FLAVIA GIORGETTA

BEHIND ME - DREI JAHRE MIT BRUNO GANZ (NORBERT WIEDMER)

SELECTION CINEMA

Bruno Ganz, der Schauspieler, und Bruno Ganz, der Mensch: Beide möchte Norbert Wiedmer in seinem jüngsten Dokumentarfilm zeigen und den Schweizern Vorhalten, welch grandiosen Künstler ihre Heimat hervorge­bracht hat. Und wahrlich erhalten Fausts Worte plötzlich Inhalt in Ganz’ Verkörperung; sic sind nicht mehr blosser Pflichtstoff, sondern spiegeln die Not eines Menschen. Die Proben zu Peter Steins Marathoninszenierung des Faust bilden den roten Faden in diesem Porträt - mit Bruno Ganz nähern wir uns dieser gleichzeitig schwer greifbaren und so elementaren Figur des Zweiflers und Verzweifelten und fragen uns: Ist dies Bruno Ganz in seiner Midlifecrisis?

Behind Me beschränkt sich aber nicht auf den Faust, sondern zeigt - unterstützt durch Filmausschnitte - den jungen wie älteren Ganz als Theater- sowie Filmschauspieler und lässt ihn sogar zum Co-Regisseur werden, der durch seine mit Digitalkamera aufgenommenen Bil­der dem Dokumentarfilm lyrische Passagen schenkt. Diese unterstreichen auch das Frag­menthafte dieses Porträts, das nie einfach linear Lebensstationen aufzählen will, sondern sich dem Menschen Ganz klar über seine Arbeit nähert. Ein anderer Ansatz wird in den Aus­schnitten aus Die Dienstreise erkennbar, einem Dokumentarfilm von 1979, in dem er als Soldat in einem WK zu sehen ist.

Ganz’ Stimme, sanft und doch immer nah am Brechen, wird durch die Radioaufnahmen von T. S. Eliots The Waste Fand hervorgeho­ben, einem weiteren Werk, das den weltlichen Zerfall beschreibt. Dass Ganz keineswegs mit den von ihm verkörperten Figuren gleichzuset­zen ist, betont er selbst schon zu Beginn, als er in Anspielung auf Hamlet meint: «‹Behind me› siehts eigentlich ganz anständig aus.» Dies wird am Schluss wieder unterstrichen, als er sich von Faust distanziert: «Ich habe mit dieser Figur nichts zu tun.» Damit wird der Versuch von Zuschauern zunichte gemacht, Parallelen zwi­schen dem Schauspieler und seinen Rollen zu finden, und gleichzeitig erscheint die Grösse dieses Künstlers, der sich dem Spiel unterordnet und die Figuren, so fern sie ihm auch sein mögen, fassbar macht.

Flavia Giorgetta
geb. 1973, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Lebt in Zürich und arbeitet als wissenschaftlich-päda­gogische Assistentin im Studienbereich Film an der HGK Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2001.
(Stand: 2018)
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