DORIS SENN

DANIEL SCHMID – LE CHAT QUI PENSE (PASCAL HOFMANN, BENNY JABERG)

SELECTION CINEMA

Er war ein Träumer, ein Ästhet, ein Kosmopolit und ein Geschichtenerzähler. Der Cineast Daniel Schmid (1941–2006) realisierte zwischen 1972 und 1999 nicht weniger als 13 Spiel- und Dokumentarfilme. Der Film Daniel Schmid – Le chat qui pense zeichnet das unkonventionell-heterogene Werk und seine vielschichtige Persönlichkeit nach.

2006 ersannen die beiden Master-Studierenden der HGKZ (heute ZHdK), Pascal Hofmann und Benny Jaberg, das Projekt, ein «Porträt mit ihm, nicht über ihn» zu machen. Doch kaum begonnen, durchkreuzte der überraschende Tod Daniel Schmids ihr Vor­haben. Die Nachwuchsfilmer legten das Projekt vorerst ad acta – um es dann aber (glücklicherweise) doch wieder aufzunehmen. Sie nutzten die 200 Stunden Rohmaterial (!) un­terschiedlichster Herkunft als Schatztruhe, um ein stilistisch ausgereiftes Bild von Schmids Person und Schaffen zu machen. Der Untertitel des Films – «Le chat qui pense» – geht auf einen Eintrag in einem Notizbuch Daniel Schmids zurück, den die Regisseure als ebenso «geschmeidigen, wie eigensinnig-verspielten, menschennahen und doch eigenbrötlerischen Künstler» erlebten.

Daniel Schmid – Le chat qui pense folgt der Chronologie von Daniel Schmids Leben und Werdegang: von seinem Aufwachsen als tagträumender Hoteliersohn im bündnerischen Flims (über das er 1992 den Film Hors saison drehte), von seinen Erfahrungen im Berlin der 1960er-Jahre, wo er Teil der Clique um Rainer Werner Fassbinder und Ingrid Caven wurde, später in Paris – und immer wieder von seiner Rückkehr in die Heimat: diese vom grauen Fels, von Wolken und Gipfeln beher­rschte Landschaft. Das Filmporträt besteht aus Gesprächen mit Daniel Schmid, mit Weg­gefährten – etwa dem Kameramann Renato Berta, dem Filmemacher Werner Schröter oder dem Filmpu­blizisten Shiguéhiko Hasumi –, ergänzt mit Aus­schnitten aus Schmids Filmen und Ar­chivmaterial, das bestechend Landschaft und Epochen illustriert. Am Anfang von Schmids Œuvre standen avantgardistische, von Brecht inspirierte Filme (Heute Nacht oder nie, CH 1972), gefolgt von atmosphärisch-kraftvollen Bergdramen wie Vio­lanta (CH 1977) oder Jenatsch (CH, F, D 1987). Schmid realisierte aber auch brillante Dokumentarfilme wie Il bacio di Tosca (I, CH 1984) – über ein Altersheim für ehemalige Opernstars in Mailand – oder Das geschriebene Gesicht (J, CH 1995) über das Kabuki-Theater. Sein letzter vollendeter Film ist die Schweiz-Satire Beresina oder die letzten Tage der Schweiz, die 1999 in Cannes gezeigt wurde.

Auf ebenso einfühlsame wie formal bestechende Art und Weise gelingt Pascal Hofmann und Benny Jaberg mit Daniel Schmid – Le chat qui pense eine Hommage an einen Filmemacher, der untypisch für die Schweiz und doch tief in ihr verwurzelt war. Ihr Werk – das nicht zuletzt auch viel Lust macht, Schmids Filme (wieder) zu entdecken – feierte seine Premiere an der Berlinale 2010.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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