ANDREAS FURLER

DER COUP ALS KUNST UND KATASTROPHE — ANMERKUNGEN ZUM HEIST MOVIE

ESSAY

Es gibt im Kriminalfilm nichts Langweiligeres als den supersmarten Detektiv, der immer schon die Lösung weiss. Und es gibt umgekehrt kaum etwas Spannenderes, als mit den Räubern auf Beutezug, den «Heist» zu gehen. «Heist», ein amerikanisches Slangwort, heisst Raub oder Coup; «Heist Movies» erzählen demnach von der Planung und Durchführung eines Einbruchs oder Überfalls aus Sicht der Täter, anders gesagt von Unverschämtheit, Gerissenheit und Gefahr: Alarmanlagen sind stillzulegen, Wachleute auszutricksen, Wände lautlos zu durchbrechen. Der Plan – auf dem Reissbrett schon faszinierend durch seine Raffinesse – wird bei der Durchführung vielfach durchkreuzt; Professionalität und Improvisation, Chuzpe und Kaltblütigkeit sind somit gefragt – Eigenschaften, die wir Zuschauerinnen und Zuschauer auch im Alltag gern à discrétion hätten. Fast unvermeidlich paktieren wir beim Heist Movie mit den Räubern, das Objekt der Begierde macht uns dies leicht; fast immer ist es ein Geld- oder Schmucktresor, fast immer ist sein Besitzer eine Bank, ein piekfeines Juweliergeschäft oder der Staat, niemand also, den der Verlust wirklich schmerzen könnte. Und ist der Geschädigte doch eine Einzelperson, wie es beim «kleinen Bruder» des Heist Movie, dem Betrüger- und Gaunerstück, häufig vorkommt, so handelt es sich bestimmt um einen Naivling oder Fiesling, der aus Schaden nur klüger werden kann oder nichts Besseres verdient hat.

Sich selbst (und andere) schadlos halten

Noch wichtiger für unser Vergnügen am Heist Movie ist aber ein zweites Prinzip: die (relative) Gewaltlosigkeit, die Vermeidung menschlicher Opfer, ja selbst ernsthafter Verletzung oder Traumatisierung Dritter auf dem Weg zur Beute. Auch dieses Prinzip hat weniger mit juristischer Rechtsauffassung als mit Common Sense, unserem spontanen Rechtsempfinden im Alltag, zu tun. So sehr nämlich die Idee vom plötzlichen grossen Geld fasziniert, so eindeutig lehnen die meisten von uns diese ab, wenn ihre Umsetzung mit massiver Gewalt einhergeht. Das ausgeübte Unrecht vergällt das Geniessen des Gewinns. Aus diesem Grund erzählen Filme, in denen es beim Heist – geplant oder ungeplant – zum Mord an Unschuldigen kommt, nie vom Gelingen des Raubzugs, sondern von dessen Scheitern.

Womit wir bei der Typologie, den vier Grundformen des Heist Movie wären: dem Thriller und der Komödie des Gelingens sowie der Tragödie und der Komödie des Scheiterns. Jedes dieser Subgenres handelt von einer existenziellen Erfahrung.

Der Thriller des Gelingens ist ein Heldendrama, das vom Überwinden aller Schwierigkeiten, vom Glück des Tüchtigen erzählt und Einfallsreichtum und Wagemut feiert. Da ein ungebrochener Triumph solcher Werte am Beispiel eines gelungenen Einbruchs allerdings etwas gar kindlich anmutet, kommt der Thriller des Gelingens beim Heist Movie meist komödiantisch verbrämt oder mit einem wichtigeren Motiv kombiniert daher. Ein Film wie The Sting (George Roy Hill, USA 1973) etwa feiert vordergründig Schlauheit, hintergründig aber den wichtigeren Wert der Freundschaft und die erfolgreiche Rache an einem Bösewicht, also das wiederhergestellte Recht.

Letztlich sind fast alle Filme über gelungene Heists, von Klassikern wie The Pink Panther (Blake Edwards, USA 1963) und How to Steal a Million (William Wyler, USA 1966) bis zu den neueren Beispielen The Thomas Crown Affair (John McTiernan, USA 1999) und Ocean’s Eleven (Steven Soderbergh, USA 2001), im Grundtenor Komödien des Gelingens. Sie stellen den grossen, gewaltlosen Coup als schönen Traum dar, als etwas, das nur in einer durch komödiantische Konventionen entrealisierten Welt wahr werden kann.

Das triumphale Heist Movie und die Komödie konvergieren im Übrigen von selbst, da beide der gleichen Grundregel gehorchen: «Nobody gets hurt», ausgedeutscht: Niemand kommt ernsthaft zu Schaden. Selbst ein postmodernes Heist Movie wie Inside Man (Spike Lee, USA 2006), das zunächst als ernsthafter Thriller daherzukommen scheint, hält sich an diese Konvention – nur rechnet es mit einem avancierten Publikum, täuscht dieses anfänglich besonders gründlich und führt es mit einer vorgetäuschten Geiselerschiessung, die einen abrupten vermeintlichen Genrewechsel zum blutigen Actionthriller zu signalisieren scheint, auch mitten im Film nochmals (zumindest versuchsweise) in die Irre.

