MARCEL BLEULER

ACT AS YOU PREACH! — EIN INTERVIEW MIT DEM FILMEMACHER BRUCE LABRUCE

ESSAY

«For the misfits and the sissies and the plague-ridden faggots who have been buried and forgotten by the merciless, heartless, hetero-fascist majority.»

(Bruce LaBruce)

Weil man in Trendläden komplette Punk-Outfits kaufen kann oder weil in Grossstädten die Spuren von Hausbesetzungen unter Denkmalschutz gestellt werden oder weil «Subversion» zu einer marktwirksamen Strategie, ja zu einem bejubelten Statussymbol im Lifestyle- und Kunstmarkt zersetzt wurde – aus diesen Gründen misstraue ich politischer Kunst, und dazu gehört auch Film. Mein Misstrauen richtet sich gegen den Anschein des Politischen, gegen die Attitüde, die nach Konfrontation aussieht, aber eigentlich nur Aufmerksamkeit erhaschen will. Sicher, es gibt nicht die eine, wahre politische Kunst. Aber sicher ist auch, es gibt sehr viel vermeintlich politische Kunst, die sich nur auf die hohle Variation ästhetischer und thematischer Provokationen beschränkt, und deren verdeckte Anbiederung relativ leicht zu entlarven ist.

Da es mir nicht gelingt, das Werk von Bruce LaBruce zu entlarven, vermute ich, dass es sich hier um ein Filmschaffen mit einer konsequenten, politischen Haltung handelt. Mein ursprüngliches Interesse an LaBruces Werk war ziemlich voyeuristischer Natur und wurde hauptsächlich von seinem Transfer der Pornografie in den Autorenfilm geweckt. Aber die Erwartungen derjenigen, die nur auf Sexszenen hoffen, werden ziemlich schnell enttäuscht. Denn wenn beispielsweise die Terroristin Gudrun in The Raspberry Reich (D/CDN 2004) ihren Liebhaber zum Sex in der Öffentlichkeit zwingt, dann wirkt die explizite Darstellung plötzlich nur noch wie ein verstörendes, fast hysterisches Gehabe. Auch bei Otto; or, Up with Dead People (D/CDN 2008), in dem ein Pornodarsteller eine tragende Rolle übernimmt, wird der voyeuristische Blick in Anbetracht der Ambivalenz zwischen Sex und theaterblutspritzender Zerfleischung gestört. Es ist im doppelten Sinne irritierend, wie Pornografie wirkungsvoll in Szene gesetzt, aber gleichzeitig, auf weder entschieden kritische noch auf entschieden ironische Art, unterlaufen wird. Und diese Wirkung scheint mir paradigmatisch für das Werk von Bruce LaBruce.

Natürlich ist die Frage, wohin die Irritation führen soll und was daran politisch sein könnte. Welche Haltung nimmt der kanadische Filmemacher mit seinem Werk ein? Für wen oder gegen was produziert er seine Filme? Sicher ist, dass es ihm in seinem Schaffen nicht einfach um den Erfolg an den Kino-Kassen geht. Wenn er in seinen frühen Filmen No Skin Off My Ass (CDN 1991) oder Super 8 ½ (CDN/D/USA 1993) als Hauptfigur auftritt und sogar selbst zum Pornodarsteller wird, dann wirkt das natürlich komplett narzisstisch, aber gleichzeitig macht er sich damit auch kompromisslos angreifbar und bringt so, vielleicht, eine Menschlichkeit auf die Leinwand, für die es sonst keine Ausdrucksmöglichkeit gibt in unserem Kultursystem.

Ein Aussenseiter in einer Gruppe von Aussenseitern

Marcel Bleuler: Im Vorwort zu Thomas Waughs Buch The Romance of Transgression in Canada1 beschreibst du dich selbst als einen Aussenseiter in einer Gruppe von Aussenseitern, als eine Figur am Rand der Randfiguren. Was ist das für eine Gruppe von Aussenseitern? Und warum empfindest du so?

