NATHAN SCHOCHER

THE BEAST WITHIN (YVES SCAGLIOLA)

SELECTION CINEMA

Unterwegs in Thailand wurde der Zürcher Filmemacher Yves Scagliola eines Tages unvermittelt Zeuge eines Hahnenkampfs. Gefesselt von der Dynamik und Atmosphäre des Kampfes stellte er nach zwei Stunden fest, dass er sein ganzes Geld verwettet hatte. Aus dem Versuch, sein irrationales Verhalten zu verstehen, ist ein bemerkenswert offener und vorurteilsfreier Dokumentarfilm zum Thema Tierkämpfe entstanden, der die Frage nach deren globaler Faszination stellt.

Rund um die Welt führt uns Scagliolas Spurensuche: Zu den Hahnenkämpfen in Bali, die ursprünglich ein Opferritual waren und mittlerweile zu einem Wettspiel mit handfesten finanziellen Einsätzen avanciert sind. Den Hähnen werden Klingen an die Beine gebunden, die Kämpfe gehen tödlich aus, trotzdem ist der Weg vielleicht gar nicht so weit zu ähnlichen Opfer- und Ablassriten in unserer westlichen Kultur. Für einen ehemaligen Gangster und Junkie aus Mexiko-City stellen Hundekämpfe eine Zwischenstation auf dem Weg aus der Illegalität dar. Dank ihnen kann er seine Familie ernähren und hofft, nach einem letzten wichtigen Kampf aus den unsauberen Geschäften aussteigen und legal als Hundezüchter leben zu können. In Peking pflegt ein älterer Herr die chinesische Tradition der Grillenkämpfe. Statt als religiöses Ritual oder Geschäft erscheint hier der Tierkampf als Hobby, über dessen Feinheiten leidenschaftlich und detailliert mit anderen Grillenzüchtern debattiert wird. Ebenso exotisch erscheint als vierte und letzte Station ein Besuch bei Bastlern in San Francisco. In mühevoller Kleinarbeit erschaffen sie Roboter, die sie anschliessend in sogenannten «robot wars» gegeneinander antreten, beziehungsweise ferngesteuert zu Schrott fahren lassen.

Gemeinsam ist den Porträtierten bei aller Verschiedenheit ein ausgesprochen liebevoller und zärtlicher Umgang mit ihren Kampfmaschinen. Yves Scagliola fängt diese Momente genauso unvoreingenommen ein wie die brutalen Kampfszenen und lässt sie als Kontraste stehen und auf das Kinopublikum wirken. Kein Kommentar nimmt dem Publikum das Nachdenken über das Gesehene ab.

Dem Filmemacher gebührt Respekt, dieses auf Anhieb wenig ansprechende Thema in eindrucksvollen, aber nie effekthascherischen Bildern in Szene gesetzt zu haben. Besonders überzeugend ist der Film immer da, wo er ein Schlaglicht wirft auf die sozialen Hintergründe der Akteure. Nicht gleichermassen zu überzeugen mag die philosophische Verknüpfung der vier Episoden. Die Tierkämpfe erscheinen quasi als Gradmesser der Zivilisation, die vom eigentlichen Gladiatorenkampf Mensch gegen Mensch über den stellvertretenden Einsatz von Tieren aufsteigt bis zu den Roboterkämpfen, die keinem Lebewesen mehr Schmerz zufügen. Als universelle Konstante wird so die menschliche Lust an Gewaltausübung und Kampf etabliert; eine gewagte These, die aufzustellen der Film gar nicht nötig hätte.

Trotzdem ist dem Globetrotter Scagliola nach seinem Streifzug durch den popkulturellen Underground von Chinas Grossstädten in Made in China (CH 2001) erneut ein hochinteressanter und stimmungsvoller Film gelungen. Wer sich auf das kontroverse Thema einlässt, wird mit Denkanstössen reich belohnt.

Nathan Schocher
*1978, Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften; schreibt als freier Journalist für verschiedene Medien. Er lebt in Zürich.
(Stand: 2012)
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