RENÉ MÜLLER

MARY & JOHNNY (SAMUEL SCHWARZ, JULIAN GRÜNTHAL)

SELECTION CINEMA

2010, eine Nacht am Zürcher Volksfest «Züri Fäscht»: Das junge Paar Mary und Johnny verkracht sich, weil Johnny, der gerade seinen Job in einem Elektronik-Discounter verloren hat, nicht in Partylaune ist. Die beiden irrlichtern in Folge getrennt durch das Festgetümmel. Die aufgekratzte Mary gerät rasch an andere Männer; der Playboy Hostettler macht ihr schöne Augen, und ein schmieriger Fussball-Manager hat es ebenfalls auf sie abgesehen. Währenddessen zieht Johnny mit seinem Kumpel Mischa und dessen Freundin um die Buden. Doch treffen Mary und Johnny immer wieder auf­einander, und mit steigendem Alkoholpegel und zu vorgerückter Stunde spitzen sich die Geschehnisse rasch zu.

Mary & Johnny ist der erste Langspielfilm von Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal. Seit mehreren Jahren arbeiten sie auch bei der Theatergruppe 400asa zusammen. In nur neun Nächten haben sie Mary & Johnny mit einfachen Mitteln gedreht (davon drei Nachtdrehs mitten im Geschehen des «Züri Fäscht»). Als Vorlage für das ohne öffentliche Gelder finanzierte Projekt dient das Theaterstück Kasimir und Karoline von Ödön von Horváth, das in der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 spielt. Dieser Hintergrund war wohl Hauptmotivation für Schwarz und Grünthal, sich gerade dieses Stoffes anzunehmen – sind die wirtschaftlichen Verhältnisse achtzig Jahre später doch auf nicht unähnliche Weise wie­derum prekär.

Die tragisch endende Geschichte wird aus der Perspektive von Johnnys Freund Mischa erzählt: Mischa führt selbstreflexiv und betont subjektiv durch den Film – so mault er etwa im Vorspann, es handle sich bei Mary & Johnny um einen schmuddeligen, kleinen Film mit geilem Sound. Als Erzähler hält er die lockere, episodenhafte Handlung zusammen. Doch je mehr sich die Figuren während dieser Nacht in Eifersucht, Drogen, Sex und Gewalt verlieren, desto gleichgültiger lässt einen deren Schicksal. Gleichwohl vermögen die Cinema-Direct-Ästhetik und das überraschend zusammengestellte Ensemble durchgehend zu bestechen. Allen voran die ehemalige Miss Schweiz Na­dine Vinzens; sie spielt die Mary hinreissend unprätentiös. Auch Philippe Graber als Johnny (Der Freund) und Nils Althaus (Eine wen iig, dr Dällebach Kari) als Hostettler sind Ideal­besetzungen. Für seine Verkörperung des cholerischen Mischa war Marcus Signer 2012 für den Schweizer Filmpreis Quartz in der Ka­tegorie «Beste Darstellung in einer Nebenrolle» nominiert. Mary & Johnny wurde von der Kri­tik sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland sehr positiv aufgenommen. Zu Recht, wenn man bedenkt, wie frisch Konzept und Ästhetik im Vergleich zu anderen Schweizer Produktionen daherkommen. Insofern ist Mary & Johnny tatsächlich ein Highlight des aktuellen schweizerischen Filmschaffens. Ein Film, der auf jeden Fall Lust auf mehr mutige Filmprojekte dieser Art macht.

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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