MERET ERNST / JÖRG MAGENER

«VORSICHT, LOTTE!» — EXPEDITIONSFILME VON HANS HASS

ESSAY

Seit den Siebzigerjahren gehört das Sporttauchen zum touristischen Angebot vieler Destinationen rund um den Erdball. Was davor mit Abenteuerlust und Risiko verbunden war, ist heute alles andere als exklusiv: Tauchen mit Pressluft ist ein Massensport geworden, der von Organisationen wie Diver Alert Network DAN oder PADI (Professional Association of Diving Instructors) immer sicherer gemacht und kommerzialisiert wurde. Die Geräte wurden so weit perfektioniert, dass heute das grösste Tauchrisiko in der Dummheit der Taucherinnen und Taucher besteht. Zu Millionen suchen sie die Ruhe und Entspannung unter Wasser: abtauchen ins Blau, Fische beobachten und gleichzeitig den Thrill der Tiefe ausleben. Und wer sein schlechtes Gewissen über die Umwelt bilanz eines Tauchurlaubs mit mehrstündiger Anreise per Flugzeug beruhigen will, kann sich an Aktionen beteiligen, welche die Korallenriffe retten: zum Beispiel, indem die Polypen zerstörenden Dornenkronen eingesammelt werden. Oder ganz einfach dadurch, dass korrektes Tauchen die fragilen Korallengärten zumindest schont. Zur Popularität des Flaschentauchens beigetragen hat nicht nur die Entwicklung der Tauchgeräte, die heute praktisch jedem den Abstieg in die Tiefe erlauben. Auch die Möglichkeit, mit Unterwasserkameras das Gesehene festzuhalten, hat zum Boom dieses Sports beigetragen, der die Aus­übenden so stark auf ihre visuelle Wahrnehmung reduziert.

Ob in den lichtdurchfluteten Korallenriffs, unter Eisbergen oder in den schwarzen Tiefen des Marianengrabens: Das Bild dieser Unterwasserwelt wird am eindrücklichsten durch Filme verbreitet. Sie sind in der grossen Mehrheit fürs Fernsehen produzierte Dokumentarfilme, die mit mehr oder weniger hohem Anspruch an wissenschaftlichem Ertrag das Leben unter Wasser vor­stellen. Die Schönheit der bunten Korallengärten und der Schaureiz, den die Unterwasserwelt bietet, gerät oft zum Selbstzweck, am deutlichsten vielleicht, wenn mit dem 3-D-Imax-Format das Gefühl des Eintauchens zu simulieren versucht wird.1 Spielfilme, die das Tauchen selbst — als Tiefsee-, Geräte- oder als gerätefreies Apnoetauchen - in den Mittelpunkt stellen, sind dagegen eher selten.2 Dafür sind wohl in der Hauptsache zwei Faktoren verantwortlich, die mit dem spezifischen Handlungsort unter der Wasseroberfläche zu tun haben dürften: Der Schauplatz Unterwasser bot sich zu sehr unterschiedlichen Er­zählabsichten an, und zugleich stellten die technischen Schwierigkeiten, unter Wasser zu drehen, für die Produktion von Unterwasserfilmen eine hohe Hürde.

Unterwasser filmen

Die wenigen Spielfilme, deren Handlungen sich hauptsächlich um das Tauchen drehen oder die unter Wasser angesiedelt sind, lassen sich nur bedingt einem Genre zuordnen. Anders als der klassische Western, dessen Umgang mit den weiten Landschaften des amerikanischen Westens genrebestimmend ist und bei dem die Eigenheit dieser Landschaft bis in die Handlungsmuster hinein wirkt, ergeben sich aus dem Schauplatz unter Wasser keine genredefinierenden Storys. Bereits Georges Méliès inszenierte die Unterwasserwelt - freilich im Studio - als Schauplatz des Märchenhaften, verknüpfte sie mit Science-Fiction und drehte daneben pseudodokumentarische Filme, die nachgespielte Gefahren­situationen unter Wasser mit Abenteuerlust paarten.3 Als das grosse Unbe­kannte, als lebensfeindlich und zugleich faszinierend vermochte die Unter­wasserwelt in mindestens vier Ausprägungen Eingang in die Geschichte des Erzählkinos zu finden: Zum einen gibt es den Abenteuerfilm unter Wasser, der häufig mit der Figur des Schatzsuchers, des Perlentauchers, des Ereitauchers auf der Suche nach Tiefenrekorden oder - aktueller - des Berufstauchers, der auf Bohrinseln sein Leben riskiert, kombiniert wird und damit die Hybris der Menschen in der für sie lebensfeindlichen Unterwasserwelt thematisiert.4 Eine zweite Gruppe bilden Kriminal- und Spionagefilme, in denen Unterwasser­szenen Gelegenheit für rasante Action bieten. James Bond gilt hierfür als einer der Klassiker (zum Beispiel in Dr. No [Terence Young, UK 1962], Thunderball [Terence Young, UK 1965], Octopussy [John Glen, UK 1983]). Als weitere grosse Gruppe, die vor allem Ende der Achtzigerjahre Aufschwung erhielt, gelten Science-Fiction-Filme, die statt in die Höhe des Alls in die Tiefen des Ozeans tauchen und dabei häufig ins Esoterische driften.5 Wobei der Unter­schied zwischen Weltraum und Tiefsee auf ein Minimum reduziert und be­stehende Science-Fiction-Filme wie zum Beispiel Alien (Ridley Scott, UK 1979) oder The Thing (John Carpenter, USA 1982) fast eins zu eins übernommen wurden.6 Und als vierte Gruppe kann eine Mischform definiert werden, die dokumentarisch ausgelegtes Material von Reise- und Expeditionsberichten mit einer Erzählhandlung kombiniert.

