URSULA VON KEITZ

ORLACS HÄNDE (ROBERT WIENE, A 1924)

MOMENTAUFNAHME

Natürlich sind sie furchterregend gross, zu gross. Conrad Veidt, der mit seinem knochigen Gesicht und der dünnen Gestalt die Szene immer von der Nachtseite her zu betreten scheint, verleugnet sie oder stellt sie demonstrativ aus: Er ist ein Pianist, dem ein zwielichtiger Professor die Hände eines toten Mörders transplantiert hat. Aber er ist nicht Frankenstein’sches Flickwerk, denn Chirurgenschnitt und -naht bleiben unsichtbar, nirgendwo sind Narben – das Montagekunstwerk Mann ist reine Imagination. Die Differenz agiert er im Tanz von Ich und Nicht-Ich auf der Bühne seiner Handgelenke aus. Er weiss, dass er etwas Obszönes am Leib trägt. Seine Geste ist in der Berührung angstvoll, tastend und schlägt jäh um in den besitzergreifenden, kraftvollen Griff, der Adern und Sehnen hervortreten lässt, wie auch die senkrechte Ader an der Schläfe schwillt, wenn er sich erregt. Keine Frau traut sich heran an diesen dunkel gekleideten Leidenskörper, der den Kontakt eher mit den Dingen, den Wänden und dem Boden sucht. Umarmt er trotzdem eine, so ist es, als greife ein Verdurstender nach seiner Retterin, dann umschliesst er ihren Kopf, gibt sich ganz in die Nähe und hat hundert Arten parat, den Kopf zu neigen und sein Gesicht an das ihre zu schmiegen. Eine Innigkeit, die ihn selbst immer wieder überrascht.

Ursula Von Keitz
Dr. phil., ist Oberassistentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Zahlreiche Aufsätze zur Filmgeschichte und -theorie, insbesondere zum Stummfilm und zu dokumentarischen Formen, zuletzt zu Musik und Stimme im Spielfilm der 1930er-Jahre. Buchpublikationen u. a.: Die Einübung des do- kumentarischen Blicks (Co-Hg., Marburg 2001); Kinogefühle (Co-Hg., Marburg 2005); Im Schatten des Gesetzes (Marburg 2005); Erna Morena (Co-Autorin, München 2005), Mehr als Schein (Co-Hg., erscheint in Zürich/Berlin 2008).
(Stand: 2008)
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