NATALIE BÖHLER

ZWISCHEN DEN WELTEN (YUSUF YESILÖZ)

SELECTION CINEMA

Zwischen den Welten ist ein filmisches Porträt von Gül Dogan, der Tochter türkisch-kurdischer Gastarbeiter. Sie kam im Alter von zehn Jahren in die Schweiz und lebt seither in Winterthur. Nun ist sie Mitte dreissig, eingebürgerte Schweizerin, Mutter zweier Töchter und arbeitet fürs Winterthurer Bevölkerungsamt. Ihr Landsmann Yusuf Yesilöz begleitet sie durch ihren Alltag. Diese Begegnung stellt verschiedene Themenbereiche der Migration dar und ergründet, welche Konsequenzen die Werte der Herkunftskultur haben, wo Konflikte entstehen und wie sie sich auf das Leben in der neuen Heimat auswirken.

Güls Adoleszenz war geprägt von der Loslösung vom strengen Vater, von der Koranschule und der frühen Heirat mit dem Cousin aus der Türkei. Yesilöz wirft hier einen Seitenblick auf patriarchale Strukturen, Traditionen und religiöse Haltungen, an denen im Exil verstärkt festgehalten wird.

Auch Güls Familie und Freunde kommen zu Wort. Ihre beste Freundin aus Schultagen erinnert sich an einen eindrücklichen Besuch bei Güls Familie: Im Kochtopf auf dem Herd habe ein ganzer Schafskopf geschmort. Das sei ihr dann schon etwas fremd gewesen, meint sie lächelnd. Gül fühlt sich wohl in der Schweiz; beim Betrachten von Fotos ihres türkischen Heimatdorfs empfindet sie Sehnsucht und den Wunsch, ihre Kinder mögen viel Zeit im Dorf verbringen, um es lieben zu lernen. Auf die Frage des Regisseurs, ob dies denn realistisch sei, bricht Gül in Tränen aus. Der Verlust der ehemaligen Heimat schmerzt, weil Letztere unerreichbar ist, eine Utopie aus der Vergangenheit. Gül fährt kaum hin, auf den Videoaufnahmen aus der Türkei fehlt sie. Die Bilder wirken eigenartig befremdend und geisterhaft leer.

Das Leben in der Schweiz ist viel einfacher und der Wohlstand angenehm, sagt Gül. Beispielsweise gebe es viel mehr Auswahl an Lebensmitteln, und die Schweizer Küche sei toll. Selbst ihre Mutter esse mittlerweile gerne Käsefondue. Schafskopf, so ahnt man, kocht hier schon lange niemand mehr. Der Film erzähle von einer gelungenen Integration, ist im Verleihtext zu lesen. Allerdings fragt man sich aufgrund der schmerzlichen Brüche, die teilweise nur flüchtig oder zwischen den Zeilen ausgesprochen werden, ob Integration vor allem Assimilation bedeuten muss.

Das gelungene Aufzeigen dieser Brüche macht Zwischen den Welten zu einer reichhaltigen, nachdenklichen Studie zum Thema Migration.

Natalie Böhler
Filmwissenschaftlerin, lebt in Zürich. Mitglied der CINEMA- Redaktion 2002–2007. Promotion zu Nationalismus im zeit- genössischen thailändischen Film. Interessenschwerpunkte: World Cinema, Südostasiatischer Film, Geister im Film.
(Stand: 2021)
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