BETTINA SPOERRI

BAZAR (PATRICIA PLATTNER)

SELECTION CINEMA

Die 60-jährige Gabrielle (Bernadette Lafont) ist eine lebensfreudige, selbstbewusste Antiquitätenhändlerin mit eigenem Laden an bester Adresse in Genf. Doch als sie den 25-jährigen Fred (Pio Marmaï) kennenlernt und sich in ihn verliebt, ist das nicht nur für sie eine Überraschung. Plötzlich sieht sich Gabrielle mit Eifersucht und Intoleranz in ihrem Umfeld konfrontiert – und dann muss sie auch noch ihren Laden räumen, der ihr schon vor längerer Zeit gekündigt worden ist, was sie aber einfach nicht wahrhaben wollte.

In vorwiegend komödiantisch-leichtem Ton erzählt die Westschweizer Regisseurin Patricia Plattner von der Leidenschaft einer älteren Frau für einen sehr viel jüngeren, freiheitsliebenden Adonis. Was eine mutige Stoffwahl wäre und auch von den Figurenzeichnungen her durchaus frisch und überraschend beginnt, gefasst in warme, sorgfältig komponierte Bilder, verliert sich indes immer mehr in konventionellen Wendungen. Bis zuletzt bestätigt Bazar viele gängige Klischees über Ältere-Frauen-junge-Männer-Paare und umtänzelt das Tabuthema mit enttäuschender Konfliktscheue. An den Rand der Peinlichkeit geht das, wenn die Hauptdarstellerin (eine meist verschmitzt lächelnde Lafont, was mit der Zeit angestrengt maskenhaft wirkt) selbst im Bett kein Fleckchen nackte Haut zeigen darf, sondern stets vollkommen in Stoff eingehüllt neben dem wohlgeformten, muskulösen Mann liegt. Und dieser entpuppt sich am Ende, wenn sich darüber schon niemand mehr wundert, als unverantwortlicher Schürzenjäger.

Wo bleibt da das Begehren der Frau?, fragt man sich besorgt, umso mehr, als dieses Gabrielle vom Drehbuch her so suggestiv in den Mund gelegt wird – es bleibt in diesem Film Behauptung. Interessanter als die Auseinandersetzung zwischen Fred und Gabrielle sind deshalb die Reibungsflächen, die zwischen Gabrielle und ihrem Freundeskreis sowie ihrer Tochter – ungefähr in Freds Alter – (gespielt von Lou Doillon, einer Tochter Jane Birkins) entstehen, nachdem sie ihnen ihre Verliebtheit eröffnet hat. Da offenbart sich die als Lockerheit getarnte Engstirnigkeit einer nur scheinbar toleranten urbanen Gesellschaft. Die Freunde und die Tochter wenden sich ab, als Gabrielle nicht mehr ganz dem Bild entspricht, das sie sich von ihr gemacht haben: zwar schon etwas unkonventionell und eigensinnig, doch nicht auf diese so unvernünftige, gar kindische Weise! Eine werdende Grossmutter soll bitte mehr Würde und Abgeklärtheit zeigen. Wo Bazar von solchen Misstönen erzählt, von der sanften Gewalt derjenigen, die uns zu lieben meinen – und von der Angst vor der Pensionierung, dem endgültigen Altwerden, dem Eintreten in den letzten Lebensabschnitt, gewinnt der Film und mit ihm die Schauspieler an Glaubhaftigkeit.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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