwüngen - am Ende sieht sogar Frances’ behütender und reicher Vater, der seine Tochter bezeichnenderweise «Baby» nennt, über die sozialen Unterschiede hinweg und lässt die Ablösung geschehen. Um diese Anerken­nung durch ältere Generationen zu erlangen, muss der Tanz aber den sexuellen Beigeschmack zumindest offiziell verlieren. Dies wird zum Hauptthema in Footloose (Herbert Ross, USA 1984), in dem der den Rock ’n’ Roll verteufelnde Pfarrer mit den eigenen Waffen geschlagen wird: Der aus Chicago aufs Land gezogene Ren (Kevin Bacon) argumentiert mit Bibelzitaten, um das geltende Tanzverbot aufzuheben, und weigert sich gleichzeitig lange, die Pfarrerstoch­ter auf ihre Anregung hin zu küssen. Tanz als Grundrecht zu etablieren, kann in dieser puritanischen Kleinstadt-Bevölkerung bloss im Zusammenhang mit einer Entsexualisierung gelingen. Die Bilder sprechen allerdings eine andere Sprache: Wieder werden Körperteile beim Tanz in Nahaufnahme gezeigt, be­sonders häufig wie im Vorspann Füsse. In der Fabrik, in der Ren jobbt - wohl eine Reverenz an die Schweisserei in Flashdance -, zieht er sein Hemd aus und verbindet, im Bild von Erinnerungsflashs an den strengen Pfarrer und seine ver­führerische Tochter unterbrochen, schweissüberströmt Aerobic, Break- und Modern Dance mit einem Salto von einer günstig platzierten Stange als Höhepunkt, der mehrmals hintereinander geschnitten wird. Wenn auf der Tonspur «you feel so trapped and confused» gesungen wird, spiegelt das nicht nur Rens Zustand wider, sondern wohl auch denjenigen der meisten Pubertierenden im Publikum, aut die der Film zugeschnitten ist. Später bringt Ren in einer cliparti­gen Sequenz seinem Schulkollegen Willard das Tanzen bei, wobei klar wird, dass Rhythmus und Schrittfolgen nicht jedem im Blut liegen: Sie müssen erarbeitet werden. Durch das gemeinsame Tanzen und die Rollenverteilung Lehrer/Schü- ler entsteht ein erotisch lesbarer Subtext, der vielleicht auch erklärt, wieso sich Ren lange sträubt, die Pfarrerstochter zu küssen. Mit Tanz verbinden wir auto­matisch Sexualität und Begehren, da nützen alle verbalen Abgrenzungsversu­che mit der Bibel in der Hand nichts. Anderseits wirkt Lynes Versuch, Alex mit einem Hauch Erotik zu umgeben, heute eher aseptisch, wohl auch, weil sie solo tanzt. Dies macht Flashdance zu einem zeitgemässen Film, der im Gegensatz zu Dirty Dancing nicht in der Vergangenheit angesiedelt werden muss, da er den Anachronismus Paartanz nicht einmal in den spärlichen Liebesszenen zwischen Nick und Alex streift.1 Die aus dem Standardtanz übernommenen Einlagen in Footloose, welche die Jugendlichen in der in einem Nachbarstaat gelegenen Disco zum Titelsong hinlegen, wirkten in den Achtzigerjahren leicht unbehol­fen, was wir aber dem ländlichen Setting zuschrieben. Als sie aber «slow», also zu langsamer Musik umschlungen, tanzen, spiegelt das wie auch der Höhe­punkt des Films, die Tanzfete, nicht bloss die US-typische Hysterie um den «Prom», sondern zeichnet Parallelen zu unseren Fez von damals. In La Boum (Claude Pinoteau, F 1980), in dem Sophie Marceau ihr schauspielerisches Debüt gab, dient der (geschlossene) Tanz dem sexuellen Erwachen, durch ihn werden Träume Realität. Der Tanz wird hier zum blossen Mittel der Annäherung und ist in La Boum nie eine sportliche Option.

