SIMONA FISCHER

STAILA CRUDANTA (PASCAL BERGAMIN)

SELECTION CINEMA

Wenn Diplomfilme häufig Gefahr laufen, zu viel Können unter Beweis stellen zu wollen – dienen sie doch nicht selten dazu, das weitere berufliche Fortkommen zu sichern –, so schafft es Pascal Bergamin mit seinem fiktionalen Kurzfilm, dieser Falle zu entgehen. Zwanzig Minuten lang werden wir in die entrückte Engadiner Bergwelt entführt und Zeugen mehrerer, gar über zwei Generationen reichender Liebesgeschichten. Dabei versucht dieser Diplomfilm, authentisch und unprätentiös dem Geheimnis der Liebe auf die Spur zu kommen, und legt uns nahe, das Wesentliche nicht aus dem Blickfeld zu verlieren: nämlich sowohl dem menschlichen Vermögen als auch dem Unvermögen mit einem wohlwollenden Lächeln zu begegnen. Trotz traurigem Ende schenkt uns diese kleine Geschichte in handwerklich gekonnter Manier die Hoffnung und den Glauben an die wahre Liebe zurück.

Leas (Annina Sedlacek) und Curdins (Tobias Durband) Liebesgeschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die uns zunächst zur Beerdigung ihrer Grosseltern führt. Während die beiden in verschneiter Landschaft, mit freiem Blick auf die Berge, Hand in Hand vor dem Grab stehen, werden die Erinnerungen an ihre erste Begegnung wach. Noch nicht lange aus Kopenhagen zurück, trifft Lea am Geburtstagsfest der Grossmutter zufälligerweise auf Curdin. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick, die nach anfänglicher Schwierigkeit kraft liebenswürdiger Beharrlichkeit doch noch ihre ersehnte Erfüllung findet. Umso überraschender wendet sich am Grab der Grosseltern das Blatt des Glücks – und dies nicht nur für den Klavierstimmer und Snowboardlehrer Curdin –, als Lea ihm gesteht, ihre verflossene Liebe nicht vergessen zu können.

Dem kurzen Glück, das so lange wie das Aufleuchten einer Staila crudanta, einer Sternschnuppe, währte, ist die lebenslange Liebe der Grosseltern gegenübergestellt. Ohne je alte Zeiten zu glorifizieren oder gar dem Leben in den Bergen den Nimbus vollkommenen Glücks zu verleihen, überzeugt dieser Film sowohl auf dramturgische als auch formaler Ebene. Gekonnt werden Rückblenden eingeführt, die dem Handlungsverlauf einen spannenden Erzählbogen zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit verleihen. Der gezielte Einsatz der Videokamera lässt uns im Nostalgiegefühl selbst gedrehter Familienfestfilmchen schwelgen, während Bob Dylans Shooting Star leitmotivisch die Erzählung durchwebt. Staila crudanta hinterlässt ein nachhaltiges Leuchten auf der Leinwand, welches auch der irritierende Auftritt von Carla (Mirjam Zbinden) nicht zu trüben vermag.

Simona Fischer
geb. 1972. Studium der Germanistik, Publizistik und der Filmwissenschaft. Arbeitet für das Literaturhaus Zürich und als freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2006)
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