SANDRA WALSER

NOSFÉRATU TANGO (ZOLTÁN HORVÁTH)

SELECTION CINEMA

Vampirismus und Kinematografie - ein eigen­artiges Paar. Dass nämlich die erste Bram-Sto­ker-Adaption, Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens (1922) von Friedrich Wilhelm Mur- nau, ausgerechnet in die Blütezeit des expres­sionistischen Stummfilms fiel, welcher sich das Spannungsfcld von Schatten und Licht zunutze machte, war wohl kein Zufall: Das Dunkel, in dem alle Figuren des Kinos überhaupt erst lebensfähig werden, ist das Element des Vam­pirs, das Licht, welches die Filmgeschöpte ge­bärt, sein Feind. Seither sind ein paar hundert Vampirfilme entstanden, was den Blut saugen­den Wiedergänger zu einer der beliebtesten Filmfiguren macht. Ab und an sind scheinbar letzte Zuckungen eines über all die Jahrzehnte hinweg blutleer gewordenen Genres auszuma­chen - und dann kommt ein Werk, welches das Genre neu belebt, indem es eigenständige Figu­ren sowie neue Charakteristika des Vampir­daseins entwirft.

Ohne zu übertreiben: Zoltán Horváths Nosfératu Tango ist so ein Glücksfall, ln die­sem 12-minütigen, mehrfach preisgekrönten Animationsfilm verlieben sich eine Mücke und Nosferatu ineinander und ziehen von da an gemeinsam durch die Nacht. Die erste Einstel­lung lässt eine eher konventionelle Umsetzung dieser klassisch melodramatisch angelegten Ge­schichte vermuten: Wir sehen ein altes Buch, das sich wie von Geisterhand aufschlägt (ein offensichtliches Murnau-Zitat) - kurz darauf setzt eine tiefe und ruhig sprechende Stimme ein: «Once wäre una fois...» Vier Worte, vier Sprachen - spitzzüngig kommentiert der Er­zähler die Abenteuer der Blutsaugergemein­schaft in diesem eigens für den Film kon­struierten und paradoxerweise verständlichen Kauderwelsch.

Horváth ist (nach Le trompette de Géri­cault, 1996, und Carcasses et crustacés, 1999) erneut ein ebenso souveräner wie geistreicher Einsatz der filmischen Mittel gelungen: Bruch­los verbindet er die klassische Animation seiner zweidimensionalen Faltfiguren mit digitaler Bildbearbeitung. Er kreiert eine virtuos ausge­arbeitete Bilderwelt, die ständig in Bewegung ist und sich vielerorts dem Puls des treibenden Soundtracks (Laurent Ecabert, Jean-Michel Daviron) hingibt. Zwar wundert man sich hie und da, was diese mehrmalig und mit grossem Getöse vor sich gehenden, wirbelsturmartigen Umschichtungen des Bildes zu bedeuten haben. Weil Nosfératu Tango aber so temporeich da­herkommt und sich zudem eine (buchstäblich) verschachtelte Gestaltung zu Eigen macht, nimmt man sie erst einmal als rein formale Kennzeichnung eines Szenenwechsels wahr. Die Auflösung, welche mit bescheidener Zu­rückhaltung ganz nebenher ausgespielt wird, während schon die Endtitel ablaufen, berei­chert den ohnehin schon berauschenden Film dann um einen fulminanten Wendepunkt.

Sandra Walser
geb. 1976, lebt als freie Journalistin und Studentin in Zürich.
(Stand: 2018)
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