FLAVIA GIORGETTA

MEYERS (STEVEN HAYES)

SELECTION CINEMA

Schon ihr Name drückt schweizerisches Mittelmass aus: Die Meyers wollen auf keinen Fall auffallen. Das Dekor deutet auf die Fünfzigerjahre hin, das Paar ist in den Sechzigern. Jeder Tag verläuft gleich und vor allem synchron mit den Nachbarn: Ernst Meyer schreitet gleichzeitig wie all seine Nachbarn vom Reiheneinfamilienhaus zum Volvo, einer nach dem anderen schlägt die Autotüre zu und fährt zur Arbeit. Während die Männer das Geld verdienen, gehen die Frauen ihren Haushaltspflichten nach: Eine nach der anderen trottet mit dem Einkaufswagen aus dem Bild. Änderung schleicht sich in das Leben des Paars, als eines Tages nur noch Rauschen aus dem Radio zu hören ist: Die einen Augenblick Zeit raubende Irritation bewirkt, dass Ernst nicht nur zu spät aus der Wohnung tritt – in die nachbarlose Leere –, sondern auch noch ohne Pausenstulle. Plötzlich trinkt er «eifach so» keinen Orangensaft zum Frühstück, was seine Frau verdutzt hinnimmt. Als er aber auch noch blaumachen will, um mit den Nachbarn aufs Land zu fahren, erkennt Edna ihren Ernst nicht wieder. Einige Irritationen später lässt aber auch sie sich ein auf die Spontaneitäten des Lebens, was nicht nur ihrem Sexualleben, sondern auch ihren Lachfalten (und denjenigen des Publikums) gut tut.

In seinem Diplomfilm für den Studienbereich Film/Video an der HGKZ entwickelt Steven Hayes ein präzises Timing: Nicht nur stimmt die zum Teil aufwändige Choreografie, auch sind die Lacher gekonnt gesetzt. Der Film, der Parallelen zu Jacques Tati und seinen Gegenüberstellungen von Automatisierung und Menschlichkeit aufweist, besticht ausserdem durch die stimmige Ausstattung und die Kameraarbeit (der Kameramann Till Brinkmann schloss mit diesem und einem weiteren Diplomfilm ebenfalls sein Studium an der HGKZ ab), die Details ins Zentrum zu rücken weiss. So beginnt der Film mit der Sicht durch eine Filterkaffeekanne, die − einmal wiederholt − prägnant den täglichen Trott versinnbildlicht.

Meyers wurde am Filmfestival von Locarno 2003 in der Sektion «Pardi di domani» gezeigt, wo er dem Publikum lautes Gelächter entlockte und den Action Light Award gewann.

Flavia Giorgetta
geb. 1973, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Lebt in Zürich und arbeitet als wissenschaftlich-päda­gogische Assistentin im Studienbereich Film an der HGK Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2001.
(Stand: 2018)
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