SIMON DICK

MONSIEUR SÉLAVY – THE WAY IT IS (PETER VOLKART)

SELECTION CINEMA

Monsieur Sélavy ist ein hagerer, gross gewachsener Mann. «Archivfotos» dokumentieren sein Heranwachsen und «Ferienfotos» seine Posen als stolzer Reisender vor den Sehenswürdigkeiten dieser Welt. Darauf werden wir in ein mutmassliches Hier und Jetzt versetzt, das zeigt, wie der unscheinbare Bürolist Sélavy im Wartsaal des Augenarztes sitzt, um wenig später in einen Lift zu steigen, der erst stecken bleibt und dann nach einer endlosen Fahrt seine Tür auf ein schäbiges Kellerzimmer hin öffnet. Das neue Zuhause gibt via Guckfenster einen spektakulären Ausblick: Sélavy schaut ins Sternenmeer und auf einen bräunlichen Riesenmond, der im Hintergrund die Sicht auf einen blau-weissen «Baseball» freigibt die Erde im Zerrspiegel.

Wie schon in seinem 2006 mit dem Schweizer Filmpreis als bester Kurzfilm ausgezeichneten Terra incognita, in dem Peter Volkart sich der «Rekonstruktion» der fiktiven Biografie eines versponnenen Wissenschaftlers und Entdeckers widmete, kreiert der Filmemacher auch in seinem neusten Werk, Monsieur Sélavy, seine Bildwelten mit viel Liebe zum skurrilen Detail. Mal gibt er ihnen historische Patina, mal das trashig-flimmernde Aussehen von Aufnahmen einer Überwachungskamera, mal evoziert er den düsteren Look einer Endzeitvision. Dazu gehört auch, dass Volkart unbekümmert Animation und Realfilm mischt oder Positionen und Einstellungen tauscht: So lässt er den blauen Planet Erde zur gleissenden Lichtellipse am Ende eines Schachts werden, das Oben zum Unten, das Drinnen zum Draussen. Besonders schön auch in der Schlusspointe, als Sélavy aus dem Mansardenfenster auf die fallenden Schneeflocken blickt und eine zurückzoomende Kamera das kleine Universum als Schneekugel enthüllt.

«Sélavy» (homonym zu «c’est la vie») erinnert an das Pseudonym «Rrose Sélavy» des Readymade-Künstlers Marcel Duchamp und evoziert nebst den Abenteuern und Unwägbarkeiten des Lebens auch die zu Kunst erklärten «Fundstücke» Duchamps. Ebenso wie Volkart ein Flair für visuelle und andere Fundstücke hat, dank denen er seine Dekors und seine wunderlichen Lebensläufen konstruiert. Doch obwohl der Filmemacher verschiedene Erzählfäden auslegt, bleiben sie bis zum Schluss fragmentarisch und nur notdürftig miteinander verbunden: Zu offensichtlich ist, dass die Geschichte auf vier verschiedenen Clips basiert, die für die Sendung Sternstunden des Schweizer Fernsehens produziert und nun miteinander verbunden wurden. Das erklärt die Episodenhaftigkeit der Story und das Auseinanderdriften ihrer Bestandteile. Nichtsdestotrotz bietet Monsieur Sélavy mit seinem elaborierten Bilderkosmos und seinen stimmigen Dekors viel Augenschmaus.

Simon Dick
*1979, Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft in Freiburg, lebt und arbeitet im Berner Seeland als Multimedia­redaktor und Filmjournalist. Autor des Bu­ches Die Zukunft der Unterhaltung: Wie Videospiele zur neuen Traumfabrik wurden (2008).
(Stand: 2011)
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