Bruce LaBruce: Das Gefühl hatte ich erstmals in den 1980er-Jahren, zu der Zeit, als ich an der Universität in Toronto eingeschrieben war. Ich erkundete die Gay-Szene und fühlte mich sofort befremdet vom schwulen Mainstream. Ich hängte in Bars und in der Community rum, stellte aber fest, wie konservativ und normativ alles wurde. Die Gay-Szene war bereits auf dem Weg dahin, wo sie heute gelandet ist: Materialistisch und institutionalisiert, sie kauft sich in alle konservativen und kapitalistischen Institutionen ein. In den späten Siebzigerjahren, bevor ich nach Toronto kam, war die Gay-Szene ziemlich politisch. Eine grossartige Publikation kam zu der Zeit in Toronto heraus, The Body Politic, eine völlig marxistisch-feministische Zeitschrift, die man überall gratis erhalten konnte. Ich meine, auch heute gibt es noch Schwulenzeitschriften, die politisch sind, aber in einem viel weniger antikapitalistischen Sinn.

Du warst also ein Aussenseiter in der Schwulenszene?

Nun, ich war befremdet von der Orientierung der Community. Der schwule Mainstream, die Orthodoxie, wie ich das nenne, verwunderte mich. Einige lesbische Freundinnen von mir empfanden genauso und so kam es, dass wir uns in die Punkszene einmischten. Wir dachten, dass diese Szene viel politischer sei und viel mehr darauf ausgerichtet, Institutionen und Autoritäten zu unterlaufen und infrage zu stellen. Aber dann, als wir in der Punkszene gelandet waren, fanden wir heraus, dass sie zu jener Zeit ziemlich homophob war. Die Hardcore-Punkbewegung war voller Machos, die zwar völlig homoerotisch tanzten, aber eigentlich waren die meisten von ihnen homophob. Wir waren also auch in dieser alternativen Subkultur fremd und fühlten uns zwischen den zwei Szenen gefangen. Es interessierte uns nicht, was in der Gay-Szene abging, aber die Punkszene war auch nicht so revolutionär, wie wir gedacht hatten, vor allem was Sexualität und Geschlechterpolitik betrifft. Vor diesem Hintergrund fühlten wir uns als Aussenseiter in einer Gruppe von Aussenseitern. Und das ging weiter, als ich meine Position in der Kunstszene einnahm. Zu der Zeit in der Punkszene waren wir sehr anti Kunst, wir glaubten nicht an die Kunst, wir hielten sie für eine kapitalistische und bürgerliche Institution. Wir hätten uns niemals Künstler genannt, oder uns mit Künstlern identifiziert. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich mich mehr der Pornografie zuwandte, um mich von der Orthodoxie der Kunst zu distanzieren. Früher fühlte ich mich also weder in der Gay- noch der Punkszene zu Hause, und heute ist meine Identifika­tion zwischen Kunst und Pornografie gespalten. In der Pornowelt werde ich mit einem gewissen Misstrauen angesehen, weil ich zu künstlerisch bin. Leute aus der Pornoindustrie denken, dass ich so etwas wie ein Eindringling bin und dass ich Pornografie für meine eigenen Zwecke missbrauche. Und die Leute aus der Kunstwelt finden, dass meine Arbeit zu pornografisch ist, um ernst genommen oder als Kunst verkauft zu werden.

Und würdest du deine Positionierung ändern wollen?

Nein, ich fühle mich wohl so. Ich glaube, es ist meine Natur, eine Gegenposition einzunehmen und Orthodoxien infrage zu stellen – und damit meine ich jede institutionalisierte Norm, jede führende Klasse oder dominante Ideologie.

Für wen produzierst du deine Filme? Wer ist dein Publikum?

Nun, das ist eine gute Frage, weil mein Publikum sehr eingeschränkt ist. Ich meine, in Bezug auf Marketing – und darüber muss sich ein Filmemacher im Klaren sein – ist es eine sehr kleine Zielgruppe. Ich werde als Kultregisseur betrachtet und habe eine sehr starke Kultanhängerschaft, aber sie ist nicht gross und sehr spezifisch.

Produzierst du deine Filme für Leute, die in einer ähnlichen Position sind wie du selbst?

Nein, eigentlich nicht. Aber ich denke, das sind die Leute, denen meine Filme schliesslich am besten gefallen: Die, die nirgends reinpassen. In meinem Film Otto; or, Up with Dead People hält die Figur der Regisseurin Medea eine grossartige Rede. Sie sagt, sie mache ihre Filme für die Aussenseiter, für die Schwächlinge, für die seuchenbefallenen Schwuchteln, die begraben und vergessen wurden von der erbarmungslosen, herzlosen, hetero-faschistischen Mehrheit!

Damit identifizierst du dich?