Alex dagegen nimmt den Tanz als Sport ernst - und schliesslich muss sie trotz allen Einflusses von Nick das Vortanzen ohne Hilfe bestehen, alleine vor den in ihrem strengen Aussehen überzeichneten Juroren - und vor der Film­kamera. Alex legt die Platte auf: Irene Cara, die in Fame mitspielt, singt «Flash­dance ... What a Feeling», ein für den Film geschriebener Song, den die Zuschauer bis zum Finale zur Genüge kennen: aus der Titelsequenz und von mehreren, leicht variierten instrumentalen Versionen, die je nach Tempo so­wohl traurige und glückliche Momente unterstreichen. Kaum hat Alex jedoch zu tanzen begonnen, fällt sie. Die Bitte um Wiederholung wird ihr gewährt, sie beginnt von vorne und bringt die strengen Figuren hinter ihren Richterpulten zum Mitwippen, so energiereich, rhythmisch und akrobatisch mischt sie Pi­rouetten, Spagate, Hechtrollen und schliesslich einen formidablen so genann­ten Backspin.2 Noch zum selben Song sehen wir Alex begeistert auf die Strasse rennen, wo Hund, Mann und Porsche sie erwarten: Sie hat es aus eigener Kraft geschafft, ihr körperliches Können und die gewagten Stilkombinationen haben selbst Lehrer zu überzeugen gewusst. Nick ist eine schöne Zugabe, doch es wird deutlich betont, dass Alex ihn nicht wegen des Geldes oder seines Ein­flusses will. Ganz im Gegenteil stellt sie klar, dass sie buchstäblich auf eigenen Füssen stehen kann und damit ihren Weg tanzen.

Adrian Lync Feminismus zuschreiben zu wollen, wäre freilich völlig falsch. Die visuelle Inszenierung des ehemaligen Werbefilmers Fyne, mit viel Gegen­licht, Rauch in der Luft und von Wassertropfen übersäten Körpern, sollte sich in seinen Achtzigerjahre-Hits 9 1/2 Weeks (USA 1986) und Fatal Attraction (USA 1987) zum Markenzeichen verfestigen. Dies vermochte damals tatsäch­lich Erotik zu evozieren. Frauen werden im Gegenlicht zu Schattenrissen, Schablonen, oder aber ihre Muskeln treten hart ausgeleuchtet besonders deut­lich hervor, werden dann allerdings isoliert vom Leib als Ganzem gezeigt. Die meisten Frauen sind auf ihren puzzleartig in Teilen gefilmten Körper reduziert, der selbst in schnell geschnittenen Sequenzen nie eine Einheit zu bilden scheint. Auch die Frauenbeziehungen sind bloss schemenhaft gezeichnet und werden von Lyne in Klischees inszeniert. Die Gespräche der Tänzerinnen in der Gar­derobe drehen sich darum, wer wann welchen Mann anrufen sollte - was in einer Videoclip-ähnlichen Sequenz, in der die Frauen an Geräten trainieren, bis sie umfallen, durch Wiederholung und Rhythmisierung ad absurdum geführt wird. Auch wenn sie ausser Dienst während den Performances ihrer Kollegin­nen freundlich mitwippen, also ihre Solidarität beweisen, stehen Alex’ Mit­arbeiterinnen bloss Statistinnenrollen zu. Erstaunlicherweise ist ihre beste Freundin keine Konkurrentin; Alex muss keine Mitstreiterin austanzen. Damit wird der Wettbewerb nicht stärker betont durch Ausscheidungen wie in A Cho­rus Line und Farne - im Gegensatz zu Flashdance sind Letztere allerdings Ensemblefilme, in denen nicht von Anfang an gewiss ist, wer wie gut abschnei­det. Auch ist das Finale trotz verzögernden Schnitten (so fliegt Alex, aus ver­schiedenen Perspektiven gefilmt, unnatürlich lange durch die Luft oder dreht sich dutzendfach um sich selbst) enttäuschend kurz: Wir sehen sie nicht mal bis zum Ende des Songs tanzen. Vielmehr wechselt die Musik in den nichtdiegetischen Bereich, zurück zum Soundtrack.

