NICOLA RUFFO

BANQUISE (CLAUDE BARRAS, CEDRIC LOUIS)

SELECTION CINEMA

Die Animationsfilmemacher Claude Barras und Cédric Louis verbinden in ihren Filmen alltägliche Geschichten, in denen Traumwelten zur Realität werden. In Claude Barras’ letztem Werk Le génie de la boîte de raviolis (2006) erscheint dem Nudelfabrikarbeiter in der Ravioli-Dose ein Flaschengeist. In ihrer neusten Zusammenarbeit Sainte Barbe (2007) belebt Grossvaters Bart mit seinem Eigenleben das Familiendasein. Ob sie alleine arbeiten oder zu zweit, ihre Vorliebe fürs Fantastische bleibt die Konstante.

In Banquise dreht sich alles um die Tagträume eines kleinen Mädchens namens Marine. Die Geschichte beginnt an einem heissen Sommertag. Marine leidet darunter, dass sie keine Bikinifigur besitzt. So entschliesst sie sich zu einem gewagten Tenü für ihren Strandbesuch: Sie versteckt ihre überzähligen Pfunde unter einem dicken Wintermantel und einem gestreiften Schal. Doch der Strandspaziergang dauert nicht lange. Gestresst von den Blicken der braungebrannten Beachvolleyballer, flüchtet sie sich sofort in ihren Kühlschrank. Dort träumt sie von einem besseren Leben unter Königspinguinen mit üppigem Bauchumfang. Als ihre Träume von den Eltern nicht verstanden werden und sie ihren kühlen Aufenthaltsort verlassen muss, entschliesst sie sich, Richtung Eismeer aufzubrechen. Bald schon steht sie am Strassenrand, hält einen Zettel mit ihrer Destination, «Banquise» (Packeis), den Autos entgegen und hofft, der oberflächlichen Welt mit ihren Schönheitsidealen zu entkommen. Als sie auf der anderen Strassenseite die Bikinigirls der Werbeplakate erblickt, trifft sie ein Hitzschlag.

Claude Barras und Cédric Louis verpacken aktuelle Themen in schwarzen Humor. Mit dem Computeranimieren von Papierzuschnitten kultivieren sie einen kindlichen Stil. Diese Mischung scheint auf den internationalen Filmbühnen anzukommen. Ohne Dialoge ist die Geschichte von Banquise universell verständlich. Seit seiner Fertigstellung wurde der kurze Animationsfilm an zahlreichen Filmfestivals der Welt gezeigt. Cannes, Rio de Janeiro, Hiroshima oder Palm Springs sind nur einige der Aufführungsorte. Doch was ist die Moral der Geschichte? Wie hat schon Bob Dylan einst gesungen: «When you’re sad and when you’re lonely and you haven’t got a friend. Just remember that death is not the end.»

Nicola Ruffo
*1979, Studium der Politologie, Filmwissenschaft und Publizistik. Seither mannigfaltiges Patchwork-Berufsleben, u. a. Mitglied der Koordination und Auswahlkommission der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur, Mitglied der CINEMA-Redaktion 2007–2008.
(Stand: 2011)
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