Schwarze Komödie und Film noir

Doch wie passt zur Konvention des «begrenzten Schadens» eine Komödie wie The Ladykillers (Alexander Mackendrick, GB 1955), in der sich die Bande nach geglücktem Heist gegenseitig entsorgt? Hier haben wir es mit der Komödie des Scheiterns zu tun, die von Tölpeln, von menschlicher Gier und Dummheit oder von schierem Wahnsinn erzählt. In der liebenswert-harmlosen Version wie I soliti ignoti (Mario Monicelli, I 1958) arbeiten sich die Ganoven statt in den ominösen Tresorraum bloss ins benachbarte Zimmer jener Wohnung vor, in die sie ohnehin schon eingebrochen sind – Woody Allen hat dies in Small Time Crooks (USA 2000) ohne falsche Scham kopiert. In der schwarzen Variante hingegen murksen sie sich – das Geld schon unter dem Arm – gegenseitig ab. Undenkbar wäre hingegen selbst in The Ladykillers, dass die unschuldige Nervensäge von Vermieterin, die den Gangstern blauäugig die Stirn bietet, tatsächlich wie geplant gemeuchelt würde. Damit würde die Komödie in die Tragödie des Scheiterns, in das tödliche Drama der Leichtfertigkeit, der Hybris oder des Verrats kippen, wie es im Film noir häufig geschieht. John Hustons The Asphalt Jungle (USA 1950) sowie Jules Dassins Du rififi chez les hommes (F 1955), zwei tausendfach kopierte, prototypische Heist Movies, sind Paradebeispiele für diese schicksalsschwere Variante des Genres.

Stereotypie und Variation

Doch letztlich ist die Freude am Heist Movie weit weniger jene des Wiedererkennens und Einordnens in Unterkategorien, als jene der Variierung. Gerade die Stereotypie, die immer gleichen Phasen des Heist Movie (Rekrutierung, Planung, Durchführung und Verarbeitung des Coups) sowie das fixe Personal (Mastermind, Spezialist, Mann fürs Grobe etc.) fordern den sportlichen Ehrgeiz von Szenaristen und Regisseuren heraus, sich immer neue Finten und Finessen einfallen zu lassen, um das Publikum zu überraschen und bisweilen auch hinters Licht zu führen. Ein berühmtes Beispiel für diesen Überbietungszwang ist die Variierung der legendären Einbruchssequenz von Du rififi chez les hommes durch Jean-Pierre Melville in Le cercle rouge (F 1970): Die Melville’schen Räuber arbeiten sich genauso geduldig, wortlos und präzis an die Beute heran wie jene von Rififi. Doch Melville setzt der Sequenz eine irrwitzige Spitze auf, indem er den Scharfschützen der Bande, einen eben kurierten Alkoholiker, wider jede Vernunft und Planung aus zwanzig Metern Distanz plötzlich einen freihändigen Meisterschuss auf einen winzigen Alarmknopf abgeben lässt. Die minuziös naturalistische Szene, die im Vergleich zu Rififi sonst nur virtuos epigonal wäre, bekommt dadurch eine fantastisch-ironische Note – eine späte Genugtuung für den Monothematiker Melville, der ursprünglich seinerseits für die Verfilmung des Rififi-Romans vorgesehen war und dann vom Produzenten fallen gelassen wurde.

Werden die Sicherheitssysteme und die Methoden zu ihrer Überlistung im Heist Movie immer raffinierter, so tritt an einem bestimmten Punkt unvermeidlich der Kippeffekt ein: Beide werden so komplex, dass sie der Zuschauer nicht mehr durchschaut. Das Sicherheitssystem wird zum abstrakten Apparat, seine Überlistung zur technologischen Zauberei und damit zur schalen szenischen Behauptung. Potenziert hat sich diese Gefahr seit den Neunzigerjahren in Drehbüchern, in denen Computertechnik eine Rolle spielt: Wie viele Hacker hat man in Actionthrillern, aber auch in klassischen Heist Movies der Neunzigerjahre, etwa gesehen, die einfach ihren Laptop an den Kabelsalat eines aufgebrochenen Schaltkastens andocken und damit Alarmanlagen innert Sekunden lahmlegen? Und wie viel ist uns von diesen Szenen geblieben? Sie sind so belanglos, weil wir aus dem Alltag wissen, wie viele Stunden und Mühen die Erschliessung jedes unvertrauten Computerprogramms in Wahrheit erfordert. Die berühmteste Szene dieses Typs ist vielleicht noch immer jene in Mission Impossible (Brian De Palma, USA 1996), doch Geschichte gemacht hat sie bezeichnenderweise nur, weil Tom Cruise dabei an einem Seilzug aufgehängt in der Luft schwebt und aufpassen muss, dass er keinen Kugelschreiber auf den berührungssensiblen Boden fallen lässt. Kino braucht Körperlichkeit, auch im Hightech-Heist-Movie der Gegenwart.

Vielleicht wird der Einbrecherfilm am Ende deshalb nur als sein Gegenstück, als Ausbrecherfilm überleben, als Escape-Movie statt als Heist-Movie: Im Gefängnis bleiben die Möglichkeiten zur Hightech-Hochstapelei auch im digitalen Zeitalter angenehm beschränkt. Wenn schwere Jungs durch Stollen kriechen, die sie mit Kaffeelöffeln gegraben haben, erlangen sie etwas, das so viel mehr zählt als aller Reichtum, dass wir ihnen ihre Sünden noch leichter vergeben als im Heist Movie. Doch das ist schon der Anfang einer anderen (Genre-)Geschichte.

Dieser Artikel ist die überarbeitete Version eines Textes, der in der Programmzeitung des Filmpodiums Zürich (Juli/August 2006) erschienen ist.

Andreas Furler
geb. 1961, Studium in Zürich und Houston, Texas, 1986–2000 Filmkritiker und -redaktor bei «NZZ» und «Tages-Anzeiger», seit 2001 Co-Leiter Filmpodium der Stadt Zürich.
(Stand: 2007)
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