SIMONA FISCHER

AGATA E LA TEMPESTA (SILVIO SOLDINI)

SELECTION CINEMA

Nach dem düsteren Immigrantendrama Brucio nel vento (2002) kehrt der italienischschweizerische Regisseur Silvio Soldini mit Agata e la tempesta wieder zum leichteren Komödienton von Pane e Tulipani (2000) zurück. Mit derselben Crew (allerdings ohne Bruno Ganz) der für den Schweizer Filmpreis nominierten Erfolgskomödie zeigt der Regisseur auch diesmal ein farbenfrohes Panoptikum italienischen Lebens, allerdings insgesamt abgehobener von der Alltagsrealität. Während Soldini einerseits atmosphärisch an Pane e Tulipani anknüpft, so besinnt er sich andererseits auf die starken Frauenfiguren – wie schon in Le acrobate (1997), der Geschichte einer Freundschaft dreier Frauen.

Um die titelgebende Heldin reihen sich die Figuren, noch nichts ahnend, dass bald schon das Schicksal wie ein Sturm über ihr Leben brausen und ihre Existenz auf den Kopf stellen wird. Die attraktive Buchhändlerin Agata – hervorragend durch Licia Maglietta besetzt – verliebt sich heftig in Nico (Claudio Santamaria), einen um 13 Jahre jüngeren Mann, den ihre Kollegin (Giselda Volodi) amüsiert den «jungen Werther» nennt. Der wahrhaftig übersinnliche Sturm der Gefühle scheint sogar die Naturgesetze ausser Kraft zu setzen. In Gegenwart der Mittvierzigerin brennen Glühbirnen durch, Ampeln versagen ihren Dienst – mit allen möglichen Konsequenzen –, Computer spielen verrückt.

Ihr Bruder Gustavo (Emilio Solfrizzi), ein glücklich verheirateter Architekt und Vater eines Sohnes, muss eines Tages entdecken, dass er adoptiert wurde. Tief erschüttert über die ungelöste Frage seiner wahren Herkunft flüchtet er aufs Land zu seinem leiblichen Bruder Romeo (Giuseppe Battiston), der als fliegender Kleidervertreter voll aufrichtiger Liebe zu seiner Frau ist und dennoch jeglicher Versuchung des weiblichen Geschlechts nicht widerstehen kann.

Agata e la tempesta ist ein bunter, skurriler Film um die Kaprizen der Liebe und die kleineren und grösseren Tragödien, die das Leben schreibt. Eigentlich wird nichts Weltbewegendes erzählt, nichts, was man nicht kennen würde, es ist vielmehr die Art und Weise, wie Soldini dem alltäglichen Irrsinn menschlicher Existenz seine Komik und Absurdität abgewinnt, die diesen Film auszeichnet. Soldini räumt der Studie jedes einzelnen Charakters genügend Platz ein, fängt die Stimmungen in den Gesichtsausdrücken ein und lässt das Mimenspiel der Schauspieler die Alltagsironie erzählen. Nebensächliche Begebenheiten erhalten ihre Dynamik durch den schnellen Wechsel der Schauplätze, die in stark leuchtenden Farben auch die traurigste Begebenheit aufzuheitern vermögen.

Der etwas lang geratene Film ist im Übrigen eine Hommage an Alda Merini – wie bereits der Titel verrät, der an das Gedicht «scatenar tempesta» erinnert –, eine der berühmtesten italienischen Poetinnen des 19. Jahrhunderts.

Simona Fischer
geb. 1972. Studium der Germanistik, Publizistik und der Filmwissenschaft. Arbeitet für das Literaturhaus Zürich und als freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2006)
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