Flashdance ist visuell und auf der Tonspur stark von der Discokultur be­einflusst - und auch MTV zeichnet Spuren, der Musiksender, der 1981 erstmals seine Clips sendete. Neben genannter Krafttraining-Sequenz zeigt eine weitere zu Giorgio Moroders «Lady, Lady, Lady» clipartige Szenen: Impressionen von Pittsburgh, wie das verliebte Paar ausrangierten Eisenbahngleisen entlangspa­ziert und Alex Nick die Treppe hochquält (er ist sportlich bei weitem nicht so fit wie Alex; sie ist ihm auf diesem Gebiet also klar überlegen) - Songtext wie Bilder unterstreichen die Liebe der beiden. Film, Videoclips und Musik pro­fitierten voneinander und warben füreinander; ein Konzept, das sich einge­bürgert hat. Clips verweisen durch integrierte Ausschnitte auf den Film, der wiederum durch den Soundtrack auf Bands aufmerksam macht. Nicht bloss wirtschaftlich, auch inhaltlich und formal üben Spielfilme und Musikclips Einfluss aufeinander aus. Gewisse Tanzszenen der Achtzigerjahre-Filme faszinie­ren heute noch: Ex-Spice-Girl Geri Halliwell besteht im Clip zum Coversong von Weather Girls’ Achtzigerjahre-Hit «It’s Raining Men» das Flasbdance- Vortanzen, um sich danach in Fitwe-Manier auf Autodächern auszutoben, ln seiner extremen Fragmentierung der Erzählung sei das Musikvideo das ultima­tive postmoderne Musical, findet Jane Feuer, um gleichzeitig einzuwenden, dass im Clip die Unterscheidung zwischen Narration und Nummer fehle3 - wie ja auch in den modernen Tanzfilmen die Grenze zwischen beiden immer mehr verschwimmt. I m Film werden ganze Sequenzen auf den Rhythmus eines Songs geschnitten, der wiederum oft im Text auf die Handlung oder die Cha­raktere anspielt.

Im Gegensatz zum klassischen Musical singen in den Achtzigerjahren die Protagonisten kaum noch, bewegen höchstens ihre Eippen - wie Johnny in Dirty Dancing - synchron zu ab Konserve gespielter Musik. Bloss in A Chorus Line beginnen die Tänzer zu extradiegetischer Musik zu singen und trennen so die Nummern als Flucht vor der problembeladenen Realität des Ausschei­dungsverfahrens4; deshalb kann er wohl als einziger besprochener Film über­haupt als «pures» Musical gefasst werden. Lame steht an der Grenze zwischen Musical und Tanzfilm; die Künstlerschule, die den narrativen Rahmen des Filmes darstellt, bietet Tanz-, Theater- und Gesangskursc an. In die Handlung eingebettet und mit vorhandenen Instrumenten jammen die Schüler in der Cafeteria; während der berühmten Szene, in der die Kids auf einer New-Yor­ker Strasse tanzen, ertönt der Titelsong aus den mitgebrachten Boxen des Taxi fahrenden Vaters vom Komponisten; die Herstellung des Songs «Farne» war narrativer Bestandteil des Films. Die Musikeinlagen sind anders als in klassi­schen Musicals stets plausibel und diegetisch begründet; in den späteren Tanz­filmen wie Flashdance singt schliesslich keine Filmfigur mehr. Es reicht, dass Alex passende, bereits existierende Songs aussucht und sie abspielen lässt - sei es beim Vortanzen, sei es in Mawby’s Bar, wo ihre Wahl, zum Song «Maniac» ihr rotes Deuxpièces in die weiss gekachelte Ecke zu werfen, bloss um darunter T-Shirt und blaue, knielange Leggins hervorzubringen, ihre Tanzwut unter­streicht («She dances like she’s never danced before» - in ruckartigen Bewegun­gen, was wir damals «Robodance» nannten). Passend dazu geht ein leinwand­füllendes Stroboskopgewitter über sie nieder - mit einer guten Soundanlage im Kino konnte man sich schon fast in der Disco wähnen. So eigenartig die Cho­reografie dieses Tanzes heute wirkt: Er ist in das Geschehen eingebettet und drückt die Erwartungen der Zuschauer in der Bar und derjeniger im Kino aus - er macht im narrativen Kontext Sinn. Der Tanz ist keine utopische Nummer mehr, sondern bildet den Handlungsschwerpunkt. Bezeichnenderweise ver­mag viel eher die bevorstehende Aufnahmeprüfung den Spannungsbogen in Flashdance zu halten als die turbulente Liebesgeschichte - ein Happyend scheint freilich in beiden Fällen programmiert.

