BENEDIKT EPPENBERGER

HÜTCHENSPIELE

ESSAY

Bevor es Filmemacher gab, die ihren Protagonisten bedeutungsvoll Hüte auf den Kopf setzten, hatte die Kopfbedeckung vorerst praktischen Nutzen. Vermutlich bereits im Neandertal bastelte man sich was für auf den Kopf. Als Schutz vor Wind, Regen, Schnee, Hitze, Sonnenlicht behütete sich bereits der frühe Homo sapiens. Der Hut oder, wie im Falle der Nibelungen, die Tarnkappe konnte den Träger aber auch bei Gefahr unsichtbar, also sicher machen. Wieder andere erreichten es, unter dem Aufsatz sichtbar grösser zu erscheinen. Durch die optische Überhöhung des Kopfes verschaffte sich der Träger Respekt und empfahl sich damit für höhere Aufgaben, beispielsweise dafür, Steuern zu erheben. Der Höchste wurde also zum Grössten, zum Häuptling. Glaubte das Fussvolk an die magische Kraft seines Deckels, war seine Stellung unbestritten. Es unterwarf sich der Macht des Trägers und begab sich symbolisch in den Schutzraum des Hutes. Man fühlte sich als Herde behütet (hier mal schon die ersten Anklänge an den Cowboy, den Kuhhirten). Das Ding auf dem Kopf stand in einer Form immer auch für Sicherheit. Der Träger brachte viele «unter seinen Hut». Ging der Glaube daran flöten, so wurde der Hut beziehungsweise sein Träger zum Sicherheitsrisiko. Dann musste der Hut runter vom Versagerkopf (oft zusammen mit dem armen Kopf) und auf eine neue anbetungswürdige Birne gehievt werden. Der Hut erzählte schon früh so manch eine Geschichte und empfahl sich so fürs Kino.

Sauber würde man die Historie jetzt von der phrygischen Mütze zum Stulpenhut, vom Dreispitz zum Zylinder (der mal als revolutionär, dann als reaktionär galt) zum Stetson, Sombrero, Borsalino, Pepita-Hütchen, zur Melone, Schieber- und Baskenmütze entwickeln. Doch lassen wir die «Chapeaulogie». Wir begnügen uns mit der Feststellung: Das Tragen eines Hutes bringt Sicherheit, aber nicht nur. Man denke an die diskriminierenden Juden-Hüte des Mittelalters, deren Träger als «Gefahr» gebrandmarkt wurden. Auch an Friedrich Schiller sei erinnert, an Willhelm Tell und Vogt Gessler: Hier sorgte ein Hut für welthistorische Aufregung. Das war aber, bevor der alltäglich behutete Mann aus unseren Breitengraden verschwand. Trägt heute einer Hut, dann ist es meist ein Baseball-Cap. Diese Un-Hüte, Kopfbedeckungen, die über die unmittelbare Schutzund Schirmfunktion hinaus wenig mehr zu bieten haben – ausser das draufgepappte Werbelogo sorgt für Radau –, schmiegen sich ganz an den Kopf an, machen sich so lieber unsichtbar. Menschen mit Baseball- Caps wirken wie solche mit Fahrradhelmen nie cool. Aber weshalb cool? Kluge Köpfe schützen sich. Der Hut musste wieder praktisch werden, womit wir entwicklungsstufenmässig wieder im Neandertal angekommen sind.

Früher war das anders. Als Mann noch an Gott glaubte, gab erst der Hut dem Kerl die Sicherheit, ein «ganzer» zu sein. Er schliesst das Ensemble von Ding und Mensch, von Objekt und Subjekt. Deckel drauf! Der Hut vereinigte den Menschen mit anderen Sphären und machte ihn, jawohl, zu Gottes Ebenbild auf Erden – oder zu jenem des Teufels. So war das mal. Die Ordnung, die der Hut zusammen mit seinem Träger repräsentierte, war keine allein irdische. Womit wir beim Kino wären. Mit dem Hut und seinem Träger nahm der Film etwas in seine Bildsprache auf, das an Archaisches, ans mythische Ineinander von Natur und Kultur, Himmel und Hölle, von Objekten und Subjekten erinnerte, daran, dass die Produktion von Mythen immer schon «wie im Kino» funktionierte.