Der Begriff Unterwasserfilm versammelt also Filme mit sehr unterschiedlichen Erzählabsichten. Der gleich bleibende Schauplatz, die Unterwasserwelt, ist nicht nur das grosse Unbekannte, das mit Hilfe von Abenteuerlust und der entsprechenden Technologie erforscht und erobert wird (wie im Abenteuerfilm und Science-Fiction), sondern es dient auch als Versteck der Bösen, ist Sehnsuchtsort von Esoterikern, Spielwiese für Freizeittaucher, Flochleistungssportler oder Meeresbiologen.

Zur Tatsache, dass der Unterwasserfilm im Erzählkino kein einheitliches Genre ausbilden konnte, dürften auch technische Schwierigkeiten beigetragen haben. Erste Versuche, unter Wasser zu fotografieren, datieren zwar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.7 Und der erste nachweislich unter Wasser gedrehte Dokumentarfilm Thirty Leagues under the Sea (Carl Gregory, USA) entstand bereits 1914. Doch die Schwierigkeiten, längere Szenen unter Wasser oder gar im offenen Meer zu filmen, sind nach wie vor gross.8 Um zumindest die Um­weltbedingungen kontrollieren zu können, werden auch heute Aufnahmen statt in offenen Gewässern in Tanks gemacht - was sich vor allem für Nahaufnahmen bewährt. Ist es unabdingbar, im Meer zu filmen, zum Beispiel wenn die Fauna ins Bild gebracht werden soll, kann durch das Bullauge eines U-Boots gefilmt werden, was allerdings zu Problemen der Schärfeneinstellung führt. Andern­falls braucht es Kameragehäuse, die dem Wasserdruck standhalten und es trotz­dem erlauben, Einstellungen am Apparat vorzunehmen. Auch so sind die auf­nahmetechnischen Probleme noch gross genug: Der Brechungswinkel und die Grössenverhältnisse werden durch das Wasser verändert, und die schwierigen Lichtverhältnisse verlangen nach sehr empfindlichem Film. Der lichtempfind­lichere Schwarzweissfilm wurde so lange gebraucht, bis Farbfilme entwickelt wurden, die ebenfalls gute Resultate brachten und die legendäre Farbenpracht der Korallen einfangen konnten - einen der wichtigsten Schaureize unterWas­ser überhaupt. Die technische Entwicklung der Unterwasserfotografie ging im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Naturwissenschaftlern und Fotografen aus. Erst später, mit der Entwicklung des Gerätetauchens, kamen Taucher hinzu, die wesentlich dazu beitrugen, die Unterwasserfotografie voranzutreiben.9

Die aufnahmetechnischen Probleme erschwerten es, Unterwasserfilme in Spielfilmlänge zu produzieren. Zusätzlich zum Kostenfaktor sahen sich fil­misch ambitionierte Regisseure mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass unter Wasser Schweigen herrscht. Wie die Protagonisten im Stummfilm, der keinen gesprochenen Dialog, sehr wohl aber Geräusche und Begleitmusik zuliess, konnten die Taucher vor der Entwicklung von speziellen Unterwassersprech­geräten verbal nicht kommunizieren. Die dramaturgische Herausforderung, trotzdem Dialog zwischen den handelnden Personen in den Unterwasserauf­nahmen zu legitimieren, hat vermutlich auch zur Unpopularität von Tauch­filmen beigetragen. Oder zumindest dazu, dass solche Filme nicht ganz ernst genommen wurden und vor allem B-Movies blieben. Mit zwei grossen Aus­nahmen: den Filmen des Franzosen Jacques-Yves Cousteau (1910-1997) und von Hans Hass, die beide erfolgreich halbdokumentarische Filme über die Unterwasserwelt drehten. Cousteau wurde finanziell von der französischen Marine unterstützt, hatte mit seinen Tauchern in silbernen Tauchanzügen mit Rennstreifen stylish die Nase vorn und beherrschte das Marketing seiner Filme glänzend. Der Wiener Hans Hass andererseits musste sich seine Forschung sel­ber finanzieren. Cousteau und Hass - die beiden Namen sind für die Kino­erfahrung von Unterwasserbegeisterten zentral.