Als Techno begann, die Musikwelt zu erobern und den Tanz - mitunter mit Hilfe von Designerdrogen - vom Sport zum ekstatischen Ausdruck zu führen, landete Baz Luhrmann mit seinem Erstling Strictly Ballroom (AUS 1992) einen Hit, der auf den Tanzfilmboom der Achtzigerjahre zurückblickte und von ihm profitierte. Luhrman persifliert darin Tanzfilme im Allgemeinen, Parallelen zu den Achtzigerjahre-Hits sind eher thematisch denn tänzerisch zu sehen. Der Standard-Paartanz, wie er in Strictly Ballroom bis zur Perfektion geübt wird, hat wenig mit Flashdance oder Fame gemein. Aber auch hier ist Gewinnen das Ziel, auch hier formt ein begabter, schöner Mann ein anfänglich hässliches Ent­chen namens Fran zum schönen Schwan - auch wenn Frances in Dirty Dancing im Verlauf des Filmes bloss immer engere, knapper geschnittene Kleider trägt, während in Strictly Ballroom die Novizin Brille, Pickel und Nachthemd-ähn­liche T-Shirts loswird, um als buchstäblich glänzender Star am Ende trotz ver­änderter Tanzfiguren, eben nicht «strictly ballroom», die Juroren zu begeistern. Hier nähert sich der Film wieder Flashdance: Der Standardtanz wie auch das Ballett werden durch artfremde Figuren erweitert und gewinnen dadurch an Attraktivität. Diese Freiheit muss aber in langem Training erarbeitet werden: Um zu brillieren, muss man Talent geschickt mit Arbeit verbinden, muss Tanz gleichzeitig Kunst und Sport sein.

Ende der Achtzigerjahre rollte allerdings eine Welle von Paartanzfilmen an, deren Titel bereits auf den im Mittelpunkt stehenden Stil verwiesen: Salsa (Boaz Davidson, USA 1988) und Lambada (Joel Silberg, USA/1 1990) sind zwei Beispiele, die Strömungen aufnahmen. Besonders Salsa erwies sich nicht bloss als kurzer Trend - der Latinboom hält heute noch an.

Bei dieser Technik aus dem Breakdance dreht man sich, mit dem Körper ein Päckchen formend, auf dem Rücken um die eigene Achse. Freilich tanzte nicht Jennifer Beals selbst in dieser Szene, sondern Crazy Legs der Breakdance- und Hip-Hop-Gruppe Rock Steady Crew, die bei einem Auftritt auf der Strasse in Flashdance zu sehen ist. Alex hat beim genaueren Betrachten plötzlich muskulösere Beine und fast keine Taille mehr, aber eine Perücke und Totalen respektive Detailaufnahmen unterhalb des Kopfes vertuschen den Einsatz eines Doubles.

Jane Feuer, The Hollywood Musical, London 1993, S. 132.

Richard Dyer unterscheidet in einem Artikel zur Utopie im Musical drei Arten Musicals: solche, welche die Narration klar von den Nummern trennen, wie vor allem Backstage-Musicals; solche, die Nummern und Narration separat behandeln, Erstere aber in die Narration durch Stichworte etc. zu integrieren versuchen - zu dieser Art Musical würde ich A Chorus Line zählen und schliesslich Musicals, welche die Unterscheidung zwischen Nummer und Narration aufheben und somit die gesamte Erzählung in den Bereich der Utopie ansiedeln. Vgl. Richard Dyer, «Entertain­ment and Utopia», in: Rick Altman (Hg.), Genre: The Musical, London / New York 1981, S. 185.

Flavia Giorgetta
geb. 1973, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Lebt in Zürich und arbeitet als wissenschaftlich-päda­gogische Assistentin im Studienbereich Film an der HGK Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2001.
(Stand: 2018)
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