DORIS SENN

AU LARGE DE BAD RAGAZ (CHRISTOPHE MARZAL)

SELECTION CINEMA

Würde Schweiz Tourismus einen Filmpreis verleihen, Christophe Marzal müsste ihn für seinen leichtfüssigen Thriller Au large de Bad Ragaz erhalten! Die etwas ominöse Story rund um die junge, hübsche Russin Sacha (Julia Batinova) spielt sich vor einer malerischen Kulisse ab: zwischen Genf und Walenstadt von See zu See – weshalb der Regisseur seinen Film auch ganz treffend ein «Lakemovie» nennt. Sacha begibt sich in die Schweiz, um die Habseligkeiten ihres verstorbenen Bruders in Empfang zu nehmen, und stösst dabei auf einen in einem See versenkten Goldschatz aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Mit ihrem Guide Alex (Mathieu Amalric) reist sie zu Fuss, im Boot, im Zug und auch mal – ein verschmitztes Liebäugeln mit Godard – mit einem roten Chevrolet. Und damit das alles einen gehörigen Drive bekommt, werden sie von der russischen Mafia sowie einem einheimischen Kommissar verfolgt. Es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd, zu Schiessereien und, natürlich, auch zu einer Romanze zwischen Sacha und Alex. All das vor einer erstaunlich integeren Natur: ohne die für die Schweiz charakteristischen Einfamilienhäuschen, ohne Starkstromleitungen und Autobahnen.

Christophe Marzal bleibt in seinem zweiten Werk in vielem seinem Erstling treu: Auch der abstruse Krimi Attention aux chiens (1999) führte einen Film lang über Feld und Wiesen und verband eine Romanze mit einer skurrilen Gaunergeschichte. Diesmal hat sich der Filmemacher in seiner überbordenden Fantasie etwas beschränkt, hat dafür ein überzeugendes Protagonistenpaar ins Zentrum gestellt und zwei hochkarätige Altstars verpflichten können: Kommissar Meyer, ein Mann mit Erfahrung und Eheproblemen, wird von Jean-Luc Bideau (Jonas qui aura 20 ans dans l’an 2000) verkörpert – Maria Schrader (Le dernier tango à Paris) spielt seine Frau, die von Meyer mit Hilfe von Schlafmitteln zur Apathie und zum Ausharren an seiner Seite gezwungen wird. Die Liebe ist dem in die Jahre gekommenen Paar verloren gegangen. Dies ist wohl mit ein Grund, weshalb sich der Kommissar so in den Fall um die flüchtige Russin verbeisst: Eifersüchtig verfolgt er die aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Sacha und Alex, ohne in seinem eigenen Privatleben die Dinge auf die Reihe zu kriegen.

Die beiden Geschichten entfalten sich parallel und finden beide zu einem mutmasslich guten Ende in einer eindrücklichen SeeGebirgs-Landschaft: Während «SüsswasserBonnie-&-Clyde», wie Marzal sein Gaunerpaar nennt, den Schatz zwar finden, aber nur, um ihn in einem andern See wieder zu deponieren und vor allem, um mir nichts, dir nichts selbst im Wasser zu verschwinden, scheinen Kommissar Meyer und seine Frau den Mut zu einem Neuanfang gefunden zu haben. An diesem Punkt hat Marzal der heimischen Location definitiv exotische Qualitäten verpasst: Die schroffen Felsen, die sich in der glatten Seeoberfläche spiegeln, heben die Geschichte aus der Realität in eine Traum und Jenseitswelt – mit einem Augenzwinkern und in der vagen Hoffnung auf einen Neuanfang anderswo. Wer weiss, vielleicht in Marzals nächstem Film?

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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