SONJA WENGER

DIE VITUSMACHER (ROLF LYSSY)

SELECTION CINEMA

Es gehört heute beinahe schon zum Standardprozedere, die Dreharbeiten eines Spielfilms zu begleiten und damit den beliebten «Blick hinter die Kulissen» anzubieten. In diesen so genannten Making-ofs finden sich meist Interviews mit der Regie, mit Drehbuchautoren, Technikern und Schauspielern, attraktive, weggefallene Filmausschnitte und anderes, was das eigentliche Filmvergnügen verlängern kann. Diese Minidokumentarfilme sind üblicherweise eine Zugabe für die DVD oder werden für Promotionszwecke verwendet, selten schaffen sie es selbst ins Kino.

Anders aber, wenn sich das Making-of um einen der erfolgreichsten Schweizer Spielfilme seit Jahren dreht. Die Rede ist von Fredi M. Murers Film Vitus, der Geschichte eines hochbegabten Kindes, das mit dem Wissen eines erwachsenen Menschen zur Welt gekommen ist. Und kein Geringerer als der Regisseur von Die Schweizermacher (1978) hat zur Kamera gegriffen, um darüber zu berichten. Rolf Lyssy gehört zur gleichen Generation wie Murer und war einer der Mitinitianten des Neuen Schweizer Films in den Siebzigerjahren. Die Vitusmacher soll nach Lyssys eigener Aussage vor allem eine «Liebeserklärung an die Macher von Vitus und eine Hommage an seinen Freund Murer sein. Das zumindest ist ihm unbestreitbar gelungen. Und doch will man nicht recht verstehen, weshalb dieser Film ins Kino gekommen ist.

So erzählt Murer zwar freimütig, wie er über dreizehn Jahre brauchte, um den Film realisieren zu können, und dass das Projekt mehrmals schon abgeschrieben worden sei, aber man erfährt nicht, warum. Auch wird sehr beiläufig erwähnt, dass die Produzenten den Regisseur in eine eigens gegründete Firma eingebunden hatten, ein eher ungewöhnliches Vorgehen, das ebenfalls nicht näher erläutert wird. Und nicht zuletzt kann man sich des Eindrucks eines gewissen Unbehagens aufseiten des interviewten Produzenten nicht erwehren.

Dennoch fängt Die Vitusmacher auch schöne Momente ein, etwa wenn Murer erzählt, wieso ihm die Geschichte am Herzen liegt, wie er mit Kindern arbeitet, und er bemerkt, dass «ein Spielfilm immer auch eine Art Dokumentarfilm über die Schauspieler ist, der sich zu achtzig Prozent mit dem realen Leben deckt». Diese Beobachtung bestätigt sich zumindest in den Interviews mit Bruno Ganz, der im Film Vitus’ Grossvater spielt, oder in jenen mit Teo Gheorghiu, der den zwölfjährigen Vitus darstellt und auch im echten Leben eine Pianistenkarriere eingeschlagen hat. An anderer Stelle bezeichnet Murer das Making-of zudem scherzhaft als «die Entzauberung der Filmkunst, die eigentlich mit Kinoentzug bestraft werden sollte».

Immerhin: Nach Die Vitusmacher verspürt man den Wunsch, sich das Vitus anzusehen, insofern hat er sein Ziel erfüllt. Und wer Vitus schon kennt, kann sich nicht nur davon überzeugen, dass es Wunderkinder wirklich gibt, sondern auch, dass es die Schweizer Filmemacher und -macherinnen inzwischen verstehen, sich gegenseitig in den Himmel zu loben.

Sonja Wenger
*1970, ist Auslandredaktorin bei der Wochenzeitung WOZ und schreibt für das Kulturmagazin Ensuite sowie für das Bieler Tagblatt. Sie ist Gründerin der Zürcher Theatergruppe The Take Five Theatre Company und arbeitet freiberuflich als Übersetzerin, Wissenschaftsredaktorin und Malerin.
(Stand: 2011)
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