EVA MOSER

NOVEMBER (LUKI FRIEDEN)

SELECTION CINEMA

Eines Morgens im November findet Marianne Brunner ihre elfjährige Tochter Yvonne erfroren im Pool ihres Gartens, ausgerechnet diesen hatte das Mädchen sich sehnlichst gewünscht. In einer Rückblende erzählt Luki Frieden, wie es zu diesem tragischen Ereignis kommen konnte.

Die Familie Brunner ist eine typische Schweizer Familie. Sie lebt in einem Einfamilienhaus einer ruhigen Wohnsiedlung in Thun. Der Vater Paul ist Angestellter einer grossen Versicherungsgesellschaft, die Mutter Marianne Hausfrau. Der Alltag der Familie scheint ruhig und geordnet. Mit der Zeit wird deutlich, dass sich die Eltern nach und nach voneinander entfernt haben und je länger, je mehr auch die Träume ihrer Tochter nicht mehr verstehen. Hinter der scheinbar ruhigen, geordneten Fassade zeichnen sich Konflikte ab.

Als Marianne über zwei Millionen Franken im Lotto gewinnt, gerät die Familie aus den Fugen. Paul kommt mit der neuen finanziellen Selbstbestimmung seiner Frau nur schwer klar. Als er schliesslich noch seinen Arbeitsplatz verliert, gerät er in eine Sinnkrise. Marianne verführt Andy, den Nachbarssohn im Teenager-Alter, und plant mit ihrer besten Freundin Simone eine Reise nach Argentinien. Yvonne, deren grösster Traum eine Reise nach Los Angeles ist, da dort ihre Brieffreundin Jennifer wohnt, findet Zuflucht beim jungen Nachbarn, den alle nur Iceman nennen. Er teilt ihre Sehnsucht nach der Reise in die USA.

Der Film erzählt langsam, arbeitet mit ruhigen Bildern und langen Einstellungen. Dadurch erhält er eine gewisse Langatmigkeit, die es einem manchmal schwer macht, in der Geschichte zu bleiben. Gewisse Charaktere erscheinen ein wenig oberflächlich. November streift viele Themen, ohne eines wirklich zu vertiefen. Die einsetzende Pubertät von Yvonne, ihr Interesse an allem Amerikanischen, stösst vor allem beim Vater auf Unverständnis und Desinteresse, es kommt zu Auseinandersetzungen mit der Tochter. Gleichzeitig versinken die Eltern immer mehr in Gleichgültigkeit. Sexualität wird zum Problem, eines Nachts vergreift Paul sich an seiner Frau, genau genommen vergewaltigt er sie. Doch die Familie verharrt in ihrer Sprachlosigkeit. Auch Iceman scheint nicht glücklich zu sein mit seinem Leben. Er wohnt in einer Art Garage, in der sich die Jugendlichen aus der Nachbarschaft treffen, kiffen und über ihre familiären Probleme sprechen.

Allen Figuren gemeinsam ist die Sehnsucht nach einem anderen Leben, sie sind jedoch zu sehr in den Alltag eingebunden, als dass ihnen ein Wechsel gelingen könnte. Einzig Iceman erfüllt sich seinen Traum. Er wird die Reise nach New York antreten, zu einem Freund, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. In der letzten Nacht vor seiner Abreise feiern die Freunde Abschied, es ist eine kalte Nacht, der erste Schnee fällt, am nächsten Morgen wird Yvonne erfroren im Pool liegen.

Eva Moser
geb. 1976, studiert Geschichte, Politologie und Publizistik an der Universität Zürich. War längere Zeit für StarTV als Cutterin der MovieNewsRedaktion tätig. Lebt und arbeitet in Zürich.
(Stand: 2004)
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