DANIEL DÄUBER

DIE HERBSTZEITLOSEN (BETTINA OBERLI)

SELECTION CINEMA

Im Dörfchen Trub im bernischen Emmental nimmt das Leben seinen traditionellen Lauf: In der Kirche hat man beim sonntäglichen Gottesdienst seinen Stammplatz, Frauen hinter dem Steuer sind ebenso ungern gesehen wie bei Diskussionen in der Dorfbeiz. Das Sagen haben in Trub die Männer. So beansprucht der Pfarrer kurzerhand die Räumlichkeiten des Dorfladens, dessen Führung seiner Mutter Martha seit dem Tod ihres Ehemannes über den Kopf gewachsen ist. Marthas Freundin Hanni ist ihrem Sohn Fritz, einem Bauern und eifrigen Lokalpolitiker, ebenfalls ein Klotz am Bein. Er möchte sie zusammen mit dem pflegebedürftigen Vater in ein Heim abschieben. Dort fristet schon Frieda, die verwitwete Direktorengattin, ein ereignisloses Dasein und muss sich ständig gegen die Bevormundungen des jungen Heimleiters wehren.

Regisseurin Bettina Oberli skizziert diese Ausgangslage mit Gespür für die Zwischentöne in alltäglichen Dialogen. Das Dörfchen wird von goldener Sonne beschienen, die Szenerie in unaufdringliche Musik passend eingebettet. Einen auch optischen Kontrast zu dieser dörflichen Idylle bildet «z’Lisi», die Coiffeuse. Einst war sie dem Ruf des Geliebten nach Amerika gefolgt und so der Enge entflohen. Jetzt, in ihren alten Tagen, lebt sie wieder in der bäuerlichen Schweiz. Heidi Maria Glössner verleiht dieser farbigen Lebedame, die so gar nicht ins Emmental passen will, sympathische Kumpelhaftigkeit. Diese ist es auch, die ihre Jasskolleginnen Martha, Hanni und Frieda zu mehr Lebensfreude animiert.

Durch den Auftrag des örtlichen Männerchors, fürs anstehende Chorfest die Vereinsfahne zu flicken, entdeckt die ausgebildete Damenschneiderin Martha ihr Flair für Miederwaren neu. Bevor die Bibelgruppe sich im ehemaligen Dorfladen installieren kann, wird daraus flugs die Lingerie-Boutique Petit Paris gemacht. Den Widerstand, welchen dieses «unsittliche Gewerbe» beim Pfarrer und der Land-und-Leute-Partei hervorruft, ist vorprogrammiert.

Reizwäsche ist plötzlich Thema im verschlafenen Emmental und über geschickt eingeflochtene Nebenhandlungen wird die Hinterwäldler-Moral unterlaufen. Dabei umgehen die Frauen auf amüsante Weise die Regeln der Männerwelt, um an ihr Ziel zu gelangen: Während Hanni ihre Traktor-Fahrkünste verfeinert, informiert sich Frieda über moderne Vertriebskanäle und gewinnt dem langweiligen Stickkurs neuen Nutzen ab. Die Wendung in Lisis Leben kommt dann allerdings ein wenig zu abrupt und dramatisch, um glaubwürdig zu wirken. Darüber trösten die insgesamt mundgerechten Dialoge hinweg, die besonders Manfred Liechti als hemdsärmeliger Politiker und Stephanie Glaser als erst verhärmte Witwe, dann initiative Geschäftsfrau lebensnah äussern. Genüsslich lassen sich auch Annemarie Düringer und Monica Gubser den pointierten Wortwitz ihrer Figuren auf der Zunge zergehen. Und die sparsam eingesetzten Slapstick-Szenen tragen zum allgemeinen Amüsement bei. Kurzum: eine veritable Schweizer Familienkomödie – solide, sympathisch und auch ein bisschen frech.

Daniel Däuber
*1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, unter anderem für die Schweizer Filmzeitschreiften Zoom und Film geschrieben und arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2011)
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