Hans Hass, 1919 geboren, Tauchpionier, Zoologe, Erfinder, Unterneh­mensberater und Publizist, hat seit den Vierzigerjahren versucht, die stumme, auf das visuelle Erlebnis ausgerichtete Unterwasserwelt ins Erzählkino zu bringen. Allerdings verstand sich Hass von Beginn weg als Wissenschaftler, dem die Filmerei lediglich Mittel zum Zweck war. Seine Forschungsexpeditionen, die er seit den späten Dreissigerjahren unternahm, wollte er nicht nur mit Publikationen und Vorträgen, sondern auch mit Filmen finanzieren. Das Genre, dem seine Kinofilme zugcschlagen werden können und das als «Tauchfilm» wohl die richtige Bezeichnung hätte, ist eine Mischung aus Kultur- und Abenteuerfilm: Rahmenhandlungen dienen dazu, nicht nur die Schönheit der Unter­wasserwelt, sondern auch die Wunder der Tauchtechnik zu zeigen. Und zwar einem Publikum, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch kaum auf eigene Taucherfahrung zurückgreifen konnte. Der Versuch, die stumme Unterwasserwelt ins Bild und zum Sprechen zu bringen, war nicht nur technisch eine Herausforderung. Auch dramaturgisch mussten sich Hass und sein Team einiges einfallen lassen.

Unterwasserfilme als Dokudrama

Die Initiation geschah auf der Abiturreise 193710: ln Südfrankreich lernte Hans Hass den amerikanischen Begründer der Unterwasserjagd kennen, den Journa­listen Guy Gilpatric. Hass tauchte mit und tauschte schon bald den Speer gegen eine Fotokamera und eine 16-mm-Filmkamera aus, für die er wasserdichte Hüllen konstruierte. (Hass beschreibt im Nachhinein diesen paradigmatischen Eintausch der Waffe gegen die Bilder schiessende Kamera, der auch viele Tier­filmer anzutreiben scheint, mit den folgenden Worten: «Schon nach einigen Tagen begann ich an dieser neuen Form der Jagd richtig Gefallen zu finden. Im Grunde war sie nicht weniger aufregend, und eigentlich war ein gelungenes Foto sogar eine noch schönere Beute als ein toter Fisch. Ausserdem war diese Fotojagd entschieden schwieriger als das Harpunieren.»11) Das Tauchen liess ihn nicht mehr los, nach drei Jahren Jura-Studium wechselte er zur Zoologie, deren Studium er 1943 in Neapel mit der Promotion zum Dr. rer. Nat. abschloss. Eine 1939 geplante Expedition nach Curaçao verlängerte er wegen Kriegsausbruch gleich auf acht Monate. Die Aufnahmen, die er auf dieser Reise mit einer 16-mm-Schmalfilmkamera machte, führte er in Wien dem Ufa-Pro­duzenten Nicholas Kaufmann vor. Das Material wurde unter dem Titel Pirsch unter Wasser (1942) schliesslich von der Ufa Berlin als «Kulturfilm» herausgebracht.12 Hass war Kameramann, Darsteller und Kommentarsprecher, die Regie wurde jedoch 1941 vom Ufa-Regisseur Rudolf Schaad übernommen.