Oh ja, ganz sicher. Ich komme aus einer Generation, für die das Coming-out unmöglich war. Ich war extrem frustriert in der High School, weil ich meine Sexualität nicht ausdrücken könnte. Jeder wusste, dass ich schwul war, aber es war einfach unmöglich – ich wäre umgebracht worden, wenn ich mich geoutet hätte, oder hätte auf jeden Fall ein sehr schwieriges Leben gehabt. Erst als ich über zwanzig war, begann ich, meine schwule Identität und meine Sexualität zu erforschen. Es war wie eine grosse Explosion, wie eine orgiastische Wut, viel Sex und viel Ausprobieren. Ich war gewissermassen angeleitet von Jean Genets Credo. Seine Strategie war, an irgendeinen Ort auf der Welt zu gehen, wo er einen revolutionären Impuls erkannte, er ging hin und unterstützte die Revolution. Aber in dem Moment, wo er sah, dass sie korrumpiert oder institutionalisiert wurde, verliess er sie nicht nur, sondern richtete sich gegen sie.

Es ist also dein Ziel, dich mit deinen Filmen gegen die institutionalisierte oder korrupte Gesellschaft zu richten?

Ja. Ich meine, mein Mann macht sich immer ein wenig lustig über meine revolutionäre Art, in seinen Augen bin ich ziemlich bourgeois. Ich bin in Kanada aufgewachsen, und obwohl ich unter der Armutsgrenze aufwuchs, lebte ich auf einer schönen Farm und hatte eine ziemlich idyllische, privilegierte Kindheit. Das heisst: Es waren die Privilegien von Kanada, von der westlichen Welt. Als ich dann anfing, Filme über Terroristen zu drehen, wie etwa The Raspberry Reich, in denen Terrorismus auf eine satirische Art glamourisiert wird, da begann er, mich zu necken, und nannte mich «subversivo» mit einem ironischen Unterton. Denn mein Mann wuchs in einer richtig marxistischen Revolution auf. Er lebte in Kuba, bis er zweiundvierzig war, er war von Anfang an dort, hat alles erlebt, vom Idealismus der frühen kommunistischen Revolution bis hin zu den Problemen der Diktatur. Er ist durch Armut und Isolation gegangen und hat seine Mutter seit zehn Jahren nicht gesehen, weil er nicht zurück in das Land kann, von dem er sich absetzte. Für ihn ist das echte, politische Realität mit einschneidenden Konsequenzen. Aber trotzdem, ich glaube an die Ansicht, die in meinen Filmen steckt. Ich bin kein Aktivist, auf jeden Fall bin ich kein politischer Aktivist. Ich gehe zu keinen Versammlungen und zu keinen Demons­trationen oder Protesten, ich drücke das alles nur durch meine Kunst aus. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich früher als Punk mit meinen vielen Tätowierungen und Piercings ständig Probleme hatte, die amerikanische Grenze zu überqueren. Ich wurde jedes Mal angehalten. Sie fanden immer irgendeinen Grund, um jemanden nicht über die Grenze zu lassen. Da es für mich wichtig war, meine Arbeit in Amerika zu zeigen und auch dort zu arbeiten, war ich stets sehr, sehr vorsichtig und bedacht darauf, keinen Strafregistereintrag zu haben. Das mag feige klingen, ist aber auch einfach pragmatisch.

In deinem Leben kannst du also bourgeois wirken, aber mit deinen Filmen attackierst du?

Mit meiner Kunst, ja. Aber genau so sollten Kunst und Kino auch sein – Werkzeuge des politischen Ausdrucks, des persönlichen und politischen Ausdrucks. Und in diesem Sinn leiste ich meinen Beitrag. Aber ich bin auch genauso kritisch gegenüber der linken wie der rechten Politik. Darum untergrabe ich die Orthodoxie der Linken, denn sie ist genauso korrupt und institutionalisiert.

Kunst in Solidarität mit Pornografie

Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, das Geld für die Produk­tion deiner Filme zusammenzubringen.

Nein, das ist nicht einfach und es wird auch nicht einfacher. Mein Film The Raspberry Reich lief wie verrückt an Filmfestivals, er wurde an hundertfünfzig Festivals auf der ganzen Welt gezeigt und war ein Kulthit. Das hat natürlich zu viel Publizität geführt, überträgt sich aber nicht automatisch auf weitere Distributionsmöglichkeiten oder die Einnahmen. Er brachte letztlich kaum Profit. Finanziell gesehen war Hustler White [D/CDN 1996] mein erfolgreichster Film. Er wurde zu einem richtigen Kultphänomen und ich bekomme sogar heute noch Schecks dafür. Mein neuester Film Otto; or, Up with Dead People wurde wieder an unzähligen Festivals gezeigt und hat auch einige Verleiher gefunden, lief aber überhaupt nicht gut an den Kinokassen. Er ist mit Abstand mein teuerster Film, war aber immer noch eine relative Low-Budget-Produktion.

