MARTINA HUBER

MAX FRISCH CITOYEN (MATTHIAS VON GUNTEN)

SELECTION CINEMA

«Ein Film über Max Frisch – braucht es das? Und warum gerade jetzt?» Mit dieser Frage sah sich Matthias von Gunten von mehreren Seiten konfrontiert, als er sein neues Werk präsentierte: mit Max Frisch (1911–1991) hat der Regisseur eine Schweizer Kultfigur als Thema gewählt, zu dem sich viele Sachverständige zu Wort melden.

Max Frisch Citoyen handelt von jenem Frisch, der sich nach dem 2. Weltkrieg weniger der Architektur, seinem gelernten Beruf, und der eigenen Familie widmete, als sich vielmehr ganz der Schriftstellerei verschrieb, viel reiste und die Heimat aus der Ferne beobachtete. Und der Film interessiert sich für den Schriftsteller, der sich als kritischer Beobachter, als Denker zu politischen Themen äusserte und in der Öffentlichkeit auch dementsprechend wahrgenommen wurde.

Der Schriftsteller Reto Hänny liest Originaltexte aus Frischs Büchern, Artikeln, Briefen und Reden. Die Zitate werden mit Interviews ergänzt, in denen Künstler und Politiker von ihren persönlichen Begegnungen mit Frisch erzählen, darunter Helmut Schmidt, Peter Bichsel, Gottfried Honegger, Henry Kissinger, Günter Grass und Christa Wolf.

Mit dokumentarischen Aufnahmen wird ein historischer Kontext hergestellt, zudem versucht von Gunten, Frischs Befindlichket in der Nachkriegszeit mit aktuellen Bildern von Gedenkstätten nachzuvollziehen. Super-8-Filme von amerikanischer Architektur – aufgenommen vom Protagonisten selber – veranschaulichen, welche Grosszügigkeit und Radikalität Frisch in der Schweiz vermisste.

Insgesamt ist Max Frisch Citoyen ein wortlastiger Film, der inhaltlich tendenziell rückwärtsgewandt, nostalgisch und nicht besonders kritisch ausgefallen ist. Dennoch gelingt es von Gunten, mit der historischen Figur Max Frisch einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Denn Max Frisch Citoyen regt zum Vergleich zwischen der Schweiz im 20. Jahrhundert und den jetzigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen an, und er verdeutlicht implizit die Veränderungen unserer (Medien-)Welt.

Zur professionellen Medienarbeit rund um Max Frisch Citoyen gehörte auch ein hochkarätig besetztes Podium, an dem sich die Teilnehmenden mit dem «Schweigen der Denker» und der Rolle der sogenannten Intellektuellen in der heutigen Gesellschaft auseinandersetzten. Von Guntens These, es gebe seit Frischs Tod hierzulande keine Intellektuellen von dessen Format mehr, wurde nicht widersprochen. Der Film ist innerhalb kurzer Zeit zum Katalysator für eine Diskussion über die Rolle der «Denker» geworden – der Film selber ist dabei jedoch kaum Gegenstand der Diskussion. Dabei könnten doch auch Dokumentarfilme durch zeitgemässe Formen und aktuelle Inhalte Akteure dieser Diskussion sein.

Martina Huber
*1971, Studium der Allgemeinen Geschichte und Filmwissenschaft auf dem zweiten Bildungsweg an der Universität Zürich. Lebt in Zürich.
(Stand: 2011)
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