Um den Unterwasseraufnahmen einen entsprechenden Rahmen zu geben, wurde 1941/42 in einem Wiener Freibad ein knapper narrativer Einstieg nach­gedreht (Kamera: Karl Kurzmayer). Dazu genügte es, die für das Tauchen nötige Technik darzustellen: Drei Wiener Studenten, gespielt von den Expedi­tionsteilnehmern Hass, Jörg Böhler und Alfred von Wurzian, die in ihren Som­merferien in tropischen Gewässern tauchen wollen, führen zwei ahnungslosen Mädchen13 die Bedienung von Kamera, Taucherbrille, Flosse und Harpune vor. Daran schliessen sich die Aufnahmen aus der tropischen Unterwasserwelt an. Mit Hilfe von Rückprojektionen wurde in einem Aquarium in den Filmstudios in Babelsberg zusätzliches Material gedreht, die Hass und seine Freunde auf Unterwasserjagd zeigen - auch wenn die Jagd nicht mehr zum Ableben der Fische führt. In der Adria bei Dubrovnik wurde ebenfalls zusätzliches Material gedreht. Im Rückblick kritisierte Hass Schnitt und Regie seines ersten Kino­films ebenso wie die Musik, die «in zu aufdringlicherWeise in den Vordergrund gestellt»14 worden sei - ein Problem, das auch viele neuere dokumentarische Unterwasserfilme nur schlecht lösen. Der narrative Einstieg des Dokumentar­films fiel damals schon auf und bot Anlass zu Kontroversen. Das zeigt sich auch daran, dass der Film gerade wegen der gespielten Eingangsszene bei der Kulturfilmzentrale beinahe abgelehnt worden wäre.15

Die grosse Schwierigkeit bestand für Hass im Folgenden darin, für seine Unterwasserfilme tragfähige Handlungen zu erfinden. Denn bereits beim zwei­ten Projekt, das ursprünglich aus zwei weiteren Kulturfilmen bestehen sollte, kam ihm der Gedanke, stattdessen einen abendtüllenden Film zu machen.16 So entstand Menschen unter Haien, der Material von einer Expedition in die Ägäis 1942 zeigt und 1947 seine Erstaufführung im Zürcher Kino Capitol erfuhr. Menschen unter Haien hat einen ähnlich funktionierenden Einstieg wie Pirsch unter Wasser. Die zusätzliche ausgebaute Rahmenhandlung macht den Film zu einem eigentlichen Dokudrama.17 Eine Gruppe von jungen Wiener Meeresfor­schern erlebt auf ihrer Expedition durch die Ägäis wilde Abenteuer; die Dra­maturgie schliesst Episode an Episode: Der Mann an der Oberfläche hört aus Langeweile auf, Luft zu den Tauchern im Tauchhelm zu pumpen. Hass führt sein Sauerstoff-Kreislaufgerät vor, mit dem er sich frei bewegen kann - was in einer weiteren Szene zu einer Sauerstoffvergiftung mit Bewusstlosigkeit und Sehstörungen führt. Man sieht, wie die Teilnehmer mit Hammer und Meissei Proben aus den Korallen entnehmen. Eine Schildkröte wird gejagt, ein Wrack wird besucht. Beim Harpunieren eines Zackenbarschs verfängt sich ein Expe­ditionsteilnehmer in einer Schlinge, versucht sich zu befreien, indem er mit einem Stein auf sie draufhaut, was schliesslich zu seiner Rettung führt: Die Schläge haben seine Kollegen herbeigerufen. Höhepunkt der Abenteuer ist eine Szene mit Haien, die angelockt von den durch Dynamit getöteten Fischen in einen Fressrausch geraten. Die ungewohnten, gefährlichen Abenteuer waren Inhalt genug, so dass die Werbung darauf aufbauen konnte: «Die Hauptdarstellerin dieses Filmes, der weibliche Star also, heisst mit Vor- und Zunamen <GEFAHR»>, hiess ein Werbetext in der Illustrierten Film-Bühne.18 Auf dem Expeditionsschiff hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen, das für einen abendfüllenden Film erforderliche minimale Erzählgerüst zu filmen: «Die Filmarbeiten während der Expedition zeichneten sich vor allem durch die grosse Unlust aus, mit welcher sie ausgeübt wurden. Alfred [von Wurzian, Anm. d. A.] sollte vor allem Drehbucharbeiten ausführen und hat in dieser Hin­sicht völlig versagt. Die Drehbuchvorschläge, die aus seiner Feder stammen, dürften wohl kaum drei Seiten umfassen; Oberwasseraufnahmen machte er nur ungern und mit recht gönnerhafter Miene. Auch ich hatte wenig Lust zu diesen Aufnahmen, so dass es ein allgemeiner Zwang wurde. Das Wiederholen von Szenen wurde mit schlechter Stimmung quittiert, alle schienen die Filmerei als eine lästige Spielerei zu empfinden.»19 Immerhin war es Hass klar, dass Zu­geständnisse an ein Kinopublikum gemacht werden müssen, sollten seine Filme erfolgreich laufen: «Trotz aller widrigen Umstände war die Grundeinstellung doch richtig. Nämlich die Vorstellung eines bunten Filmgeschehens, das sich nicht im Rahmen bisheriger Kulturfilme abspielen sollte. Damals wurde erst­malig das Prinzip geboren, nach dem auch meine späteren Filme ausgerichtet sein werden, nämlich tatsächliche Begebenheiten spielfilmartig nachzudrehen. Also einerseits wirklich die Wahrheit zu zeigen, jedoch - da man im gegebenen Augenblick des Geschehens meist nicht gut filmen kann -, das Fehlende später nachzudrehen und zu stellen.»20