Du arbeitest mit Jürgen Brüning, seit du angefangen hast, Filme zu machen. Wie kommt es, dass du mit einem Pornoproduzenten zusammenarbeitest?

Nun, Jürgen war kein Pornoproduzent, als ich mit ihm zu arbeiten begann. Ich traf ihn in den späten 1980er-Jahren, als er Film- und Video-Kurator in einer Galerie in Buffalo N. Y. war. Er reiste nach Toronto, um neue Arbeiten zu finden, die er in Buffalo zeigen wollte, und so hat er meine frühen Experimental-Kurzfilme gesehen. Wir hatten einiges gemeinsam, ich meine, wir waren beide sehr politisch und Jürgen ist auch antikapitalistisch. Er ist ein Schwulenaktivist, würde ich sagen. Als Filmemacher war er wie ich am Erforschen von extremer Sexualität und sexueller Metaphorik interessiert. So kam es, dass er mir das Geld gab, um meinen ersten Langspielfilm zu drehen, No Skin Off My Ass, der sehr billig war. So hat alles begonnen. Er brachte das Geld für meine ersten drei Filme auf, unter denen auch Hustler White war, der in L. A. gedreht wurde. Für diesen Film begann ich, mit richtigen Pornodarstellern zu arbeiten, davor waren es immer Amateure, Laiendarsteller, die Sex hatten. Aufgrund dieser Assoziation mit mir und mit Hustler White gründete Jürgen mit einem Partner die Pornoproduktionsfirma Cazzo und begann selbst Regie bei Pornos zu führen.

Werden deine Filme wie Porno- oder wie Kunstfilme produziert?

Ich fasse meine ersten drei Filme als sexuell explizite Kunstfilme auf. Der vierte Film, den ich machte, war ein Porno namens Skin Flick [CDN/GB/J 1998], von dem es zwei Versionen gibt, eine Hardcore- und eine Softcore-Version. Die Hardcore-Version, Skin Gang, ist voll und ganz pornografisch: Alles professionelle Pornodarsteller, verpackt und vermarktet als Pornofilm und nominiert für neun Adult Video Awards. Für diesen Film habe ich die Konventionen des Pornos benutzt, das heisst, ich habe versucht, sie zu unterlaufen, aber stilistisch gesehen bewege ich mich in den Konventionen des Pornos.

Warum integrierst du Pornografie in dein Filmschaffen, wie kam es dazu?

Ich glaube, das hat mit der Wut zu tun, aus der Zeit, als ich gezwungen war meine eigene Homosexualität zu unterdrücken. Pornografie ist ein Weg, den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Und sie ist eine Art von schwuler Radikalität, der ultimative Ausdruck von schwuler Identität und Sichtbarkeit. Es gibt keine Mösen und keine Anbiederung – nicht so, wie Schwule, die versuchen, Homosexualität weniger beunruhigend zu machen und zu normalisieren, indem sie die Sexualität herunterspielen und die Wertvorstellung von Familie inklusive Heirat und Kindern übernehmen. Pornografie war eine wirklich starke Stellungnahme dazu, unentschuldbar schwul zu sein. Und damit reagierten wir auch auf die Punkszene, wo wir mit dieser machoartigen Homophobie konfrontiert waren – unsere Antwort war die ‹Homosexualisierung› des Punk. In unseren Fanzines und Filmen zeigten wir schwule und lesbische Pornografie, zum Teil gesammeltes und zum Teil selbst hergestelltes Material, das wir vermischten und zusammenklebten mit der Bildwelt des Punk. Unser Standpunkt war, dass diese Punks nicht im Geringsten solche Vordenker waren, wie sie es auch und gerade in Bezug auf Sexualität sein wollten, wenn sie nicht akzeptieren konnten, was wir taten. Wir gingen mit Pornografie aber immer auch auf eine spielerische Art um und auf eine romantische, obwohl genau das die wenigsten Leute in ihren Kopf kriegen. Es ist, als ob sie es nicht verarbeiten können, dass Amputiertensex oder Leute, die sich selbst mit Rasierklingen schneiden, oder rassistische Skinheads oder linksradikalen Terroristen, die schwulen Sex haben, dass diese Bilder auf eine romantische oder eine humorvolle Art behandelt werden können. Und das ist genau das, was ich tue.

