SONJA EISL

APRILWETTER (JEANNINE HEGELBACH)

SELECTION CINEMA

Ralf hört Musik. Es ist 2:47 Uhr in der Nacht und eigentlich möchte Ralf schlafen – so wie bis eben. Doch an Schlaf ist nun nicht mehr zu denken, denn erstens sind die Wände in der WG-Wohnung sehr dünn, wodurch das Liebesleben seiner Mitbewohnerin Annette in allen Klang-Nuancen erfahrbar wird, und zweitens ist Ralf in Annette verliebt – sie aber unüberhörbar nicht in ihn. So geht das jede Nacht von Montag bis Sonntag, denn die liebestolle Annette hat für jeden Wochentag die entsprechend beschriftete Unterhose und diese wechselt sie so oft wie ... Nicht einmal Ralfs subtiler Sabotageakt – das Kidnapping vom «Freitag» – kann Annettes Libido bremsen. Und auch nicht seine Kochkünste, seine Messerjonglage, seine heisse Schokolade mit Honig, die er brüderlich fürsorglich als Trost auftischt, als einer ihrer Männer sie versetzt. Dankbarkeit und Zuneigung sprechen dann zwar aus Annettes Augen und sie möchte ihn küssen dafür. Just in diesem Augenblick meldet sich aber das Handy und die verheissungsvolle Möglichkeit rückt wieder in unerreichbare Ferne. Der unzuverlässige Galan meldet sich und Ralf hat einmal mehr das Nachsehen. So ist das Leben: Alle netten Mädchen wollen einen wilden Mann.

Jeannine Hegelbach präsentiert uns in ihrem Diplom-Kurzfilm Aprilwetter ein unterhaltsames Sittengemälde «light» der modernen Grossstadtmenschen. Dabei rüttelt sie an Geschlechterstereotypen, ohne dies aber in den Vordergrund zu stellen. Dass sich hier die Frau Nacht für Nacht der Promiskuität hingibt (während der Mann sich in seinen Fantasien sehnsüchtig nach ihr verzehrt und still leidet), ist zwar nicht ganz neu, man denke etwa an das französische Kino von Regisseurinnen wie Catherine Breillat und Lætitia Masson. Die nonchalante, unproblematische Art hingegen, wie Hegelbach ihre weibliche Protagonistin und deren Lebensstil behauptet, ist überraschend. Das Spiel der beiden Hauptdarsteller ist so stimmig, eloquent, die Geschichte so swingend und locker-flockig erzählt, dass man fast etwas misstrauisch wird: Wo bleibt die Tragik, wo bleiben die seelischen Bruchstellen, die schlimmen Konsequenzen, die ein solches Verhalten doch zwangsläufig beinhalten muss? Der arme Ralf ist Opfer, klar, aber so richtig bangt man dennoch nicht um sein Seelenwohl. Hier bleibt vieles in der Schwebe, alles ist möglich, wenn nicht am Freitag, dann am Samstag. Ganz wie (schweizerisches) Aprilwetter eben – «nach em Räge schiint d Sunne, nach em Briegge wird glacht».

Sonja Eisl
*1976, Studium der Theaterwissen­schaft, Film­­wissenschaft und der Neusten Geschich- te in Bern und Zürich. Sie arbeitet im Theater Tuch­laube (Aarau) im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Dramaturgie und lebt in Bern.
(Stand: 2010)
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