«In einer Geschichte bewegen sich Menschen zwischen Objekten und Objekte zwischen Menschen. Ein Erzählziel unter vielen anderen kann sein, lustvoll die Grenze zwischen Menschen und Objekten zu überschreiten, um sie am Ende angstvoll wieder zu ziehen, die Zauberbesen wieder in die Ecke zu stellen» ... oder den Hut zurück auf den Kopf zu setzen, könnte man Filmtheoretiker Georg Seeßlen ergänzen, der dies über «Die Dinge des Kinos» geschrieben hat. Womit wir wieder beim Kino, der Sicherheit und dem Hut wären. Und schon mitten drin im Geschichtenerzählen. Hüte machen Geschichte(n). Schiller machte den Hut des Vogtes zum Anlass einer Story um Rebellion und Freiheit auf der einen, Sicherheit und Ordnung auf der anderen Seite. Der Hut, einmal Zeichen der Geborgenheit, wird hier nach seiner Quasi-Vergewaltigung zum Sinnbild fürs Gegenteil: entfesselte Machtgier und tyrannische Anmassung. Der Preis für die Sicherheit, die man sich mit der Achtung des Hutträgers erkaufte, wird den «Männern von Uri» zu hoch: «Wir unsre Knie beugen einem Hut! Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd’gen Leuten?» Der Hut wird zum Sinnbild für die Unfreiheit. Das einst so fest gefügte Bild gerät ins Wanken; als Effekt ergibt das eine Geschichte über den Aufstand gegen die Tyrannei und den «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit».

Sicher also ist: Es gehen zwiespältige Signale vom Hut aus. Mal meint er Geborgenheit, mal das Gegenteil. So was bringt Schwung in jede Geschichte. In den Dienst genommen haben diese Unschärferelation der Western und der Gangsterfilm – beides Hut-Genres par excellence. Hier trug man den Hut zuerst, weil es der Code so verlangte, dann in den Neo-Kreationen der wiedergeborenen Genres nostalgisch-bedeutungsschwanger, weil der Hut inzwischen zum Mythos einer anderen Zeit geworden war. Der Hut wurde von Westerner, Detektiv und Gangster demonstrativ als Zeichen dafür getragen, dass man sich an die alten, nicht an die neuen Regeln des Laisser-faire hielt. Ein Mann, der inmitten der gesellschaftlichen Umwälzungen am (alten) Hut festhielt, wurde zum Fossil. Loyal gegenüber der alten Ordnung stand er bald einmal allein auf verlorenem Posten. Der festsitzende Hut war ein letztes sichtbares Überbleibsel, eine letzte Erinnerung an jene Zeit, in der mit Sicherheit noch galt, was man meinte.

In diesem Kontext macht der Hut den Menschen zur tragischen, melancholischen oder nur zur komischen Gestalt. Der Weg zurück zum Gemeinschaftstier ist verbaut. Der Hut spricht die bittere Wahrheit aus, ohne darum viel Aufheben zu machen. Männer, die im Western und im Gangsterfilm (im Film noir also) Hüte tragen, trauen nur solchen, die ebenfalls Hüte tragen, selbst dann, wenn diese ins gegnerische Lager gehören. Der Hut spinnt unsichtbar ein Band der Sympathie. Indem diese Helden und Schurken hartnäckig ihren Hut aufbehalten, halten sie an jenen anachronistischen Regeln fest, die einmal Sicherheit und Behütung bedeuteten, jetzt aber gewiss in den Abgrund führen. Am Schluss gewinnen immer jene mit lächerlichen und vor allem gar keinen Hüten. Sesselfurzer, Bürokraten, Familienväter. Im Gegensatz dazu steht die Tragik der nomadisierenden Hutträger, ihre Unfähigkeit sich anzupassen, sich im sicheren Innenraum aufzuhalten, den Hut abzusetzen. Der Mann mit Familie und geregeltem Job ist ohne Hut bei sich, das heisst im Schutze einer behüteten Gemeinschaft. Der Westerner, der Detektiv, der Gangster ist für diese Form der Sicherheit verloren. Ihm bleibt die Gewissheit, die Selbstsicherheit nicht zu verlieren und das Ende bereits hinter sich zu haben. Diese prekäre Sicherheit, dieses «Aus-der-Zeit-gefallen-Sein» signalisiert ein Hut auf dem Kopf. Ohne Hut ist er ausser sich, nackt, unvollständig, im falschen Film.

Die Einwanderer in die USA suchten im vorletzten Jahrhundert dort nach jener Sicherheit, die sie in ihren Herkunftsländern vermissten. Auf dem amerikanischen Kontinent angekommen, mussten sie feststellen, dass hier die räumliche und soziale Mobilität zwar grösser, dieses Plus aber zum Preis einer neuen Unsicherheit erkauft werden musste. Sowohl der Western wie auch der Gangster- und Detektivfilm thematisieren dieses Unbehagen seit den Anfängen der Filmgeschichte. Sein unbehaustes, nomadisierendes Personal kämpft in einer tendenziell feindlichen, gesetzund regellosen Umgebung. So wird der Hut, den praktisch alle Protagonisten in diesen Genres tragen, zum Zeichen dafür, dass der in den ungeordneten Raum geworfene Mensch sich in Ehr und Treu an einen zwar vergangenen, aber von ihm sinnlos weiter aufrechterhaltenen Kodex hält. Von Mann zu Mann, von Hut zu Hut: Man spricht auf Augenhöhe.