Was bedeutet Pornografie für dich?

Nun, die Definition ist völlig offen. Pornografie ist nicht einfach die explizite Darstellung von Sexualität. Vielmehr ist sie sexuelle Ausbeutung, aber nicht zwingend in einem schlechten Sinn. Pornografie fokussiert sehr direkt auf den Geschlechtsakt mit dem ausdrücklichen Ziel, das Publikum sexuell zu stimulieren. In meinen Filmen versuche ich, den Intellekt und die Sexualität gleichzeitig zu stimulieren – was für einige Leute nicht funktioniert. Nur eine sehr kleine Minderheit steht da total drauf, die meisten aber wollen einfach scharfe Typen beim Ficken sehen. Sie brauchen Pornografie als sexuellen Stimulus, als sexuelle Hilfe für ihr Sexleben, oder natürlich um sich einen runterzuholen. Im Allgemeinen interessieren mich Pornos nicht. Ich schaue keine Filme aus der Pornoindustrie, höchstens ein paar Amateursachen im Internet. Ich bin kritisch und skeptisch gegenüber Pornografie. Darum habe ich auch ein Buch geschrieben, das The Reluctant Pornographer heisst, meine Memoiren sozusagen.

Was sind deine Vorbehalte?

Nun, ich denke 95 % der Pornografie ist Scheisse. In den 1960er- und 70er-Jahren war sie viel spannender, als sie noch von Filmschaffenden gemacht wurde. Sie hat sich in eine schreckliche Richtung entwickelt und kann ein sehr düsterer Ort sein. Viele Menschen, die sexuell missbraucht wurden, machen später Pornografie. Und es gibt in der Pornowelt viele, die schrecklich ausgebeutet werden. Ich glaube, in der schwulen Pornografie wird weniger ausgebeutet als in der heterosexuellen, aber trotzdem ist die heterosexuelle Pornografie irgendwie nötig und manchmal auch heiss und gut. Aber ich habe viele Leute gesehen, die in die Pornowelt gegangen sind und ziemlich zerstört – oder auch gar nicht mehr – herauskamen.

Stehen die expliziten Bilder in deinen Filmen für sexuelle Befreiung?

Für mich selbst ja. Es ist eine Grenzüberschreitung. Es ist ein Tabubruch, und Tabus sind immer dafür gemacht, gebrochen zu werden, genauso wie Regeln dafür gemacht sind, um sie zu brechen. Der Tabubruch besteht darin, dass ich explizite Darstellungen in einem nicht pornografischen Kontext zeige. Ganz am Anfang, in meinen ersten zwei Filmen, spielte ich selber in pornografischen Szenen. Ich tat das teilweise deshalb, weil ich die Regel hatte, niemals von anderen etwas vor der Kamera zu verlangen, was ich selbst nicht tun würde. Das war meine ethische Position.

In deinem ersten Langspielfilm, No Skin Off My Ass, spielst du die Hauptfigur. In einer Szene sieht man, wie du dich selbst beim Sex mit einem an­deren Protagonisten mit der Videokamera filmst. Paradoxerweise erzählt die von dir gespielte Hauptfigur aus dem Off, dass sie diese pornografischen Aufnahmen nie öffentlich zeigen würde, weil sie viel zu persönlich sind. Wie stehst du zu den Aufnahmen?

Damals war auch viel Naivität im Spiel. Am Anfang waren wir am Rumblödeln und filmten uns selbst beim Sex – im Film sieht man mich mit meinem damaligen Freund –, ohne dass wir jemals vorhatten, diese Aufnahmen ausserhalb von Underground-Clubs oder alternativen Kunsträumen zu zeigen. Und dann wurde daraus ein Kultfilm. Der Film wurde auf der ganzen Welt gezeigt und das war etwas, womit wir erst mal klarkommen mussten. Ich meine, es war irgendwie aufregend und erregend, aber es war auch unheimlich, sich selbst dermassen auszustellen. Denn die Leute behandeln dich anders, wenn du so etwas getan hast. Entweder sie denken, dass du ein sexuell Besessener bist und keine Grenzen hast – was in meinem Fall überhaupt nicht stimmt – oder sie schauen auf dich herab. Nicht alle, aber einige tun das.

