BETTINA SPOERRI

MANIPULATION (ALEX MARTIN, PASCAL VERDOSCI)

SELECTION CINEMA

Walter M. Diggelmanns Roman «Das Verhör des Harry Wind» von 1962 spielte in den späten Fünfzigerjahren und bezog sich auf den geheimen Plan zum Bau einer Atombombe und die heimliche Überwachung der eigenen Bevölkerung. Im Kern aber ging es um die Beeinflussbarkeit der öffentlichen Meinung mittels manipulierter Fakten: ein Thema, das heute wieder brisant ist. Alex Martin und Pascal Verdosci haben sich an eine Filmversion gewagt, in der ein cleverer, aber windiger PR-Berater zum Helfer der reaktionären Männer wird, die an den Hebeln der Macht sitzen. Sein Gegenspieler ein Spezialagent, der kurz vor seiner Pensionierung steht und durch diesen Fall in seinem Wahrheitsverständnis tief verunsichert wird.

Alles beginnt mit einer Küchenschürze. Gemäss Harrys Geschichte – wie sie im Film erzählt wird – ist ihr durchsichtiger Stoff daran schuld, dass er schon als Kind den Glauben an den Wert der Wahrheit verlor. Sein Cousin, der mit ihm wie ein Bruder aufwuchs, wurde des Diebstahls beschuldigt, obwohl doch Harry der Schuldige war, der denn auch seine Tat gleich bewies. Aber die Mutter lehrte ihn, dass Tatsachen auch durch Manipulation hergestellt werden können: Sie führte ihn zu seinem leeren Sparschwein, zur Demonstration, dass er das Geld nicht aus der Ladenkasse entwendet hatte. Doch durch die Tasche der Küchenschürze seiner Mutter sah er den Geldschein schimmern, den sie dorthin gesteckt hatte... Aber ist diese Geschichte über die Korrumpierung einer Kinderseele erfunden? Jahre später jedenfalls hat Harry diese Lektion verinnerlicht.

Die filmische Umsetzung des explosiven Stoffs ist leider allzu zahm geraten. Zum einen schliesst die sorgfältige zeitgenaue Ausstattung von Franz Bauer eine Aktualisierung aus. Vor allem aber vertraut Manipulation nicht auf die Kraft der raffinierten Erzählweise des Romans und erklärt Zusammenhänge gleich mehrfach, was eine gewisse Zähflüssigkeit bewirkt. Der Film bleibt zudem gängigen Thriller-Konventionen verhaftet und setzt auf einen aufdringlichen Soundtrack. Immerhin tragen Brandauer und Koch in den Hauptrollen über manche Schwächen des Drehbuchs, das fast alle anderen Figuren vernachlässigt, hinweg. Der zwiespältige Eindruck, den der Film hinterlässt, bestätigt sich im Abspann. «Ein Film von Alex Martin» steht da, sodann: «Regie: Pascal Verdosci». Der Regisseur und der Mann, der bei diesem Projekt zugleich Autor und Produzent war und auch für den Schnitt verantwortlich zeichnet, haben sich zwar wieder zusammengerauft, damit die teure europäische Koproduktion doch noch fertiggestellt werden konnte. In Zukunft wollen sie aber getrennte Wege gehen. Das Seilziehen zwischen stark divergierenden Interpretations- und Regieansätzen ist dem Film anzumerken: Er entwickelt keine klare künstlerische Handschrift.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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