NATHAN SCHOCHER

MIT DEM BAUCH DURCH DIE WAND (ANKA SCHMID)

SELECTION CINEMA

Bei Sandra und Marcel funkt es beim Chatten, Mwathi erobert Jennifers Herz mit hundert Liebesbriefen und Jasmine verknallt sich in ihren Klassenkameraden Roman. Drei typische Teenager-Liebschaften, mit dem Unterschied, dass sie bei Sandra, Jennifer und Jasmine zu einer Schwangerschaft führen, noch bevor diese volljährig geworden sind.

Regisseurin Anka Schmid hat für ihre Langzeitdokumentation Mit dem Bauch durch die Wand ihre drei Protagonistinnen klug ausgewählt. Deren Geschichten bieten Einblick in drei ganz verschiedene Ausbildungs- und Familienverhältnisse, in denen die Teenager Mütter geworden sind. Dazu berichten alle drei mit grosser Offenheit über die Erfahrungen, die sie als junge Mütter machen. Ebenso viel kriegt das Publikum über die Bilder mit, denn die Kamera lässt uns einen grossen Teil des Films einfach dabei sein, wenn die drei Frauen den Stress, Mutter zu sein, und den Stress, Teenager zu sein, irgendwie bewältigen müssen. Diese Spannung zeigt sich in ganz alltäglichen Situationen: Wenn etwa Jasmine ihren kleinen Armando für die Fasnacht als Marienkäfer verkleidet, freut sich der sichtlich weniger darauf als die jugendliche Mutter selbst, die entsprechend verärgert reagiert.

Da Anka Schmid sich eng an ihre Protagonistinnen und an das, was diese über sich erzählen, hält, werden die Motive der oft abwesenden Väter nur angedeutet. Roman muss von Jasmine nach vier Jahren des Hin und Hers schliesslich vor Gericht zur Anerkennung der Vaterschaft und Erfüllung der damit verbundenen finanziellen Pflichten gezwungen werden. Mwathi versucht in gewissen Momenten des Films rührend und etwas tollpatschig, die Vaterrolle zu übernehmen, in anderen Momenten setzt er sich als Hip-Hopper in Szene und lässt Jennifer mit der Verantwortung für das gemeinsame Kind allein. Nur Marcel und Sandra gelingt es mit viel familiärer Unterstützung, selbst eine kleine Familie zu bilden.

Dass die jungen Mütter und ihr Verhalten für sich selbst sprechen, sie also nicht über Kommentare ihrer Eltern oder von Experten erklärt werden, verleiht dem Film Authentizität und einen gewissen Drive, was ihn über thematisch ähnlich gelagerte Fernsehproduktionen hinaushebt. Natürlich bleiben so auch Fragen offen. Etwa wieso die jungen Mütter zum Teil bestimmte familiäre Ideale nachleben, die ihnen gleichzeitig das Leben schwer machen. Oder weshalb sich Teenager-Schwangerschaften manchmal über Generationen hinweg wiederholen: Jasmine etwa muss schliesslich ihr Kind im selben Heim unterbringen, in dem sie selbst einmal gewohnt hatte.

Nathan Schocher
*1978, Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften; schreibt als freier Journalist für verschiedene Medien. Er lebt in Zürich.
(Stand: 2012)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]