Und vor wessen Reaktion hattest du am meisten Angst?

Ich weiss nicht. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht. Sicher war es nicht meine Familie, weil ich sehr früh die Entscheidung getroffen hatte, niemals zuzulassen, dass die Reaktion meiner Familie Einfluss auf mein Kunstschaffen haben würde. Es gab also nichts, was ich nicht tun konnte. Ich hätte niemals gesagt, ich könne das nicht tun, weil es meine Familie missachten würde. Ich habe nun den Ruf eines Pornografen, und wenn ich jetzt einen «legitimen» Film machen will, ist es sehr schwierig, das Geld dafür zusammenzubringen und auf einem bestimmten Level ernst genommen zu werden. Als Filmemacher wird man in gewissen Kreisen abgelehnt, wenn man ein Pornograf ist, denn das impliziert, dass man kein seriöser Filmemacher ist.

Hattest du keine Angst, verurteilt zu werden?

Nicht auf einer moralischen Ebene. Und das ist ein Grund, weshalb ich das tue. Ich meine, ich mache meine Filme in Solidarität mit Pornografen und Prostituierten. Ich stehe viel mehr auf ihrer Seite als auf der Seite von Hollywood-Regisseuren oder Kunstgalerien – ausser natürlich meinem eigenen Galeristen. Viele Regisseure, über die ich gelesen oder die ich getroffen habe, wollen eigentlich Pornografie machen: Luis Buñuel zum Beispiel – ich bin sicher, er hätte gerne Pornos gedreht, wenn er gekonnt hätte. Oder Pasolini, ganz sicher. Ich meine, in einem gewissen Sinn ist sein Film Salò Pornografie. Es ist schreckliche, beunruhigende Pornografie. – Auf jeden Fall: Ich bin solidarisch mit Arbeitern aus dem Sexgewerbe und in Wirklichkeit sehe ich mich selbst als so etwas wie ein Prostituierter.

The Raspberry Reich

Im Film The Raspberry Reich geht es um eine Möchtegern-Terroristengruppe, deren politisches Ziel relativ diffus ist. Angeleitet von einer völlig radikalen, weiblichen Hauptfigur namens Gudrun entführt die Gruppe einen Sohn aus reichem Haus, dadurch wird eine Anlehnung an die RAF impliziert. Immer wieder werden marxistische Phrasen zitiert und von Beginn an, gerade mit der fulminanten Anfangsszene – in der Gudrun ihren Mitbewohner beschimpft, weil er masturbiert, und in der sie ihren Liebhaber zum Sex im Treppenhaus zwingt – steht die sexuelle Befreiung im Vordergrund. Ist The Raspberry Reich in deinen Augen ein Film über sexuelle Revolution?

Ja, das ist es. Ich sage nicht, der Film sei sexuell revolutionär. Aber es ist ein Film über sexuelle Revolution. Und es war wichtig für den Film, sexuell explizit zu sein. Aus diesem Grund war auch die Hauptdarstellerin Susanne Sachsse so beeindruckend, sie ist eine respektierte Theaterschauspielerin, die sich für The Raspberry Reich einverstanden erklärte, Hardcore-Sex vor der Kamera zu haben. Denn wenn du einen Film über sexuelle Revolution machst, solltest du dich auch danach verhalten: ‹You have to put your marxism where your mouth is.› Das heisst, du musst bereit sein, die Konsequenzen zu tragen: Wer A sagt, muss auch B sagen.

Gerade wenn ich mir aber die Hauptfigur Gudrun im Film anschaue, dann frage ich mich, ob ihre revolutionäre Attitüde nicht eine reine Farce ist. Sie schreit revolutionäre Schlagwörter ins Gesicht ihrer Nachbarn, während sie Sex im Treppenhaus hat; sie inszeniert einen Überfall auf ein Kleinwarengeschäft als bedeutenden politischen Akt; ihr revolutionäres Handeln scheint hauptsächlich von einem Exhibitionismus und einer sadistischen Ader angetrieben und zum Schluss des Filmes wird sie zu einer kleinbürgerlichen Hausfrau und Mutter. Steckt in ihrer Figur überhaupt eine revolutionäre Reflektion oder handelt es sich hier nicht einfach um eine Attitüde oder gar einen Lifestyle, mit dem sie sich in Szene setzen kann?

