RENÉ MÜLLER

L’HARMONIE (BLAISE HARRISON)

SELECTION CINEMA

Der einstündige Dokumentarfilm L’harmonie beginnt kakofonisch: In Pontarlier, einem Dorf im französischen Jura, sehen wir einem bunt gemischten Musikverein bei den lebhaften Proben zu. Die Kamera beobachtet einzelne Protagonisten beim Einspielen und Üben – auf der Tonspur ist entsprechend manch schiefer Ton zu hören. Die anfänglichen Dissonanzen entwickeln sich immer mehr zu einem harmonischen Miteinander, sobald man dem Musikverein bei Auftritten oder im Tonstudio zuhört und – sieht. Der junge Filmemacher Blaise Harrison beobachtet seine Figuren mal in der Gruppe des Musikvereins, mal als Individuen im Alltag. So etwa die junge Jägerin, die am Waldrand in aller Stille auf ihre Beute lauert, oder den Teenager, der zu Hause ohrenbetäubend laut Heavy Metal hört.

Inspiriert durch Kindheits- und Jugenderinnerungen zeichnet Harrison ein mosaikartiges Musikporträt eines Dorfes – ohne jeglichen Kommentar oder lineare Erzählung. Harrison setzt ganz auf eine kontrastreiche und ausgeklügelte Montage von Bild und Ton. Eine zentrale Rolle spielt stets die Musik: Für Harrison gehören auch Stimmen und Geräusche zum Soundtrack. Sie seien genau so wichtig wie die Melodien der Musiker, erklärt er anlässlich der Premiere von L’harmonie am Internationalen Filmfestival von Locarno. Daher sind die Übergänge von Musik zu Klängen der Natur – etwa das Summen von Bienen – fliessend gehalten. In einer besonders markanten Szene wird der Wortschwall des engagierten und redseligen Vereinspräsidenten immer mehr mit der Musik vermischt – bis man seine Rede nicht mehr hört, sondern nur noch die ausdrucksvolle Mimik und Gestik sieht.

Der Filmtitel verweist primär auf musikalische Harmonie. Je länger man die ausgesprochen unterschiedlichen Dorfbewohner bei ihrem verbindenden Hobby beobachtet, desto mehr drängt sich auf, dass es Harrison auch um Harmonie im Sinne einer dörflichen Idylle geht. Sein Film kann so auch als Hommage an das friedliche Zusammenleben in der Provinz gesehen werden. Dank des feinen Gespürs des Filmemachers für seine Figuren und die anspruchsvolle formale Struktur des Films wirkt dies aber keineswegs kitschig oder harmlos.

Blaise Harrison hat an der Ecole cantonale d’art in Lausanne studiert und mit seinem Dokumentarfilm Armand 15 ans l’été, der 2011 ans Filmfestival in Cannes in die Sektion Quinzaine des Réalisateurs eingeladen wurde, für Aufsehen gesorgt. L’harmonie wurde in der Reihe Concorso Cineasti del presente am Internationalen Filmfestival von Locarno gezeigt. Produziert wurde L’harmonie von Bande à Part Films, der Westschweizer Produktionsfirma um Lionel Baier und Ursula Meier.

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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