Abenteuer im Roten Meer

«<Das Drehbuch dieses Films», erklärt Hans Hass, «schrieb - die Wirklich­keit!»»21 - mit diesem Slogan wirbt die Illustrierte Film-Bühne für den Hans­-Hass-Film Abenteuer im Roten Meer (1950). Es ist der Bericht der zweiten Expedition, die Hass mit sechs Teilnehmern nach Port Sudan ans Rote Meer führte. Die Verfilmung der Expedition sollte dazu dienen, ein neues For­schungsschiff zu finanzieren - Hass’ erstes Schiff «Seeteufel» ging Ende des Krieges verloren. Die Unterstützung des österreichischen Unterrichtsministe­riums und ein Filmvertrag mit der Wiener Sascha-Film boten die finanzielle Basis. Deren Verleihdirektor, der allerdings mehr als nur einen Kulturfilm wollte, schlug vor, dass Hass seine Sekretärin Lotte Baierl mitnehmen solle, die als Skriptgirl und wissenschaftliche Assistentin vorgesehen war. Es kam anders: Die mutige und attraktive Lotte wollte auch tauchen. Das wiederum bot mehr als willkommenen Stoff für die Story. Lotte Baierl überzeugte Hass als zukünf­tige Expeditions- und Lebensgefährtin so sehr, dass sie nach der Expedition heirateten und von da an zusammen auf Forschungsreisen gingen.22 Die beiden Expeditionsziele - sinnesphysiologische Untersuchungen von Fischen und die Suche nach Walhaien - ergaben zugleich das Drehbuch. Die Struktur des Films besteht wieder darin, dass einzelne Tauchgänge aneinander geschnitten werden. Lotte spielte die Rolle als Frau, «die ihren Mann stellt»,23 so überzeugend, dass sie sie in den folgenden Filmen weiterführen konnte; davon abhängig fand auch Hass seine Rolle: als derjenige, der sie, ganz überlegener Taucher und Held, aus einer misslichen Situation und vor blutrünstigen Haien befreit. Oder sie - unter Wasser! - mit lauter Stimme ermahnt, ja keine giftigen Lebewesen anzurühren: «Vorsicht, Lotte!» Woran sie sich natürlich zu Gunsten der Spannungssteige­rung nicht hält.

Die Teilnehmer der Expedition ans Rote Meer tauchen von Port Sudan aus, bis schliesslich die Kunde von «Meeresungeheuern», grossen Mantas, die Gruppe veranlasst, mit einem gemieteten arabischen Fischkutter in See zu ste­chen. Dabei werden nicht nur Mantas, sondern auch Walhaie gesichtet und ge­filmt. Die Suche nach den grossen Fischen ist zugleich der Handlungsfaden, der den episodenartig aufgebauten Film zusammenhält. Mit dem Schiff hinaus­zufahren war aber auch nötig, um die Versuche mit Ton unterWasser durchzu­führen. Ein eigens dafür angefertigtes Unterwassermikrofon, ein Unterwasser­lautsprecher und ein Generator gehörten zur Ausrüstung; Philips stellte eine Studio-Magnetofonanlage und einen Tontechniker zur Verfügung. Bereits auf früheren Expeditionen hatte Hass auf Grund von Beobachtungen die Theorie aufgestellt, dass Schwarmfische durch «die vom Schwarm ausgelösten Schwin­gungsmelodien angelockt und am Schwarm gehalten» würden.24 Hass rechnete sich aus, dass diese von den Fischen ausgelösten Schwingungen auf Magnet­band aufgezeichnet, wieder ausgestrahlt und so als Köder für die kommerzielle Fischerei benutzt werden könnten. Was wiederum die Finanzierung eines neuen Forschungsschiffes vorantreiben sollte. Auf jeden Fall hatte Hass diesbezüg­liche Patente angemeldet. Für den Film boten die Versuche Anlass für putzige Unterwasserepisoden, etwa wenn ein Schwarm von Stachelmakrelen zu einem Walzer von Johann Strauss («Rosen aus dem Süden») zu tanzen scheinen25 - und die Taucher gleich mit. «Wir waren diesmal bemüht, alle Geräusche ober und unterWasser für unseren Film gleich original festzuhalten. Unser Film dürfte damit der erste Unterwasser-Tonfilm sein.»26 Abenteuer im Roten Meer gewann 1951 den ersten Preis für Dokumentarfilme auf der Biennale in Vene­dig; die Weltrechte verkaufte Hass an RKO Pictures (US-Filmproduzent Sol Lesser). Der Film lief so erfolgreich, dass sich Hass den Stahlrumpf der Segeljacht des amerikanischen Nähmaschinenherstellers Singer kaufte und zum For­schungsschiff «Xarifa» umbaute.