Nun, genau das ist es, was die Leute an meinem Werk verwirrt. Manche begreifen es und manche nicht. Oder manche mögen es und andere eben nicht. Denn ich ziehe genauso über die Linken her, wie ich sie unterstütze. Ich argumentiere für die Linken und für revolutionäre Politik, für sexuelle Revolution und für den Umsturz des politischen oder des schwulen Establishments. An vieles, wofür die Linken Partei ergreifen, glaube ich, aber gleichzeitig untergrabe ich es auch, indem ich ihre Widersprüchlichkeit betone oder indem ich die Art, wie sie ihre Politik ausdrücken, und ihre Methoden komplett infrage stelle. Ich verehre die Figur von Gudrun. Alles, was sie sagt, ihre Worte, ihre Gefühle, das habe ich komplett übernommen von der Rhetorik linksradikaler Terrorismusbewegungen der 1960er- und 70er-Jahre. Und wenn du nur den Text anschaust, ohne zu wissen, dass er mit Terrorismus verbunden ist, dann macht das völlig Sinn. Ich meine, fragwürdig wird es, wenn sie Entführungen und Mord in den Dienst von politischen Überzeugungen stellen und damit rechtfertigen und rationalisieren. Damit geraten sie in eine Dimension, die sich nicht mehr verteidigen lässt. Dar­um geht es in meinem Film. Aber genauso zeige ich auch, wie sie aus Waffen einen Fetisch machen, wie sie Waffen als ein Zeichen oder ein Attribut des radikalen Willens sexuell fetischisieren. Im Film geht es also auch darum, wie manche Linke Terrorismus und extremes, terroristisches Verhalten glamourisieren. Zudem geht es um das Phänomen, nicht danach zu handeln, was du predigst. Das ist etwas, das ich an der Universität gelernt habe; ich wurde von bewundernswerten Professoren unterrichtet, aber es gab auch einige Professoren – und sicherlich noch mehr Studenten – die zwar extrem radikale Politik proklamierten aber gleichzeitig extrem bourgeoise und konventionelle Leben führten.

In deinem Film werden die Terroristen wirkungsvoll in Szene gesetzt, aber gleichzeitig scheinst du sie ins Leere laufen zu lassen. Scheitern die Figuren in The Raspberry Reich?

Ja. Am Ende gehen sie alle in verschiedene Richtungen: Gudrun wird eine Hausfrau, sie gibt immer noch revolutionäre Statements von sich, aber sie hat ein Kind und ist verheiratet. Und ihr Ehemann, den sie früher gezwungen hat, Sex mit anderen Männern zu haben, um sein revolutionäres Engagement zu beweisen, ist jetzt mit einer Frau verheiratet. Zwei von den Möchtegernterroristen sind schwul geworden, aber es wird impliziert, dass sie sozusagen bourgeoise Schwule sind. Nur eine Figur wird zu einem Revolutionär, er geht in den Nahen Osten, um Terroristen in einem Camp auszubilden. Zwei andere Möchtegernterroristen werden schwule Bankräuber. Das sind also verschiedene Grade von Erfolg oder Scheitern.

Wenn für die Figuren in The Raspberry Reich die revolutionäre Radikalität oder das Terroristsein so etwas wie ein Fetisch ist, hat das dann überhaupt noch mit einem politischen Inhalt zu tun?

In The Raspberry Reich geht es um das Phänomen der Fetischisierung. Aber es geht gerade auch um die Art und Weise, wie alternative Kulturen – oder popkulturelle Medien – linksradikalen Terrorismus oder manchmal auch rechtsradikale Neo-Faschisten fetischisieren. Ich denke da vor allem daran, wie in der Schwulenszene manchmal Neonazis, Polizisten oder das Militär fetischisiert werden. Natürlich hat das eine politische Komponente. Eines der Themen, das durch all meine Filme zieht, ist das Phänomen des Unterdrückten, der zum Unterdrücker wird. Das passiert zurzeit wie verrückt in der Black-Community, in der schwulen, aber auch in der feministischen Community. Alle drei Bewegungen waren in den 1970er-Jahren sehr militant, marxistisch und antikapitalistisch, im Verlauf der folgenden dreissig Jahre kapitulierten sie aber alle vor dem Kapitalismus und wurden institutionalisiert, der Feminismus verschwand sogar praktisch komplett.

