THOMAS HUNZIKER

DIE SEILBAHN (CLAUDIUS GENTINETTA, FRANK BRAUN)

SELECTION CINEMA

Der Koffer ist gepackt, der Griff mit Klebeband geflickt: «Et voilà.» So begibt sich ein alter Mann in einer von Wetter und Rost angegriffenen Seilbahn auf eine Reise in ungewisse Höhen. Langsam setzt sich das Transportmittel in Bewegung. Dann packt der Alte seine Schnupftabakdose aus und gönnt sich eine kräftige Prise. Das Warnschild wackelt schon bedrohlich. Das mitgebrachte Klebeband sorgt für Ruhe – aber nur für kurze Zeit. Die Nase fängt an zu jucken. Das genüssliche Niesen bringt die alte Seilbahn bedenklich ins Schaukeln.

Eine Niesattacke folgt auf die nächste. Durch diese Wucht werden die dünnen Wände der Gondel allmählich zum Bersten gebracht. Hier und dort bringt der Alte sein Klebeband an. Nur gegen die juckende Nase hilft es nicht. Regen und Schnee ausgesetzt, steigt die Seilbahn in immer bodenlosere Höhen und verliert dabei immer wieder Teile. Mit seiner Rolle Klebeband muss sich der Niesende schliesslich sein eigenes Gehäuse zimmern. Und wenn er nicht gestorben ist, dann schwebt er darin noch heute gen Himmel.

Der erfahrene Trickfilmer und Comiczeichner Claudius Gentinetta, der 2004 an den Solothurner Filmtagen für Poldek den Preis Suissimage SSA erhielt, schildert in seinem kurzen Animationsfilm Die Seilbahn mit feiner Ironie die erheblichen Gefahren von Schnupftabak und die lebensrettenden Eigenschaften von Klebeband. Fast ohne Worte, aber keineswegs tonlos, schickt Gentinetta seine Hauptfigur auf die gefährliche Reise. Dabei wird auch die Seilbahnkabine fast schon zum Protagonisten. Im Vordergrund steht aber immer der in markanten Zeichnungen gestaltete Bergfahrer, der einmal auch in köstlicher Animationsmanier mit aufschwellendem Gesicht gegen den nächsten Niesanfall ankämpft.

Die Seilbahn ist das erste Projekt, das Gentinetta sowohl als Produzent als auch als Regisseur verwirklicht hat. Aus diesem Grund hat er schon kurz nach den ersten Entwürfen und Ideen Frank Braun als dramaturgischen Berater beigezogen. Zusammen fällten sie fortlaufend die wichtigsten Entscheide, ob es sich nun um gestalterische Elemente, die Dramaturgie oder die Vertonung des Filmes handelte.

Für eine besonders reizvolle Wirkung sorgt die nahtlose Kombination von konventioneller Zeichenanimation mit Hintergründen aus Wasserfarben von Karin Schwarzbek und technischen Details in 3D-Animation von Rico Grünenfelder. Animatorin Cristina Altwegg kümmerte sich zudem um Animationsaufgaben wie Wasser und Schattenspiele. Die authentische Stimmung wird durch die Tonspur von Sounddesigner Peter Bräker heraufbeschworen, der mit seinem Team auf diversen Seilbahnfahrten den richtigen Ton suchte.

Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)
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