RENÉ MÜLLER

TINGUELY (THOMAS THÜMENA)

SELECTION CINEMA

«Ich bin Jean Tinguely und mache Maschinen, die zu nichts zu gebrauchen sind.» So stellte sich der junge Künstler Jean Tinguely in den 1950er-Jahren in einem Interview vor. Der gelernte Schaufensterdekorateur begann schon früh, mit Schrott und allerlei Fund­stücken zu experimentieren, was in der spiessigen Schweiz von damals nicht gut ankam. Seine unkonventionellen Schaufensterdekorationen sorgten immer wieder für Aufruhr: Als er einem Pelzwarengeschäft einmal einen Haufen Bauschutt ins Schaufenster karrte und darauf die teuren Mäntel drapierte, sah die Polizei gar Ruhe und Ordnung in Gefahr und wies Tinguely an, sein Werk zu räumen. Kein Wunder also, suchte Tinguely bald das Weite. 1952 zog es ihn mit seiner ersten Ehefrau, der Künstlerin Eva Aeppli, und dem Künstler Daniel Spoerri nach Paris. Tinguely lebte in Armut, konnte aber bald an Ausstellungen teilnehmen. Für seine ersten Werke verwendete er bereits Motive und Materialien, die sein ganzes Schaffen auszeichnen: Motorenbetriebene Installatio­nen, die er unbekümmert und ohne grosse technischen Ambitionen aus Draht, Blech und allerlei anderen Fundstücken zusammensetzte.

Mit seinen Anfängen in Paris beginnend dokumentiert der Schweizer Filmemacher Thomas Thümena (Ma famille africaine, CH 2004) alle wichtigen Stationen und Werke in Tinguelys Leben: Die ersten internationalen Erfolge, die späte Anerkennung des Künstlers in seiner Heimat bis zum letzten Lebensabschnitt des 1991 mit 66 Jahren verstorbenen Künstlers. Besonders ausführlich wird dabei das Privatleben des Lebemanns beleuchtet. Weggefährten berichten, wie Tinguely mit seiner zweiten Ehefrau und Muse Niki de Saint Phalle in den Sechzigerjahren zum Glamour-Paar der internationalen Kunstszene avan­cierte – und sich dabei von alten Freunden immer stärker distanzierte. Wie er – einer seiner scheppernden Maschinen gleich – unermüdlich arbeitete, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, und schliesslich im Alter die Marotte entwickelte, Ferraris zu sammeln und seine Ausstellungen nach Formel-1-Rennen, die er nicht verpassen wollte, zu planen.

Thümenas Dokumentarfilm beeindruckt mit verblüffendem Archivmaterial, das stimmig montiert wurde. Die Aussagen der Interviewpartner sind voller Esprit – besonders die engen Weggefährten Daniel Spoerri und Guido Magnaguagno, ehemaliger Kurator am Kunsthaus Zürich und früherer Direktor des Tinguely-Museums Basel, sorgen mit schwelgerischen Erinnerungen für Kurzweil. Doch schlussendlich fügt sich alles zu reibungslos und gefällig ineinander: Tinguely verlässt nie die geordneten Bahnen eines konventionellen Dokumentarfilms und wirkt dadurch bisweilen gar etwas schulmeisterlich. – Einem Film über Jean Tinguely, der sich zeitlebens kokett gegen die Musealisierung seines Werkes sträubte, hätte ein originellerer Zugang keineswegs geschadet.

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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