Unternehmen Xarifa

Der bekannteste Film von Hass bleibt Unternehmen Xarifa (1954), der die achtmonatige Forschungsfahrt durch die Karibik, auf Galapagos und Cocos zum Inhalt hat. Mit 300000 Mark finanzierte der Verleih Herzog-Film die Pro­duktion von Hass mit und verlangte im Gegenzug, dass der Expeditionsfilm als Spielfilm ausgewertet werden konnte. Die Produktion des in Technicolor ge­drehten Farbfilms, der erstmals die ganze Farbenpracht der Korallen zu zeigen vermochte, verlangte nach ausgebildeten Kameraleuten. Für die Aufnahmen verpflichtete Hass Konstantin Irmen Tschet; unter Wasser kam neben Hass der Engländer Jimmy Hodges zum Einsatz. Von den neun Expeditionsteilnehmern und der zwölfköpfigen Mannschaft wurde schauspielerisches Talent gefordert. Auch Fotte Hass ist wieder dabei und hat einige Gelegenheiten, dramaturgi­sche Höhepunkte auszuspielen: Sie ist es, die ein Wettfischen veranstaltet oder selbst ausgedachte Hypnoseexperimente an Fischen vorführt. Und sie will un­bedingt einen sagenhaften Schatz auf Cocos heben, träumt davon, wie sie ihn birgt, versucht es tatsächlich und gerät deswegen am Schluss des Films in Gefahr. In einer Parallelhandlung, in der sie in eine Grotte taucht, wo sie den Schatz vermutet und wegen neugierigen Haien nicht mehr aufsteigen kann, hat Hass endlich die lange gesuchten Pottwale gefunden. Spannungssteigernd wirkt, dass Hass die aufgeregten Rufe der alarmierten Kollegen auf dem Boot nicht hört und immer wieder abtaucht, um die Wale zu filmen. Die Aufnahmen, die er von den scheuen Tieren machen kann, gehören zu den besten, die es für lange Zeit geben sollte. Endlich, in letzter Sekunde gelingt cs ihm, die Haie von Lotte zu vertreiben - mit dem bewährten Anschreien der Tiere27 schlägt er sie in die Flucht und taucht mit Lotte auf.

Hass folgte dem Wunsch des Verleihers nach Spielfilmcharakter so weit, dass er Unterwasserdialoge einbaute. Die verwendeten Kreislaufgeräte, die den Tauchern sensationell lange Tauchzeiten bis zu einer Stunde ermöglichten, er­laubten kein Sprechen unterWasser. Für die Fiktion störte das nicht weiter - die Taucher taten so als ob und sprachen die vorher festgelegten Dialoge ins Mund­stück. Der Ton wurde später im Studio so verfremdet, als wäre der Dialog tatsächlich unter Wasser gesprochen und gehört worden.28 Dadurch wurden Szenen möglich, die über die seriösen Experimente und Beobachtungen hin­ausgingen, welche die Forscher, darunter der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, tatsächlich an den Fischen mit Hilfe von Geräuschen und anderen Geräten unternahmen, etwa indem sie das territoriale Verhalten der Fische mittels Spiegel untersuchten. Für das Kinopublikum, das nicht nur belehrt, sondern vor allem unterhalten werden will, kommentieren die Forscher ihre Versuche auch gleich unter Wasser, wehren mit Regenschirmen, auf denen ein Haifischmaul gezeichnet ist, Haie ab, was in Tat und Wahrheit auf Grund des Wasserdrucks kein wirklich handliches Verfahren wäre. Und der Funker, der über Kurzwelle aus Deutschland die Nachricht erhalten hat, dass Eibl-Eibesfeldt soeben Vater geworden sei, leitet das Geschrei des Neugeborenen unter Wasser ins Korallenriff, wo sich die Forscher gerade mit Tonexperimenten an den Eischen beschäftigen. Nicht genug, schwimmt der Funker mit einer Sekt­flasche auf den Meeresgrund, erklärt das seltsame Geräusch den überraschten Forschern (Eibl-Eibesfeldt: «Und ich dachte, das sei eine Katze!») und gratu­liert... Insgesamt wird ein Bild vermittelt, als liesse es sich unterWasser und zwischen den Korallen, die auch mal als bequeme Eiegestätte dienen, mit etwas Technik so leben wie an Land.

