NATHALIE JANCSO

THE OIL CRASH (BASIL GELPKE, RAY MCCORMACK)

SELECTION CINEMA

In wenigen Jahrzehnten werden die Ölreserven der Welt aufgebraucht sein. Was geschieht dann? Dieser Frage gehen der Schweizer Basil Gelpke und der Ire Ray McCormack in ihrem Dokumentarfilm The Oil Crash nach. Rasant und in eindrücklichen Bildern reihen sie Fakten aneinander, rollen die kurze Geschichte des Ölzeitalters auf und sagen unserem modernen Leben, das auf allen Ebenen durch das schwarze Gold bestimmt ist, eine düstere Zukunft voraus. Die Fragestellung ist nicht neu, und formal bedienen sich die Filmemacher eher konventioneller Methoden, aber die präsentierten Zusammenhänge sind so überzeugend dargestellt und alarmierend zugleich, dass man sich ihnen nur schwer entziehen kann.

Das Ölzeitalter, das Mitte des 19. Jahrhun- derts in Baku, Aserbaidschan, seinen Anfang nahm, hat das moderne Leben grundlegend verändert. Fast jeder Bereich des Alltags wird heu- te durch den Rohstoff bestimmt: Die Lebensmittel-, die Pharma- und die Textilindustrie, die Stromerzeugung und natürlich am meisten der Transport. Mit dem immer höheren Verbrauch gehen in absehbarer Zeit die Ressourcen zu Ende: Ein Grossteil der Erdölquellen hat den Höhepunkt der möglichen Fördermenge längst überschritten, der sogenannte «Hubbert’s Peak» ist erreicht. Und doch ist Benzin heute in den USA billiger als Mineralwasser. The Oil Crash richtet das Hauptaugenmerk denn auch auf die USA, die für 25% des weltweiten Ölverbrauchs verantwortlich sind, jedoch nur noch knapp 2% selber fördern. «Krieg für Öl» ist schon lange kein blosses Schlagwort mehr, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis China und Indien die USA von der Spitze des Verbrauchs verdrängen werden – ein neues Konfliktpotenzial. Das Fazit des Films: Politik und Wissenschaft bleibt nur noch kurze Zeit, um mögliche Alternativen zu entwickeln, damit der Erdöl-Supergau ausbleibt.

Wo Michael Moore in seinen Filmen spielerisch und mit viel Fabulierlust die Verstrickungen von Politik und Wirtschaft und deren Auswirkungen auf unser tägliches Leben schildert – und dadurch nicht nur Aufsehen erregt, sondern auch zum Polemisieren einlädt –, bleiben Gelpke und McCormack bei den harten Fakten. Die Archivbilder von frisch sprudelnden Ölquellen und neuere, teils mit dramatischer Musik unterlegte Aufnahmen von Raffinerieleichen gehen unter die Haut. Daneben stehen Bilder von «Talking heads»: gut zwei Dutzend Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft kommen in The Oil Crash zu Wort. Sie erklären, wie gross die globale Abhängigkeit von dem einen Rohstoff ist und was der Kampf um die letzten Ölreserven in naher Zukunft mit sich bringen wird. Aufgelockert wird die düstere Vision einzig durch naiv-witzige US-Werbefilme aus den 1950er-Jahren, in denen das schwarze Gold als die Verheissung für Wohlstand und Frieden angepriesen wurde.

Die beiden Filmemacher, der Schweizer Basil Gelpke und der Ire Ray McCormack, haben beide ihr Handwerk beim Fernsehen gelernt, und das merkt man ihrem Film in formaler Hinsicht auch an. Doch die eher konventionelle Machart tut der Wirkung keinen Abbruch. Ähnlich wie Al Gores An Inconvenient Truth überzeugt The Oil Crash durch eine umfassende Analyse: Am liebsten möchte man das Gesehene am Schluss als Panikmache abtun, aber die schiere Wucht der präsentierten Tatsachen belehrt einen eines Besseren.

The Oil Crash erhielt den Zürcher Filmpreis 2006 und wurde an diversen Festivals ausgezeichnet. Als erster Film wird er in den Schweizer Kinos digital ab Server in die Säle projiziert – und geht damit mit gutem Beispiel voran, wie beim Verbrauch von Transportenergien gespart werden kann.

Nathalie Jancso
*1969, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich. Arbeitet als Filmredaktorin beim Schweizer Fernsehen und war von 2007 bis 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion.
(Stand: 2013)
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