Euphorische Gesichter, wallende Regenbogenfahnen, Frauen Arm in Arm, Männer Hand in Hand - Lesben und Schwule, so weit das Auge reicht. Unter ihnen: eine strahlende Marianne Bruchez, hauptverantwortlich für diese farbenprächtige Invasion im Walliser Sion. Der 7. Juli 2001 war ein geschichtsträchtiger Tag - nicht nur für das kleine Städtchen, sondern und ganz besonders für die Homosexuellen im Wallis und der ganzen Schweiz. An diesem Datum nämlich fand in der katholisch geprägten Region ein Gay Pride statt - die seit Stonewall weltweit zelebrierte Demonstration für die Anerkennung der Homosexuellen.
Dem Pride vorausgegangen waren das Veto des Bischofs und ein behördlicher Hindernislauf, waren eine riesige Medienresonanz und eine rechtsextreme Antikampagne, waren Zerwürfnisse innerhalb der Gay Community und persönliche Anfeindungen gegenüber der Organisatorin. Sieben Monate lang hat Lionel Baier diese Geschehnisse dokumentiert, in deren Zentrum Marianne steht. Sie repräsentierte letztlich als Einzige des Komitees mit Namen und Gesicht den Gay Pride - die «parade» -, die ja gerade die Sichtbarkeit der Homosexuellen zum Ziel hat. Solange sich alles im Versteckten abspielte, war es für den Stadtpräsidenten von Sion ein Leichtes zu behaupten, dass die mutmasslichen zehn Prozent Homosexuelle in der Gesellschaft vielleicht für San Francisco, aber sicher nicht für das Wallis zuträfen. Doch die Organisatorinnen wollten nicht warten, bis auch das Wallis für «so etwas» reif wäre. Und sie wollten den Umzug auch nicht in einer Grossstadt der französischen oder deutschen Schweiz durchführen, sondern hier, wo sie herkommen, leben und arbeiten. Die Solidarität der Manifestierenden aus dem ganzen Land gab ihnen Recht.
La parade ist eine sehr persönliche Dokumentation. Der Filmemacher stammt aus der Gegend; er ist mit vielen der Protagonisten befreundet, und sein eigenes Coming-out schwingt immer mit. In einem Kameraschwenk lassen sich von seinem jetzigen Wohnort Lausanne aus, wie Baier feststellt, die beiden Extreme der religiös-konservativen Herkunftsregion und des nahen weltoffenen Genf einfangen, wo gleichzeitig mit dem Kampf für den Pride die registrierte Partnerschaft für Lesben und Schwule die Gesetzeshürde passierte.
Eine geschickte Montage konstruiert Episoden aus der langen Vorbereitungszeit und wiederkehrende Rückschläge mit Streiflichtern aus den letzten erwartungsvollen Stunden vor der «parade» zu einer dramatischen Spannungskurve: Liegt der Versammlungsplatz frühmorgens noch verlassen und grau unter strätzendem Regen, reisst die Wolkendecke mit fortschreitendem Tag zunehmend auf, und eine immer grösser werdende Menge ergiesst sich in die engen Strassen Sions. Als berührender Höhepunkt der «parade» erklimmt Bradiez das Rednerpult und lässt ihren Blick überwältigt über die Anwesenden schweifen. In einem eindrücklichen Finale zelebriert der Film diesen langen Moment der Akklamation als ersehnten Schlusspunkt eines monatelangcn Kampfes und Signal für einen hoffnungsvollen Aufbruch.