Für den Wissenschaftler Hass, der seine Forschungstätigkeit auf der «Xarifa» fortsetzen wollte, wirkte sich der Erfolg seiner Filme nicht nur positiv aus. Das Schiff kostete, und der Versuch, es an Filmproduktionen weiterzuvermie­ten, gelang mit einer einzigen Ausnahme nicht: Für die italienische Produktion Il tesoro di Rommel (Romolo Marcellini, I 1955), in dem unter anderem der Schweizer Paul Hubschmid spielte, konnte Hass die «Xarifa» vermieten. Aller­dings musste er gleich noch als Ko-Produzent fungieren. Auch der letztlich fehlgeschlagene Versuch, die «Xarifa» für zahlende Gäste auf Unterwasser- safaris im Roten Meer zu vermieten - das Schiff war für Touristen zu sparta­nisch eingerichtet -, hielt Hass von seiner wissenschaftlichen Arbeit ab. Und schlimmer noch: Mit seinem Versuch, über die publikumswirksamen Filme seine Forschungstätigkeit zu finanzieren, gefährdete er vor allem in den Augen der deutschen Forschergemeinde seinen Ruf als seriöser Wissenschaftler. Schliesslich weigerte sich die Deutsche Forschungsgesellschaft, an das Forschungsschiff «Xarifa» zu zahlen, obwohl sich namhafte Naturwissenschaftler dafür einsetzten. Ein letztes Mal ging sie auf Reise über Ostafrika durch den Indischen Ozean auf die Malediven: Dieses Mal hatte Hass die Finanzierung über das Deutsche Fernsehen und die BBC organisiert. Im Gegenzug ver­pflichtete er sich, 24 dreissigminütige Dokumentationen zu drehen, die unter dem Titel Expedition ins Unbekannte ausgestrahlt wurden. Damit war die Ent­scheidung, die Hass nie explizit gesucht hat, zwischen dem, was als «seriöse» Forschungstätigkeit gilt, und dem Gebrauchsfilm zu Gunsten Letzterem ge­fallen. 1960 verkaufte Hass die «Xarifa» und verlor damit eine wichtige Grund­lage für die halbdokumentarischen Tauchfilme. Die nächsten zehn Jahre ver­zichtete Hass auf Forschungen unter Wasser und begann, Studien auf dem Gebiet der Allgemeinen Organisationslehre und der Verhaltensforschung zu betreiben. Dabei kam ihm die Filmerfahrung, die er sich mittlerweile angeeig­net hatte, zupass: «Das Verhalten innerhalb menschlicher Gemeinschaften kann ebenso nüchtern und frei von Vorurteilen analysiert werden, wie jenes der Fische in einem Korallenriff.»29 Der Vergleich von Korallenfischen und menschlichem Verhalten mündete in die Ausformulierung seiner Energon- Theorie, wonach sich Unternehmen zwangsläufig nach den gleichen Grundgesetzen entfalten, die auch die Evolution der Tiere und Pflanzen vorantreiben.

Etwa im Imax-Film Into the Deep (USA 1994) des begnadeten Unterwasserfilmers Howard Hall.

Einen summarischen Überblick über Un­terwasserfilme bietet Jan-Christopher Horak, «Der Unterwasserfilm», in: Handbuch Tau­chen, München/Wien/Zürich 1996, S. 401­420.

Georges Méliès, Voyage à travers l'impos­sible, 1904; 20000 lieues sous les mers, 1907; Guerre de Cuba et l’explosion du Maine à La Havane, 1898.

Etwa The Deep (Orson Welles, USA 1977); The Blonde from Singapore (Edward Dmytryk, USA 1941); Le grand bleu (Luc Bes­son, USA/E/I 1988); Dykket (Tristan DeVere, Norwegen 1989).

5 The Abyss (James Cameron, USA 1989), The Sphere (Barry Levinson, USA 1998).

Leviathan (George P. Cosmatos, USA 1989) übernimmt die Handlung von Alien und The Thing.

Zur Geschichte der Unterwasserfotogra­fie vgl. Steven Weinberg, Unterwasserfotografie - hundert Jahre Geschichte, Technik, Faszina­tion, Schaffhausen 1993. Eine Chronologie der Unterwasserfotografie bietet http://www.un- terwasserfoto.com.

Eine Aufzählung der technischen Prob­leme bei Horak (wie Anm. 2), S. 402 f.