Es waren zwei europäische Regisseure, die seit Beginn der Sechzigerjahre, seit jener Zeit also, in der der Hut im europäischen beziehungsweise amerikanischen Alltag allmählich seltener wurde, Genrefilme machten, in denen die Hüte geradezu fetischhaft ins Bild gerückt wurden. Sowohl in den Gangsterfilmen des Franzosen Jean-Pierre Melville wie auch in den Neo-Western des Italieners Sergio Leone hatte der Hut keine andere Schutzfunktion mehr als diese letzte imaginäre Form der Sicherheit. Der Hut vervollständigte den lakonisch-zynischen Protagonisten zu einer Grösse, die, inmitten der sich ausbreitenden Massenkultur, ein letztes Mal für sich alleine stand. In Hut-Filmen wie Leones Per qualche dollaro in più (I/E/BRD/Monaco 1965), Il buono, il brutto, il cattivo (I/E 1966), C’era una volta il West (I/USA 1968) oder Melvilles Le doulos (F/I 1962), Le samouraï (F/I 1967), Un flic (F/I 1972) verliefen die Grenzen zwischen Gut und Böse notorisch unscharf. Orientierung musste her und bei aller Gegnerschaft: Was die beiden anachronistischen Typen gegen die verachtete Umwelt unsichtbar zusammenhielt, war der Hut. Der Hut musste an seinem Ort bleiben. Wenn die Geschichte der tanzenden Objekte dann zu Ende war, wenn die Zauberbesen wieder in die Ecke gestellt, die bürgerliche Ordnung konstituiert beziehungsweise restituiert wurde, dann konnte das für den melvillschen und leoneschen Helden nur Tod und Verschwinden bedeuten. Seine Zeit war um, und das beständige verzweifelte Festhalten am Hut, auch das endlose Neuausrichten des Hutes, wollte sagen, dass nicht nur der Held, der Samurai, sondern auch dessen Regisseure (beide begeisterte Hutträger) einer abgestorbenen, vergangenen Welt zugehörten. Wissen, wann es zu Ende ist. So kommt die zweideutige Geschichte mit dem «Hut», dem «Kino» und der «Sicherheit» an ein sicheres Ende. In der «Wüste des Realen» ist die einzige Sicherheit, die der Hut zuletzt noch gewähren kann, die Gewissheit des Todes.

Weniger das Mitleiden der Macher mit ihren Hut-Helden, dafür jede Menge postmoderne Chuzpe gibt es in Miller’s Crossing zu bestaunen, dem Neo-Neo-Noir der Coen-Brüder von 1990 (USA). Da hebt gleich zu Beginn, während der Credits, ein Borsalino sanft vom Wind getragen ab und jagt in immer neuen Volten davon gen Himmel. Es ist – so erfahren wir später – der Hut von Tom Reagan (Gabriel Byrne), der linken Hand eines mächtigen Gangsterbosses. Im Krieg mit einer verfeindeten Bande (und ihrem Paten) geraten die Dinge so durcheinander – strukturierendes Element im Film ist die Suche nach dem verlorenen Hut –, dass die späte Rückkehr zu den alten (sicheren) Verhältnissen nur noch eine scheinbare ist. In Wirklichkeit gibt es nur Verlierer. Der Traum vom besseren Leben bleibt ein Traum. In seiner Deutung bekommen wir in einer späteren Szene auch noch eine Erklärung für die anfängliche Himmelfahrt des Hutes. Tom: «Ich träumte, ich liefe im Wald, keine Ahnung wieso, und ein Wind kam auf, der mir den Hut vom Kopf riss.» Verna: «Und du jagtest ihn, richtig? Du ranntest und ranntest, bis du ihn schliesslich einholtest und nach ihm griffst. Aber da war es kein Hut mehr. Er hatte sich in was anderes, was Wunderschönes verwandelt?» Tom: «Nein, es blieb ein Hut. Und ich jagte ihn auch nicht. Ich schaute zu, wie ihn der Wind forttrug. Es gibt nichts Lächerlicheres als ein Mann, der seinem Hut hinterherjagt.»

Benedikt Eppenberger
*1964. Historiker und Comiczeichner, lebt in Zürich und arbeitet als TV-Redaktor und freier Filmjournalist. Veröffentlichte 2006 zusammen mit Daniel Stapfer: Mädchen, Machos und Moneten. Die unglaubliche Geschichte des Schweizer Kinounternehmers Erwin C. Dietrich (Zürich 2006). Verfasste den Beitrag «Nazisploitation Made in Switzerland» für den Sammelband Nazisploitation! The Nazi Image in Low-Brow Cinema and Culture (London/New York 2012).
(Stand: 2012)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]