Aber bewegt sich die Fetischisierung von politischen Zeichen nicht ausschliesslich auf einer oberflächlichen Ebene? Wenn beispielsweise zwei schwule Männer aufeinander treffen, von denen sich der eine von Skinheads angeturnt fühlt, und sich der andere gerne als Skinhead kleidet, gibt es da dann noch irgendeinen politischen Inhalt?

Wenn er die Uniform übernimmt, dann ja. Denn er übernimmt die Uniform von seinem Unterdrücker.

Aber er übernimmt doch nur die Attitüde oder den Look?

Ja, sicher. Aber der ursprüngliche Impetus, die Uniform zu übernehmen, war politisch. Sogar der Clone-Look in den 1970ern, mit dem weissen T-Shirt, den Jeans, den Stiefeln und dem einen Ohrring war ein politisches Statement. Zum ersten Mal wurde damit offen schwule Identität signalisiert. Aber die Ironie oder das Problem ist, dass es dann zu einem Symbol der Konformität wurde. Dasselbe mit dem Skinhead-Szenario, das du beschreibst. Das heisst, da ist es ein bisschen anders, weil der Schwule in diesem Falle die Uniform von seinem Unterdrücker übernimmt. Und das kann ein Weg sein, den Unterdrücker zu entmachten. Das ist dieselbe Dynamik wie die Schwarzen, die im Hip Hop angefangen haben, das Wort «nigger» zu benutzen, und dem Wort damit die Wirkung nahmen. Das ist eine ähnliche Strategie, aber es geht beim Skinhead-Szenario auch darum, anzuerkennen, dass du von deinem Unterdrücker angeturnt bist, wegen der Dynamik von Dominanz und Unterwerfung.

Am Ende des Films The Raspberry Reich wird gezeigt, was mit den Mitgliedern der Terroristengruppe passiert ist, nachdem sie sich aufgelöst hatte. Zwei ehemalige Terroristen begegnen sich an einer Schwulenparty mit dem Motto «Terrorist Night». Hat diese Party irgendetwas mit Terrorismus zu tun?

Nein, das ist eine Schwulenbar, die einen Terrorismus-Themenabend veranstaltet, das ist völlig ...

... unpolitisch?

Ja – oder: nein. Es ist politisches Theater.

Inwiefern?

Auf einem bestimmten Level mache ich mich lustig darüber, weil es nur eine Pose ist.

Ja eben, es ist eine Pose! Die Männer an der «Terrorist Night» verkleiden sich als Terroristen und übernehmen damit einzig den Look.

Ja, aber dann sind da diese zwei Männer, die tatsächlich in eine Terrorismusbewegung involviert waren und sich nun unter die Posierenden mischen.

Aber trotzdem, es geht an dieser Party doch nur um eine Pose oder um einen Look. Und genau diesen Verdacht hatte ich gegenüber allen Figuren im Film: Also dass sie das Revolutionäre nur als eine Attitüde übernehmen. Ich beharre auf diesem Punkt, weil ich das für ein weitverbreitetes Phänomen halte: Gerade in der Kunstwelt geben sich so viele Leute als politisch oder als subversiv, aber es ist nur eine Attitüde und es steht gar keine politische Haltung dahinter.

Nun, das ist die Idee von «not practicing what you preach», also sich nicht danach zu verhalten, was man predigt. Aber auf der anderen Seite – sogar die schwule Bear-Bewegung basiert auf einem bestimmten politischen Impetus. Ursprünglich richtete sie sich gegen Körperfaschismus, aber dann wurde sie selbst völlig normativ und exklusiv, die Bears wurden also gewissermassen auch zu ihren Unterdrückern. Aber da ist eine Sache, die jetzt noch nicht angesprochen wurde und mit der wir abschliessen können, und zwar der Begriff «paradox». Ich sehe meine Filme weniger als ironisch, als vielmehr als paradox an. Und paradox bedeutet: Zwei Gegensätze, die nicht miteinander versöhnt werden können. Zwei Dinge also, die gleichzeitig existieren, die sich offenbar widersprechen, aber die dennoch beide wahr sind. Das ist es, worauf mein Werk basiert.

Marcel Bleuler
*1980, Studium der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Religionswissenschaft an der Universität Zürich und bildende Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Heute ar­beitet er als Kunsthistoriker an den Universitäten Bern und Zürich und wartet auf den Entscheid des Schweizerischen Nationalfonds, ob sein Dissertationsprojekt zur experimentellen Kunstdokumentation finanziert wird.
(Stand: 2010)
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