Auch Hans Hass entwickelte 1937 und 1938 wasserdichte Hüllen für eine Kleinbild- und eine 16-mm-Schmalfilmkamcra. Biografi­sche Angaben zu Leben und Werk von Hans Hass: Michael Jung, Biografie Prof. Dr. Hans Hass, www.hans-hass.de; Hans Hass, «Hans Hass: Leben und Werk», in: ders., Aus der Pio­nierzeit des Tauchens, Hamburg 1996, S. 397­408.

Die folgende Darstellung von Leben und Werk Hass’ basiert auf Jung und Hass (wie Anm. 9).

Hass (wie Anm. 9), S. 43. Vgl. Vinzenz He diger, ««Hunter, Naturalist, Cameraman. A Life for Africa». Notes on the «Gun and Camera» Topos in Natural History Films and Beyond», SCS Conference 2002, Denver (Colo.), S. 9 ff.

Produktionsdaten und Expeditionsbe­richte, zusammengestellt von Michael Jung unter Mitarbeit von f lorst Ackermann und Manfred Christ, auf http://www.hist-net.de/ Filmgalerie/Filmgalcrie.htm.

Gespielt von der österreichischen Schau­spielerin Helli Servi (u.a. auch im Film Char­ley’s Tante mit Peter Alexander, 1963, zu sehen) und Herta Grindl.

Hans Hass, «Meine Filmarbeiten vor Cu­raçao. Ein kritischer Rückblick. Expeditions­reflexion 1944», http://www.hist-net.de/Film- galerie/Tagebuchauszug-Curacao.htm.

Ebd.

«Anfangs war nur die Herstellung zweier Kurzfilme geplant, nämlich einen über Unter­wasserarbeiten von Tauchern an gesunkenen Schiffen und ein anderer, den wir «Schlingen- geschichtc» genannt hatten, der eine abenteuer­liche Pirsch unter Wasser zeigen sollte. Beide Filme hatte ich skizzenhaft in ihrer Handlung festgelegt und mit der Ufa einen entsprechen­den Vertrag abgeschlossen. Bald kam mir aber der kühne Gedanke, einen abendfüllenden Film heimzubringen.» Hans Hass, «Meine Filmarbeiten in der Ägäis. Ein kritischer Rück­blick. Expeditionsreflexion 1944», http://www. hist-net.de / Eilmgalerie / Tagebuchauszug-Cu-racao.htm.

Der Einstieg wird bei Menschen unter Haien über eine Vortragssituation gestaltet, die zugleich «die Geisterstimme des Kommenta­tors», d.h. den Off-Kommentar, einführt, der dem Film einen lehrreichen Kultur-Film­Touch verleiht. Hass (wie Anm. 16).

Illustrierte Film-Bühne 566 (1947).

Hass (wie Anm. t6).

Ebd.

21 Illustrierte Film-Bühne 1185 (1951).

Hass (wie Anm. 9), S. 214.

Werbetext in Illustrierte Film-Bühne (wie Ann. 21).

Hass (wie Anm. 9), S. 215. «Ich habe im Verlauf der weiteren Beobachtungen fest­gestellt, dass die Perzeption durch Druck­schwingungen im Wasser bei Meerestieren eine bedeutende Rolle spielt und bei meinen dies­bezüglichen Versuchen erkannt, dass Fische durchaus nicht stumm sind, sondern auch eine gewisse Verständigung haben, und zwar erken­nen und verständigen sic sich in der Art ihrer Flossenbewegungen und die dadurch ausge­sandten Schwingungen.» Hans Hass, «Meine Filmarbeiten im Roten Meer. Ein kritischer Rückblick. Expcditionsreflexion 1950», http:// www.hist-net.de/Filmgalerie/Tage... zug-RotesMcer.htm.

Hass (wie Anm. 9), S. 253.

Hass (wie Anm. 24).

Hass (wie Anm. 9), S. 232, schildert, wie das von ihm ausgetestete Anschreien der Haie abgestürzten Flugzeugpiloten der US Army empfohlen wurde. Das Verfahren klappt aller­dings bei den grossen Weissspitzen-Hochsee- haien nicht, wie Hass selber einräumt.

Hass (wie Anm. 24).

Hass (wie Anm. 9), S. 401.

Meret Ernst
geb. 1966, promovierte Kunsthistorikerin. Arbeitet als Ausstellungsmacherin und Publizistin mit Schwerpunkten zeitgenössische Kunst, Grafik und Design. Seit 1999 Mitglied der CINEMA-Redaktion. Taucht seit sechs Jahren.
(Stand: 2018)
Jörg Magener
geb. 1956, dipl. Restaurator und Kunsthistoriker. Passionierter Freitzeittaucher und Unterwasserfotograf. Lebt und arbeitet in Zürich.
(Stand: 2018)
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