NATHAN SCHOCHER

SATTE FARBEN VOR SCHWARZ (SOPHIE HELDMAN)

SELECTION CINEMA

Senta Berger und Bruno Ganz spielen das seit fast 50 Jahren verheiratete Paar Anita und Fred. Das Leben hat es gut mit ihnen gemeint, sie wohnen in einer luxuriösen Villa, sind Eltern zweier schon erwachsener Kinder, ihr Enkelkind macht gerade Abitur. Eines Tages sieht Anita beim Einkaufen auf der Strasse plötzlich Fred, der sich doch eben ins Büro verabschiedet hatte. Es stellt sich heraus, dass Fred sich eine Wohnung gekauft hat, die schon fast fertig renoviert ist. Aufgrund seiner Krebserkrankung glaubt er, ein Recht auf mehr Freiraum zu haben, auf einen Platz, wo er für sich sein darf. Anita empfindet diesen Schritt als Verrat an ihrer Ehe. Kurzerhand zieht sie aus Protest in eine Seniorenresidenz. Ein schmerzhafter Prozess beginnt, in dem sich Anita und Fred zwar wieder annähern, aber dennoch von allem Abschied nehmen müssen.

Mit Satte Farben vor Schwarz wagt sich Jungregisseurin Sophie Heldman an das heikle Thema Alterssuizid. Sie erzählt eine Geschichte, die viele spannende Fragen aufwirft: Wie begegnet man einer Krebserkrankung? Wie entscheidet man sich für oder gegen eine Behandlung? Wen bezieht man in eine solche Entscheidung mit ein? Und wie verändern diese Entscheidungen eine Beziehung? Durch ihre ruhige, einfach den Alltag der Figuren beobachtende Erzählweise gibt Heldman dem Zuschauer viel Raum für Fragen. Mit Antworten hält sie sich zurück, lässt den Zuschauer letztlich bezüglich der Motivation der Figuren im Dunkeln. Dies eröffnet zwar viel Interpretationsspielraum, jedoch wenig Möglichkeiten, sich in die Figuren hineinzufühlen. So verschenkt Heldman viel Identifikationspotenzial.

Stattdessen vertraut die Regisseurin ganz auf die elegante Bildgestaltung und das sorgfältige Spiel ihrer Schauspieler. Mit Bruno Ganz und Senta Berger konnte sie zwei Stars gewinnen, die ihr Bestes geben, um ihren Figuren Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch der Bruch mit den bürgerlichen Konventionen, den die Wahl des Freitodes darstellt, wird weder motiviert noch in seiner Schärfe herausgearbeitet, – dazu fehlt es dem Film an Dramaturgie, am Spannungsbogen.

Erst gegen Ende entwickelt Satte Farben vor Schwarz nochmals etwas Drive, als Anita und Fred gemeinsam an der Abiturfeier ihrer Enkeltochter zu «I’m so excited» auf der Tanzfläche ein letztes Mal richtig abrocken; aber das war es dann auch schon mit der Aufregung. Anschliessend wird man Zeuge eines quälend langsamen Freitodes, der einen ratlos und seltsam unberührt zurücklässt.

Nathan Schocher
*1978, Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften; schreibt als freier Journalist für verschiedene Medien. Er lebt in Zürich.
(Stand: 2012)
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