MARCY GOLDBERG

LA MALADIE DE LA MÉMOIRE (RICHARD DINDO)

SELECTION CINEMA

La maladie de la mémoire beginnt mit einem Gedächtnistest: Eine ältere Frau versucht, eine Reihe von einfachen Aufgaben zu lösen, doch sie hat offenbar Mühe, sich zu erinnern, was sie soeben gelesen oder gesehen hat. Durch solche konkreten, rührenden Tableau-Sequenzen ge­lingt es Richard Dindo, die Tragik von Alzhei­mer, der «Krankheit der Erinnerung», greifbar zu machen. Denn wie sonst lässt sich eine Krankheit abbilden, die uns unserer geistigen Fähigkeiten unaufhaltsam beraubt - und damit dessen, was uns zu Individuen macht?

Um ein umfassendes Porträt des «Gedächt­nisfressers» Alzheimer zu realisieren, konzen­triert sich Dindo auf eine Reihe von Menschen, die sich in unterschiedlichen Lebens- und Krankheitsetappen befinden. Da die meisten von ihnen nicht mehr in der Lage sind, ihren Zustand zu kommentieren, sind es vor allem deren Familienangehörige und Pflegepersonen, die verschiedene Aspekte der Krankheit schil­dern und vom fortschreitenden geistigen Zer­fall der Betroffenen erzählen. Ehefrauen und -manner, Kinder und Enkelkinder füllen deren Lücken der Erinnerung mit Berichten vom früheren Leben - und bilden damit einen schar­fen Kontrast zu den nunmehr erinnerungslosen Figuren, die wortlos in die Kamera starren.

Es war ein genialer Einfall Dindos, den Film so zu strukturieren, denn solche intimen Sequenzen ermöglichen es, uns auf subtile Art sehr viel über Alzheimer zu vermitteln, ohne in die pädagogische Diktion des medizinischen Auftragsfilms zu verfallen. Jede Sequenz dreht sich zwar um eine Hauptfrage wie etwa: Wie er­kennt man erste Symptome? Gibt es Übungen, die den Zustand der Kranken stabilisieren hel­fen? Worin besteht die Pflege von Alzheimer­Kranken? Weil diese Fragen aber scheinbar beiläufig im Rahmen von persönlichen Ge­sprächen und Szenen aus dem Alltag auftau­chen, wirken sie keineswegs didaktisch.

Zu den Verdiensten des Filmemachers ge­hört ebenfalls seine Fähigkeit, die Sprechenden zu offenen, ehrlichen Statements zu bewegen. Zurückzuführen ist dies sicherlich auf seine nüchterne und äusserst höfliche, gleichzeitig aber interessierte Art, Fragen zu stellen. Die Diskretion des filmischen Dispositivs (auf auf­dringliche Zooms beispielsweise wird verzich­tet) bildet einen wirkungsvollen Gegensatz zu den oft heftigen Emotionen der Familienmit­glieder. Am ergreifendsten sind aber die - eben­falls nüchtern gefilmten - Szenen mit denjeni­gen, die am Anfang der Krankheit stehen und trauernd Abschied von sich selbst nehmen müssen. «Alors je deviens dingue ou quoi?», fragt eine gepflegte Dame ihre Pflegerin, wäh­rend diese gequält lächelt.

La maladie de la mémoire ist, wie Dindos HUG - L'hôpital cantonal universitaire de Ge­nève (1998), in Zusammenarbeit mit dem Gen­fer Kantonsspital entstanden. Doch diese Dar­stellung einer gedächtnisstörenden Krankheit gehört auch durchwegs zu Dindos laufender filmischer Arbeit als Erinnerungsforscher.

Marcy Goldberg
geb. 1969, Studium der Filmwissenschaft, Semiotik und Philosophie, University of Toronto und York University (Kanada). Wohnt seit 1996 in Zürich. Redaktionelle Mitarbeiterin des DOX Documentary Magazine. Mitglied der Programmkommission des Dokumentarfilmfestivals «Visions du réel» in Nyon.
(Stand: 2018)
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