SONJA WENGER

ALLES BLEIBT ANDERS (GÜZIN KAR)

SELECTION CINEMA

Die sechzehnjährige Lisa Odermatt hat ein paar Probleme. Sie ist schwanger, der türkische Freund hat sie verlassen, ihre Eltern sind gegen das Baby, und die Chancen für eine gute Ausbildung hat sie so gut wie verpasst. Trotzdem will sie das Kind bekommen. Doch das ist nur der Anfang von Güzin Kars herzerfrischender Komödie Alles bleibt anders.

Kar, die in Deutschland und der Schweiz als Drehbuchautorin und Regisseurin arbeitet, hat nach Lieber Brad ein neues Feel-Good- Movie geschaffen, das mit leichter Hand ernste Themen beschwingt und heiter aufgreift. Und sie tut es, ohne die Hauptgeschichte je aus den Augen zu verlieren, ohne auch nur einen Moment peinlich zu wirken und vor allem ohne Angst vor einer direkten und klaren Sprache. Kar vermischt in Alles bleibt anders Beziehungen, Ehekrisen, Liebe, Enttäuschung, Rassismus und Menschlichkeit zu einem gemütlichen Feuerwerk aus herzlicher Tiefgründigkeit. Wer hätte gedacht, dass eine Geschichte in einer fiktiven Zürcher Gemeinde, die von hartgesottenen «Bünzlis» und ihren kleinbürgerlichen Träumen handelt, so viel Spass machen kann? Wer hätte geahnt, dass in den allzu vertrauten Alltagsszenen und Verhaltensweisen so viel Leidenschaft und Herzblut steckt? Güzin Kar bedient hemmungslos jedes Klischee von Machos und Emanzen, von Gewinnern und Verlierern, von Hoffenden und Frustrierten, nur um sie gleich darauf mit genauso viel Hingabe wieder ad absurdum zu führen. Und am Schluss gewinnt die pure Menschlichkeit.

Kaum hat sich Lisa entschieden, ihr Baby nicht abzutreiben, geht alles schief. Ihre Weigerung, die unerfüllten Hoffnungen und Wünsche ihrer Eltern zu leben, führt nicht nur zum Rausschmiss aus ihrem Zuhause, sondern auch zu der längst überfälligen Ehekrise ihrer Eltern. Und auch bei den Eltern ihres Freundes hängt der Haussegen schief. Doch gerade durch diese reinigenden Auseinandersetzungen finden beide Seiten neu zueinander, beginnen sich – zuerst noch heimlich – auf das Baby zu freuen und definieren neu, was eigentlich im Leben wichtig ist. Der Traum vom «eigenen Haus, eigenen Garten und dass es die Kinder mal besser haben sollen» hat da genauso Platz wie die Überwindung aller kulturellen und persönlichen Vorurteile.

Neben der Hauptdarstellerin Selina Weber in der Rolle der Lisa und Serhalt Leilek als ihr Freund Osman brillieren Mike Müller und Nana Krüger als Lisas zunächst völlig überforderten, in engstirnigen Denkmustern gefangenen Eltern. Aber auch Hilmi Sözer und Meral Perin als Osmans Eltern inszenieren die kulturelle Andersartigkeit – die so anders gar nicht ist – mit feinem Humor und beinharter Ernsthaftigkeit. Sie finden genau das richtige Mass an Pathos, das die Schauspieler und Schauspielerinnen zu absoluter Höchstform auflaufen lässt.

Ein grandioser Schnitt, eine witzige Bildkomposition, der Einsatz von Musik und Farbe tun das ihre, um Alles bleibt anders frisch, modern und sympathisch wirken zu lassen. Zu Recht hat Güzin Kar für ihre Geschichte 2004 den Drehbuchpreis der SSA erhalten. Wer von dem Charme dieses Films nicht berührt ist, sollte sich ein neues Herz suchen.

Sonja Wenger
*1970, ist Auslandredaktorin bei der Wochenzeitung WOZ und schreibt für das Kulturmagazin Ensuite sowie für das Bieler Tagblatt. Sie ist Gründerin der Zürcher Theatergruppe The Take Five Theatre Company und arbeitet freiberuflich als Übersetzerin, Wissenschaftsredaktorin und Malerin.
(Stand: 2011)
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