DANIEL DÄUBER

JE SUIS TON PÈRE (MICHEL RODDE)

SELECTION CINEMA

Gleich die Anfangssequenz von Je suis ton père macht die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten deutlich: Der erwachsene Sohn verschläft die Ankunft des Vaters am Bahnhof, wo er ihn eigentlich hätte abholen sollen. Der alte Herr, gehbehindert, macht sich zu Fuss auf den Weg zur Wohnung seines Sohnes. Als sie sich dort schliesslich begegnen, geschieht das respektvoll, zurückhaltend und im Bestreben, nicht gleich in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Doch schnell wird klar, dass die beiden Männer nicht viel gemeinsam haben. Während Luc, ein Poet und Intellektueller, sich als Schriftsteller eine bescheidene Existenz (samt Wohnung und wildem Garten) erarbeitet hat, zehrt der Vater, ein desillusionierter «Büezer», von den Erinnerungen aus einer besseren Zeit, als er noch bei Töffrennen erfolgreich war und seine Frau ihm Halt gab.

Schon bald machen sich die Differenzen bemerkbar. Zu einem ersten Eklat kommt es beim gemeinsamen Besuch des Grabes der Ehefrau und Mutter. Nach einem lautstarken Streit und Tätlichkeiten zwischen den beiden zieht der Vater seinen Flachmann aus der Jackentasche, betäubt seinen Schmerz und sein Selbstmitleid mit Alkohol. Eine Geste, die bereits zur Routine geworden ist. Ebenso Lucs Reaktion, welche nicht zur Entspannung der Situation beiträgt. Regisseur Rodde bleibt dabei unerbittlich nah am Geschehen dran, lässt uns teilhaben an dem Konflikt, der sehr unmittelbar und echt wirkt.

Erzählt wird aber nicht nur von einer Vater-Sohn-Beziehung. Luc stellt dem Vater nämlich seine neue Freundin vor. Das ist doppelt problematisch: Zum einen wird der Vater gleich hellhörig, als Luc von Melanies Beruf erzählt (sie ist Stripperin), zum anderen ist der alte Herr von der jungen Frau derart angetan, dass sie für ihn zu einer Art verklärtem Abbild seiner verstorbenen Ehefrau wird. Mit seiner zunächst charmanten Annäherung erreicht er bei der «Tänzerin», dass sie ihm trotz Lucs Warnungen unvoreingenommen begegnet.

Bis hierhin folgt man Regisseur Rodde interessiert, weil er es schafft, nach der Skizze des problematischen Vater-Sohn-Gleichgewichts dem Film mit einer dritten Figur eine neue Richtung zu verleihen. Worauf die Geschichte schliesslich hinausläuft, möchte man dann aber nicht unbedingt mit ansehen. Fast schon peinlich berührt, wird man Zeuge, wie der Mitleid erregende Alkoholiker zum alten «Glüschtler» wird, wie er die Beziehung seines Sohnes zu Melanie sabotiert und «Mimi», wie er sie nennt, auch noch erpresst. Worauf der Film damit hinaus will, wird nicht ganz klar. Streckenweise büsst Je suis ton père deshalb auch seine Glaubwürdigkeit ein.

Die soliden schauspielerischen Leistungen der drei Hauptfiguren bezeugen immerhin, dass Michel Rodde, der bisher vor allem im dokumentarischen Bereich fürs Westschweizer Fernsehen gearbeitet hat, SchauspielerInnen zu führen versteht.

Daniel Däuber
*1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, unter anderem für die Schweizer Filmzeitschreiften Zoom und Film geschrieben und arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2011)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]